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Moldau zwischen den Fronten

Die Republik Moldau (Moldawien) ist derzeit wieder in aller Munde. Die Führung in Chisinau gebärdet sich als ausgewiesen pro-europäisch, was von der EU mit einer „konkreten Beitrittsperspektive“ verbal belohnt wird. Doch wie sieht es wirklich aus mit einem Staat, dessen Geschichte und Gegenwart hierzulande kaum jemand kennt?

Von Andreas Pittler

I. Eine nötige Vorgeschichte

Wirft man einen Blick weit zurück in die Geschichte des Landes, so stößt man zuerst auf den historischen Begriff „Bessarabien“. Dort hausten die legendären Skythen, die bald Besuch von griechischen Kolonisten bekamen, womit die Region in ein geschichtliches Zeitalter eintrat. Die Griechen gründeten Tyras, heute Bilhorod in der Ukraine, andere Namen sind Cetatea Alba (rumänisch), Weißenburg (deutsch) und Akkerman (türkisch), das lange Zeit ein kulturelles Zentrum inmitten einer sonst eher rauen Landschaft ohne klare staatliche Strukturen darstellte. Neben Griechen und Skythen siedelten auch die Geten (oder Daker) in der Region, womit ein erster geschichtlicher Konnex zur späteren Anbindung des Landstrichs an Rumänien gegeben war. Rund um die Zeitenwende gelang es den Römern, die Region zu unterwerfen, die sie mit dem „Trajanswall“ auch für ihr Reich zu schützen trachteten. Allerdings endete die römische Vorherrschaft schon rund um 300 unserer Zeitrechnung, jener Zeitpunkt, ab dem das Gebiet zum Spielball diverser Völkerschaften wurde, die im Zuge der „Völkerwanderung“ in Bessarabien mehr oder weniger lange Station machten. Goten, Hunnen, Awaren, sie alle hinterließen ihre Spuren, ehe es dem ersten bulgarischen Reich gelang, Bessarabien zu inkorporieren. Ab dem 13. Jahrhundert übernahmen rumänische Feudalherren die Landschaft, die zwischen dem (historischen) Fürstentum Moldau und der Walachei aufgeteilt wurde, ehe das Osmanische Reich zwischen 1484 und 1511 das gesamte Territorium eroberte.

Wieder drei Jahrhunderte später war das Osmanische Reich nur noch der „kranke Mann am Bosporus“, und das zaristische Russland schickte sich an, Bessarabien in seine Hände zu bekommen. Folge des sogenannten „6. Türkenkriegs“ war eine Teilung des Gebiets mit dem Dnjestr als Grenze. „Transnistrien“ wurde Teil des Zarenstaates, der Westen verblieb (vorerst) beim Osmanischen Reich. Damit freilich gab sich Russland nicht zufrieden, und so nutzte es eine „Schenkung“ durch das „Fürstentum Moldau“, um die Grenze weit in den Westen an den Pruth zu verschieben, womit das gesamte heutige Moldawien zu Russland gehörte.

Zu diesem Zeitpunkt galten weit über 80 Prozent der Bevölkerung als (im heutigen Sinne) Rumänen, nennenswerte Minderheiten stellten die Ruthenen (Ukrainer), die Griechen, die Roma und die Juden. Doch die Russen begannen umgehend damit, russische Siedler in das Gebiet zu transferieren, um die eigene Herrschaft durch eine eigene Bevölkerung legitimieren zu können. Dabei wurden aber auch signifikante Kontingente an Deutschen (Bessarabiendeutsche) angeworben, die als Fachleute im Zarenreich hoch angesehene waren. Tatsächlich verschob sich die Demografie des Gebiets bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs markant. 1914 stellten die Rumänen nicht einmal mehr die Hälfte aller Einwohner.

Doch eben diese Rumänen strebten dafür umso mehr den „Anschluss“ ihrer Heimat an das Königreich Rumänien an. Die Gelegenheit dazu bot der Zusammenbruch des zaristischen Russland 1917. In Chisinau bildete sich im November 1917 ein von der rumänischen Bevölkerungsgruppe dominierter „Landesrat“, der wenige Monate später die Vereinigung mit Rumänien „für ewige Zeiten“ proklamierte. Eine Vorgangsweise, die nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. Im Osten des Landes konstituierte sich eine moldawische Sowjetrepublik, die eng mit den Kommunisten Odessas kooperierte. Diese wurde jedoch von der rumänischen Armee unterworfen, die im November 1918 eine „Abstimmung“ inszenierte, bei der die moldauische Nationalversammlung formell den Beitritt zum Königreich Rumänien besiegelte. Da jedoch nur 44 von 156 Abgeordneten anwesend waren, wird diese Abstimmung bis zum heutigen Tag von Historikern als illegitim angesehen. Die Sowjetregierung in Moskau sprach daher nicht zu Unrecht von einer völkerrechtswidrigen Annexion Bessarabiens durch Rumänien, und sogar die US-Regierung sprach von einer rumänischen Besatzung. Dies umso mehr, als Rumänien eine Volksabstimmung über die Zukunft des Gebiets ablehnte und auf moldauischem Boden ein Militärregime errichtete.

Doch alle Gewalt rumänischer Okkupationstruppen konnte nicht verhindern, dass die Herrschaft Rumäniens am Westufer des Dnjestr endete. Im heutigen „Transnistrien“ blieben die Bolschewiki siegreich und errichteten eine „Moldauische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik“ innerhalb der Sowjetukraine. Dies fiel ihnen umso leichter, als östlich des Dnjestr nur rund 30 Prozent Rumänen lebten, während mehr als die Hälfte der Einwohner Russen oder Ukrainer waren. Dazu kamen noch rund 10 Prozent Juden und nennenswerte Kontingente an Deutschen und Griechen.

Im August 1940 nutzte Stalin schließlich die volatile Weltlage aus und besetzte handstreichartig auch das Gebiet bis zum Pruth, woraufhin eine eigene Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik geschaffen wurde, die bis Ende 1991 staatsrechtlich existieren sollte. Zwar gelang es Rumänien im Sommer 1941 als Verbündetem Nazideutschlands, die Region kurzfristig wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch bereits kurze Zeit später war die sowjetische Herrschaft über das Gebiet wiederhergestellt. Für nahezu ein halbes Jahrhundert blieb Moldawien eine der 15 Unionsrepubliken der UdSSR, wobei es nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der erste Republikschef niemand anderer als Leonid Breschnew war.

II. Perestrojka und Unabhängigkeit

Nachdem Breschnew nach Moskau berufen worden war, hielt bis 1980 sein enger persönlicher Freund Iwan Bodiul in Chisinau fest die Zügel in der Hand. Sein Nachfolger Semjon Grossu, der bis 1989 als Republikschef fungierte, geriet durch die Folgewirkungen von Gorbatschows Politik der Perestroika in die Defensive und vermochte es ab Mitte der 80er Jahre nicht mehr, den aufkeimenden (rumänischen) Nationalismus zu kanalisieren. Ein betont nationalistischer Flügel um den ethnischen Rumänen Petru Lucinschi stieß sich unter anderem daran, dass in der Sowjetunion auch das „Moldauische“ (also Rumänische) in kyrillischen Lettern geschrieben wurde. Lucinschi war zu jener Zeit gleichsam der „Alibi-Rumäne“ in einem moldauischen ZK, das sich praktisch zur Gänze aus Kadern aus Transnistrien zusammensetzte, was seine historischen Wurzeln naturgemäß in der Entwicklung vor 1940 besaß. Moskau vertraute nur „alteingesessenen“ Leuten, was mit zunehmender Erstarrung der politischen Strukturen innerhalb der KPdSU mehr und mehr zu einem gesellschaftlichen Problem in Moldawien wurde. Die Führung entfremdete sich über die Jahrzehnte immer mehr von ihrer eigenen Bevölkerung, was ausgerechnet im November 1987 anlässlich der Feiern zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution zu einem für Moskau völlig unerwarteten Aufstand in Moldawien führte.

Aktivisten der „rumänischen Volksfront“ (sogenannte Volksfronten hatten sich in diesen Tagen in mehreren Sowjetrepubliken mit dem Ziel gebildet, die Sowjetunion zu zerstören und an ihre Stelle Nationalstaaten nach westlich-kapitalistischem Vorbild zu etablieren) nutzten die Parade zum Jahrestag, um ins moldauische Innenministerium einzudringen und dieses in Brand zu stecken.

Flankiert wurde dieser Coup durch Proteste der Chisinauer Bevölkerung, welche durch die sich dramatisch verschlechternde Versorgungslage befeuert worden waren. Die KP-Führung verlor den Kopf und ersetzte Grossu wenig später durch Lucinschi, von dem man sich eine Normalisierung der Situation erhoffte.

Doch Lucinschi wurde die nationalistischen Geister, die er selbst gerufen hatte, nicht mehr los. Anfang 1990 musste er der „Volksfront“ zugestehen, mit eigenen Kandidaten bei den Sowjetwahlen antreten zu dürfen. Zwar erhielt die KP Moldau mit 177 Sitzen eine klare Mehrheit, doch die 101 Mandatare der „Volksfront“ waren ein markantes Zeichen dafür, dass die Zeichen auf Wandel standen. Moldau zählte neben den baltischen und den kaukasischen Republiken ab diesem Zeitpunkt zu jenen Teilen der Sowjetunion, die sich aus dem Staatsverband verabschieden wollten. Der Versuch der alten sowjetischen Elite, durch eine Absetzung Gorbatschows („Augustputsch 1991“) das Steuer noch einmal herumzureißen, schlug nachgerade grundlegend fehl und hatte für die KP Moldaus dramatische Folgen. Die „Volksfront“ stürzte die Moldauische KP-Regierung und verbot am 23. August 1991 die Kommunistische Partei. Nur vier Tage später proklamierten die neuen Machthaber die Unabhängigkeit ihres Landes von der Sowjetunion.

III. Geburtswehen

Neuer starker Mann in Chisinau war Mircea Snegur, ein ethnischer Rumäne, der 1985 bis 1989 ZK-Mitglied der KP gewesen und als Präsident dem Obersten Sowjet Moldawiens vorgesessen war. Snegur wechselte eilig die Fronten und machte sofort Nägel mit Köpfen. Er ließ die Rückkehr zur lateinischen Schrift beschließen und Russisch als zweite Amtssprache abschaffen. Er stellte sicher, dass es neben ihm keinen zweiten Kandidaten bei der „Wahl“ zum neuen Staatsoberhaupt geben durfte und wurde mit sagenhaften 98 Prozent zum ersten Präsidenten der Republik Moldau gewählt, was selbst der Westen (zum damaligen Zeitpunkt) als Farce wertete.

Doch Snegur verstand es, sich rasch im Westen beliebt zu machen. Er wrackte alles, was an genuiner industrieller Infrastruktur in Moldawien vorhanden war, ab und verscherbelte den lukrativen Teil der moldauischen Wirtschaft an den Westen. Für die moldauische Bevölkerung freilich bedeutete dieser ökonomische Tranformationsprozess eine veritable Katastrophe. Weite Teile verloren ihre Arbeit, soziale Unsicherheit und markante Armut wurden zum täglichen Alltag und führte zu einer starken und nachhaltigen Abwanderung. Moldawien, das 1989 noch 4,4 Millionen Einwohner zählte, verfügt heute nur noch über 2,5 Millionen Staatsbürger.

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Vor allem aber wurde nun der jahrzehntelang kaum übertünchte Kontrast zwischen West-Moldawien und Transnistrien schlagend, denn die Bewohner Transnistriens reagierten auf die Unabhängigkeit der Republik ebenso dünnhäutig wie zur selben Zeit die serbische Bevölkerung Bosniens auf den Separatismus der muslimischen Machthaber in Sarajevo. Erfreulicherweise blieb Bessarabien jedoch ein Bürgerkrieg erspart. Die Teile östlich den Dnjestr spalteten sich offiziell noch 1991 vom Rest der Republik ab, der Versuch der Führung in Chisinau, das Gebiet militärisch zurückzuerobern, schlug nach wenigen Tagen fehl. Seitdem bildet Transnistrien de facto einen eigenen Staat, in dem die moldauischen Behörden nichts zu bestellen haben. Anders als im Rest der ehemaligen Sowjetrepublik ist Russisch in Transnistrien weiterhin zweite Amtssprache neben Rumänisch, das politische Gefüge unterscheidet sich signifikant von jenem der „Republik“.

Die militärische Niederlage in Transnistrien hatte auch Folgen für die Innenpolitik. 1993 durfte sich die Moldauische KP wiedergründen, und gleich bei der nächsten Wahl avancierte sie zur einzigen ernstzunehmenden Herausfordererin des Snegur-Regimes. Sie erzielte 22 Prozent der Stimmen, während der Snegur-Block auf 43 Prozent kam. Vier Jahre später wurde die KPM mit über 30 Prozent der Stimmen bereits stärkste Partei. Wladimir Woronin, seit 1993 ihr Vorsitzender, begründete eine politische Hegemonie, die bis 2009 währen sollte.

IV. Moldawischer Maidan

Die Wahlergebnisse der KPM konnten sich sehen lassen. Einhergehend mit einer nachhaltigen Sozial- und Wirtschaftspolitik, welche die Verhältnisse in Moldawien nach den Jahren des Snegurschen Raubtierkapitalismus wieder halbwegs stabilisierte, wuchs die KP von Wahl zu Wahl in immer lichtere Höhen. 2001 erreichte sie 50,1 Prozent der Stimmen, 2009 immer noch 49,5 Prozent. Doch die moldawische Verfassung erlegte Woronin Grenzen auf. 2009 durfte er nicht mehr als Staatspräsident kandidieren. Seine Nachfolgerin als Ministerpräsidentin, die neue KP-Chefin Zinaida Greceanu, sollte ihn nun auch als Staatsoberhaupt beerben. Doch beim entscheidenden Wahlgang fehlte ihr eine Stimme. Das Land schien auf eine Verfassungskrise zuzusteuern.

Diesen Umstand wussten die westlichen Kräfte für ihre Zwecke zu nützen. Wie schon in der Ukraine, Georgien und Kirgistan gingen Demonstranten – die CIA sollte später in einem eigenen Buch („Reclaiming Democracy“) voller Stolz darauf hinweisen, dass diese nicht nur von ihr finanziert, sondern auch politisch angeleitet worden waren – daran, die Regierung durch zielgerichtete Unruhen zu destabilisieren. Wie schon 1987 wurden Amtsgebäude in Brand gesteckt, Ordnungskräfte angegriffen und Infrastruktureinrichtungen sabotiert. Der Mob zog prügelnd und marodierend durch die Straßen Chisinaus, wobei es ihm gelang, das Parlament zu stürmen, auf dessen Spitze die moldauische Fahne heruntergerissen und durch die rumänische Fahne ersetzt wurde. Die Regierung wich vor der Wut der Proteste zurück und ordnete eine Neuwahl an, die gleichwohl das wahre Kräfteverhältnis in Moldawien zeigte. Die KPM erhielt immer noch 45 Prozent der Stimmen, doch gelang es den „europäischen“ Parteien durch den Abfall einiger KP-Abgeordneter eine Vierparteienkoalition zu zimmern, die schließlich die Herrschaft der KPM formal beendete. Damit des Missvergnügens nicht genug, vermochte der Westen in die KPM einen Keil zu treiben, der zu einer Spaltung der Partei führte, wodurch das proeuropäische Element endlich fest im Sattel saß. Zwar gelang es im Vorfeld der Wahlen 2019, die Spaltung unter der Führung von Greceanu und Igor Dodon zu überwinden, wodurch die Partei wieder zur stärksten Fraktion im moldawischen Parlament avancierte, aber die Dominanz der „proeuropäischen“ Kräfte blieb davon unberührt. Mitten in der Covid-Krise riefen diese überhastet eine außerordentliche Neuwahl aus, die bei einer Wahlbeteiligung von weit unter 50 Prozent eine Mehrheit für die Regierung ergab, die gegenwärtig 63 der 101 Abgeordneten stellt, während die Partei Woronins, Dodons und Greceanus über 32 Mandatare verfügt. Sechs Abgeordnete sitzen als „wilde Mandatare“ ebenfalls im Parlament. Die eigentlich starke Frau in Moldau ist freilich Maia Sandu, die 2020 knapp gegen Dodon die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnte. Sie ernannte ihren Sekretär zum Premierminister und regiert seitdem ganz im Sinne der Interessen der EU.

V. Die gegenwärtige Lage

Spätestens seit dem Ausbruch des Krieges im Osten der Ukraine hat sich die Lage in Moldawien neuerlich zugespitzt. Dabei stellt die politische Frontstellung nur einen Aspekt dar. Von entscheidender Bedeutung ist der wirtschaftliche Niedergang, den die Republik in den 30 Jahren ihres Bestehens genommen hat. Zählte Moldawien neben den baltischen Republiken und der Ukraine zu den wohlhabenden Teilen der UdSSR, so stellt es heute neben dem Kosovo das Armenhaus Europas dar. Zwar stieg das durchschnittliche Einkommen von knapp mehr als 100 Euro zu Beginn des Jahrtausends auf nunmehr knapp 600 Euro im Jahr 2023, doch durchlief das Land im Gefolge der Covid-Maßnahmen eine Inflation von bis zu 30 Prozent, was den Lohnanstieg entsprechend relativiert. Zudem müssen viele Pensionisten mit Summen zwischen 200 und 300 Euro auskommen, was unter herkömmlichen Bedingungen unmöglich ist. Viele jener Moldauer, die nicht ins Ausland abgewandert sind, leben von der Schattenwirtschaft oder sind von Geldsendungen abhängig, die sie von Verwandten im Ausland bekommen. Vordergründig erscheint die Arbeitslosenquote mit knapp unter fünf Prozent durchaus akzeptabel, doch ist dabei zu bedenken, dass viele Erwerbstätige Kurzarbeit oder Teilzeitjobs haben, was sich entsprechend auf das Einkommen auswirkt. Reisen sind damit ebenso wenig leistbar wie kleinerer Luxus. Selbst Elektrogeräte erweisen sich oft als unerschwinglich, und ob des maroden Gesundheitssystems ist eine ernsthafte Erkrankung oft in mehrfacher Hinsicht existenzbedrohend.

Hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit liegt Moldawien ziemlich weit hinten. Gerade einmal 40 Staaten, die meisten davon in Afrika oder Lateinamerika, weisen diesbezüglich noch schlechtere Daten auf. Dies auch deshalb, weil das BIP zuletzt regelmäßig schrumpfte. Als zusätzlicher Nachteil entpuppt sich die einseitige ökonomische Orientierung auf die beiden Nachbarstaaten Rumänien und Ukraine, da letztere durch den Überfall auf ihr Territorium derzeit kaum in der Lage ist, moldauische Produkte im üblichen Ausmaß abzunehmen, was die ohnehin bereits angespannte wirtschaftliche Lage Moldaus weiter zuspitzt.

Ein weiterer negativer Faktor ist der fortschreitende Bevölkerungsverlust. Hatte Moldau 1991 ohne Transnistrien 3,7 Mio. Einwohner, so sind es jetzt 2,5 Millionen. Die meisten Emigranten sind junge, leidlich gut ausgebildete, Fachkräfte, die vor allem den Lockungen Rumäniens erlagen, das lange damit warb, Moldauern unkompliziert die Staatsbürgerschaft zu verleihen, womit diese in den Genuss des EU-Binnenmarkts kamen. Viele ungelernte Hilfskräfte, zumeist Frauen, zogen zudem nach Italien, wo die Sprachbarriere verhältnismäßig gering ist, um dort als Pflegekräfte, im Haushalt oder am Reinigungssektor tätig zu sein. Die Abwanderung erwies sich als so massiv, dass viele moldauische Kinder bei den Großeltern aufwachsen, da ihre Väter in der rumänischen Industrie und ihre Mütter in der italienischen Pflege arbeiten.

Auch in Transnistrien geht die Bevölkerung kontinuierlich zurück, von 660.000 zu Beginn der Abspaltung auf gegenwärtig 460.000. Gemeinsam hat das Territorium also innerhalb von 30 Jahren ein Drittel seiner Einwohnerschaft verloren. Vor allem aber deutet derzeit nichts darauf hin, dass Moldau und Transnistrien eines Tages wieder vereinigt sein könnten, sodass jeder Landesteil seine Probleme immer weiter perpetuiert.

Angesichts dieser Gemengelage erscheint es gelinde gesagt kühn, Moldau eine EU-Beitrittsperspektive zu attestieren. Vor allem, wenn man bedenkt, welche Anforderungen die EU üblicherweise an Beitrittswerber stellt. Staaten mit weit besseren Kenndaten wie die Türkei, Serbien oder Albanien werden seit Jahrzehnten hingehalten, während man ausgerechnet einer ausgedünnten und wirtschaftlich maroden Republik den roten Teppich ausrollt? Ein letztlich ähnlich unrealistisches Szenario wie im Fall der Ukraine, zumal absehbar ist, dass die EU wohl auf viele Jahre Moldawien durchfüttern müsste.

Vor diesem Hintergrund ist das von der moldauischen Regierung angekündigte „Referendum“ über einen EU-Beitritt Moldawiens vor allem eines: Show. Moldawien wäre, wenn überhaupt, frühestens in zehn Jahren beitrittsreif. Und wer weiß, ob es die EU dann überhaupt noch gibt.


Titelbild: Sasha Pleshco auf Unsplash

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