Von der Kunst, auf dem Seil zu tanzen
Petra Reski lebt in und schreibt über Italien, das Gastland war an der Frankfurter Buchmesse und an den Literaturtagen im schweizerischen Zofingen. In ihrem neuen Buch „All’italiana! – Wie ich versuchte, Italienerin zu werden“ berichtet sie, wie es dazu kam, Wahlitalienerin zu werden, wie es ihr als Journalistin und Privatmensch geht, in diesem Land voller Widersprüche und wie es sich in einer politischen Dauerbaustelle lebt. – Sonntag ist Büchertag
Urs Heinz Aerni stellte ihr dazu Fragen.
Urs Heinz Aerni: In Ihrem sehr lesenswerten Buch «All’italiana!» fand ich diesen Satz: «In Italien korrekt zu sein ist so, als wäre man ein Pazifist im Islamischen Staat. Oder Vordrängler in England.» Starker Tobak. Woher kommt Ihre Direktheit? Aus dem Ruhrgebiet, Ihrem Ursprungsort oder aus Italien, Ihrer Wahlheimat?
Petra Reski: Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Italiener*innen sind direkt, um andere zum Lachen bringen – und um so das Leben zu entdramatisieren. Davon habe ich gelernt.
Aerni: Wie würden Sie Ihre Haltung beim Schreiben formulieren?
Reski: Ich beschreibe Italien aus der Sicht einer Nicht-Italienerin. Als Deutsche erlebe ich die scheinbar verwirrende politische Entwicklung Italiens nicht aus der Distanz, sondern aus nächster Nähe.
Aerni: Als Deutsche in Italien ist es doch wie eine Journalistin in der Welt – man beobachtet, kommentiert, ist aber nie ganz bei den Leuten. Wie sehen Sie das?
Reski: Ich hatte nie den Korrespondentinnenblick, mit dem man auf die zu beschreibenden wie auf ein wundersames Völkchen blickt, was möglicherweise daran liegt, dass ich mich mit Italien von Anfang an verwandt gefühlt habe. Wie mit einer Familie, die einem manchmal wahnsinnig auf die Nerven geht, aber die man nie missen möchte. Einfach weil man zu ihr gehört.
Aerni: Sie haben das Familiengefühl schon im Blut?
Reski: Ich bin in einer ostpreußisch-schlesischen Großfamilie aufgewachsen, mit einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl – und das habe ich in Italien wiedergefunden.
Aerni: Irgendwo las ich, dass Sie sich in Venedig verliebt haben – wer nicht? War es wirklich nur die Stadt?
Reski: Ich habe mich nicht in Venedig verliebt, sondern in einen Venezianer. Mit ihm begann meine Beziehung zu Italien. In Venedig habe ich mich erst verliebt, nachdem ich die Verletzlichkeit der Stadt entdeckt habe, sie hat mein Gerechtigkeitsgefühl angesprochen.
Aerni: Italien ist Sehnsuchtsland und gleichzeitig eine Problemzone für Europa. Unzählige Regierungswechsel in wenigen Jahren, lärmige Machos an der Spitze und doch ein Land voller Poesie, Blüte und Lebenslust. Was können wir von Italien lernen?
Reski: Pragmatismus und die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen. Was die Machos betrifft, so kenne ich davon auch jede Menge in Deutschland – ich würde sogar sagen, dass Italienerinnen grundsätzlich selbstbewusster mit Männern umgehen.
Aerni: Sie leben in Venedig. Wären für Sie Orte wie Messina, Bari, Grosseto oder Belluno genauso Optionen als Lebensmittelpunkt?
Reski: Wenn der Venezianer an meiner Seite gesagt hätte: Morgen ziehen wir nach Peking, wäre ich ihm auch dahin gefolgt. Ich hänge nicht an Orten, sondern an Menschen. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass alle in meiner Familie Flüchtlinge waren. Schon als kleines Kind habe ich gemerkt, dass es keine gute Idee ist, sich an ein Stück Erde zu binden. Das ist bei meinem Mann natürlich total anders, er kann sich gar nicht vorstellen, an einem Ort zu leben, wo er beim Blick aus dem Fenster kein Wasser sieht – eines, das sechs Stunden in die eine und sechs Stunden lang in die andere Richtung fließt. Deshalb bestand für mich niemals die Gefahr, nach Peking ziehen zu müssen.
Aerni: Ihr ehrliches und kritisches Bild von Italien ist nun in diesem Buch zu lesen. Gibt es auch Reaktionen aus Italien und ist eine italienische Übersetzung überhaupt ein Thema?
Reski: Die Italiener*innen blicken ja, wie auch aus meinem Buch hervorgeht, extrem kritisch auf ihr Land, eigentlich noch kritischer als Ausländer. Es ist geradezu eine richtige Selbstgeißelung. Der Schriftsteller Leonardo Sciascia behauptete, dass die schonungslose Bereitschaft zur Selbstkritik von Sizilien und den süditalienischen Regionen aus nach Norditalien vorgedrungen sei. Es sei die Unsicherheit des Südens, die ganz Italien unsicher mache. Diesen Hang zur Selbstgeißelung finde man sonst nur noch bei den Deutschen und bei den Russen – Franzosen und Engländern dagegen sei sie ganz fremd. Die Leser*innen meines Buches – egal ob sie Italiener*innen oder Deutsche sind – spüren aber vor allem, dass ich nicht nur kritisch, sondern auch voller Liebe auf das Land blicke.
Aerni: Und das Übersetzen?
Reski: Das Problem bei der Übersetzung liegt eigentlich eher daran, dass es so wenige Verlage in Italien gibt, die sich nicht den Interessen von politischen Parteien unterwerfen. Das gilt sowohl für die Rechten als auch für die sogenannten Linken. Und wenn man politisch nicht festgelegt werden kann, gilt man als unberechenbar. Ich werde aber dennoch die Hoffnung nicht aufgeben, dass ich einen italienischen Verlag finde. Das hat auch bei vielen anderen meiner Bücher geklappt.
Aerni: Sie schrieben auch Romane. Wenn die Geschichte von Italien ein Roman wäre, welchen Titel würden Sie setzen?
Reski: „Von der Kunst, auf dem Seil zu tanzen“
Das Buch: „All’italiana! – Wie ich versuchte, Italienerin zu werden“ von Petra Reski, Droemer Verlag, 2024, 304 Seiten, ISBN 978-3-426-44768-0
Petra Reski wurde im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Studium besuchte sie die Henri-Nannen-Schule und arbeitete als Redakteurin beim Stern, bevor sie in Venedig ihr Herz verlor. Seit 1991 schreibt sie von dort aus für Zeitschriften wie GEO, DIE ZEIT, Merian und Brigitte, sowie für den Rundfunk. Weitere Bücher von ihr sind „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ (2020) und „Mafia – Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ (2008). 2021 wurde sie mit dem Ricarda-Huch-Preis ausgezeichnet. Petra Reski lebt mit ihrem Mann in Venedig.
Die „Süddeutsche Zeitung“ meint zu ihrem Buch „Als ich einmal in den Canal Gande fiel“: „300 Seiten Sprengstoff. Dabei enthalten die 300 Seiten Sprengstoff. Das ist typisch für Petra Reski, Investigativ-Journalistin und Bestseller-Autorin. Die wortgewandte Schreiberin hüllt die krassesten Tatbestände gern in einen sacht ironischen Plauderton.“
Titelbild: Matteo Angeloni / Pixabay