Der Kampf um die Gleichberechtigung
Der Kampf um ein Leben frei von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität und Identität dauert schon lange und vieles wurde schon erreicht. Doch Errungenschaften müssen auch heute noch verteidigt werden.
Von Nora Waldhör / Marie Jahoda – Otto Bauer Institut
Die Anfänge der modernen Frauenbewegung reichen ins frühindustrielle England und revolutionäre Frankreich zurück. Zahlreiche Vorkämpfer*innen setzten sich seither für ein selbstbestimmtes Leben und gleichberechtigte Teilhabe in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen ein. Zweifelsohne wurde viel erreicht was heute als selbstverständlich gilt. Doch das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und eine gerechte Gesellschaft frei von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität und Identität ist noch lang nicht vollständig erkämpft: Altbekannte Forderungen haben nach wie vor Relevanz, neue Forderungen sind hinzugekommen, genauso wie ein Gender-Backlash, der sexuelle und reproduktive Rechte einzuschränken versucht.
Der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben
Bereits 1791 verfasste Olympe Marie de Gouges (1748-1793) die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ die sie der französischen Nationalversammlung vorlegte und forderte darin die volle politische, ökonomische und rechtliche Gleichstellung von Frauen. Zwei Jahre später setzte sie sich dafür ein, Bürger*innen frei über die künftige Regierungsform wählen zu lassen. Sie wurde verhaftet und wenige Monate später öffentlich hingerichtet.
In Österreich gilt Karoline von Perin (1806-1888) als Pionierin der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie gründete 1848 den Wiener demokratischen Frauenverein, der anders als damalige Frauenvereine keine karitativen Ziele verfolgte, sondern die Verbreitung des demokratischen Prinzips in „allen weiblichen Kreisen“ sowie die Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft und Bildung anstrebte. Auch Karoline von Perin wurde wegen ihres politischen Engagements verhaftet, sie verlor ihr Eigentum und auch das Sorgerecht über ihre Kinder.
Frauen der proletarischen Frauenbewegung sahen sich doppelt ausgebeutet, da sie neben der unbezahlten Reproduktionsarbeit auch einer Erwerbsarbeit nachgehen mussten. Außerdem wurden sie von Genossen diskriminiert, die sogar ein Frauenarbeitsverbot forderten: Weil – so die Begründung – Frauenarbeit die Löhne drücken würde. Frauen verdienten damals oft nicht einmal die Hälfte des Lohnes für die gleiche Arbeit. Zusätzlich wurde argumentiert Erwerbsarbeit widerspräche der „weiblichen Natur“. Hinsichtlich Gleichberechtigung innerhalb der Sozialdemokratischen Partei spielten Bildungsvereine eine wichtige Rolle: Durch Vorträge erhielten Frauen die Möglichkeit, sich Wissen anzueignen. Viele Frauen wurden ehrenamtlich durch engagierte Lehrerinnen unterrichtet. Obwohl es damals eine allgemeine Schulpflicht gab, gab es nach Geschlechtern getrennte Schulen mit getrennten Lehrplänen. Frauen wurde die Ablegung der Reifeprüfung bis Ende des 19. Jahrhunderts verwehrt, ebenso wie der Zugang zu sämtlichen Fach- und Mittelschulen sowie Universitäten.
Marianne Hainisch (1839-1936) forderte 1870 die Errichtung eines Realgymnasiums für Mädchen und die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium. Aus privaten Mitteln schuf sie eine sechsklassige Unterrichtsstätte für Mädchen und 1892 wurde schließlich das erste Gymnasium für Mädchen im deutschsprachigen Raum errichtet.
Eine wichtige Rolle in der sozialistischen Frauenbewegung spielte Adelheid Popp (1869-1939): Sie war die wichtigste Autorin und Redakteurin der Arbeiterinnen-Zeitung, einer Beilage zur Arbeiter-Zeitung. Gemeinsam mit anderen Genossinnen und zum Missfallen mancher Genossen gründete Adelheid Popp den Verein sozialdemokratische Frauen und Mädchen.
Nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer 1907, war eine zentrale Forderung der Sozialdemokratie die Einführung des Frauenwahlrechts, trotz des anfänglichen internen, männlichen Widerstands. Mit der Gründung der Ersten Republik wurde schließlich 1918 auch das allgemeine Wahlrecht für Frauen in Österreich eingeführt. Erstmals zur Anwendung kam es 1919 und nach der ersten Nationalratswahl zogen sieben weibliche sozialdemokratische Abgeordnete, nämlich Anna Boschek, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Maria Tusch sowie die christlichsoziale Hildegard Burjan, neben 175 Männern ins Parlament ein.
In der Zweiten Republik spielte Johanna Dohnal (1939-2010) eine zentrale Rolle. Als Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen ab 1979 und von 1990 – 1995 als erste Frauenministerin Österreichs erkämpfte Johanna Dohnal zahlreiche Verbesserungen für Frauen, etwa beim Gewaltschutz, bei der Gleichbehandlung und Frauenförderung oder im Ehe- und Familienrecht.
Altbekannte Forderungen haben nach wie vor Relevanz
Doch trotz vieler Errungenschaften gibt es noch viel zu tun, beispielsweise bei der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Schon im August 1848 fand die erste Frauendemonstration von Erdarbeiterinnen aufgrund ungerechter, geschlechterspezifischer Lohnkürzungen statt, aber auch noch 2021 verdienten Frauen um rund 19 Prozent weniger, als ihre Kollegen. Die Folgen sind u.a. noch größere Unterschiede bei den Pensionen – durchschnittlich sind Frauenpensionen um rund 42 Prozent geringer als Männerpensionen – und erhöhte Altersarmut bei Frauen. Auch in Bezug auf Gewalt und Mord steht Österreich nicht gut da: Statistisch gesehen werden in Österreich mehr als zwei Frauen pro Monat ermordet. In vielen Mordfällen handelt es sich um Femizide, also Morde aufgrund des Geschlechts. Die langjährige Forderung nach ausreichenden finanziellen Mitteln für Gewaltschutzeinrichtungen blieb bis dato Großteils ungehört.
Schluss mit Hass und Diskriminierung aufgrund von Sexualität und Identität
Ebenso ist anzunehmen, dass die Gewalttaten gegenüber Schwulen, Lesben, Bisexuellen, transidenten, intergeschlechtlichen und queeren Personen (kurz: LGBTIQ-Community) gestiegen sind. Zwar ist die Datenlage diesbezüglich in Österreich sehr schlecht, da bis November 2020 keine Statistik über Gewalt aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität geführt wurde. Ein Bericht der SOHO Österreich verdeutlicht jedoch, dass der Weg zu echter Gleichstellung der LGBTIQ-Community auch 50 Jahre nach der Entkriminalisierung von Homosexualität in Österreich noch ein weiter ist. Zerrissene oder verbrannte Regenbogenfahnen, Attacken auf Community-Lokale und in manchen Fällen sogar Gewalt gegen LGBTIQ-Personen, die im ganzen Land dokumentiert wurden, bestätigen das feindliche Klima. Eine Befragung der EU-Grundrechtsagentur zeigt außerdem, dass in Österreich 7 % der Befragten LGBTIQ-Personen bei der Wohnungssuche diskriminiert wurden, 21 % in Bars oder Restaurants und 10 % beim Einkauf in Geschäften. Anfang Februar 2022 machte zudem ein Hotel in Niederösterreich Schlagzeilen, das damit wirbt ein „Anti-Homo-Haus“ zu sein und keine Zimmer an homosexuelle Paare zu vermieten.
Dieses Phänomen ist jedoch kein rein österreichisches: Ungarn beschloss 2021 ein Verbot von Aufklärungs- und Bildungsmaterial für Kinder sowie von Werbung, wo sexuelle Orientierungen abseits der heterosexuellen Norm gezeigt werden. Im Jahr davor wurde ein homo- und transfeindliches Gesetz beschlossen, wonach Eltern ausschließlich Paare aus Mann und Frau sein dürfen. Eine behördliche Änderung des Geschlechts wurde bereits im Mai 2020 verboten. Es gilt das Geschlecht, das zum Zeitpunkt der Geburt festgestellt wurde. In einem weiteren EU-Mitgliedsland, nämlich Polen, hat das Verfassungsgericht am 22. Oktober 2020 einen Schwangerschaftsabbruch auch dann als verfassungswidrig und damit für strafbar erklärt, wenn der Fötus schwer fehlgebildet ist. So wurde das ohnehin schon sehr restriktive Gesetz weiter verschärft und ein Schwangerschaftsabbruch defacto gänzlich verboten. Frauenrechtsorganisationen betonen seit langem, dass das polnische Abtreibungsgesetz Frauenleben gefährdet. Seit der Einführung sind bereits zwei Frauen offiziell verstorben, weil ihnen ein Abbruch verwehrt wurde. Im Krankenhaus wurde gewartet bis die Föten starben. Gestorben sind nicht nur die Föten, sondern auch die Frauen. Jährlich werden in Polen pro Jahr weniger als 2.000 Schwangerschaften legal abgebrochen. Frauenrechtsorganisationen schätzen jedoch, dass rund 200.000 Abtreibungen illegal oder im Ausland durchgeführt werden.
Gender Backlash als ernstzunehmende Bedrohung
Der Bericht „Die Spitze des Eisbergs: Religiös-extremistische Geldgeber gegen Menschenrechte auf Sexualität und reproduktive Gesundheit in Europa 2009-2018“ des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte vom Juni 2021 zeigt auf, wieviel Geld für Anti-Gender Bewegungen ausgegeben wurde, woher das Geld kommt, wie sich diese Bewegungen finanzieren und wie sie grenzübergreifend arbeiten sowie die grundsätzlichen, wirtschaftlichen und politischen Motivationen der verschiedenen Akteure.
In Europa gaben von 2009 bis 2018 54 Organisationen, darunter Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Stiftungen, religiöse Organisationen und politische Parteien, mehr als 700 Millionen US Dollar für Anti-Gender Kampagnen aus. Das Geld stammt hauptsächlich aus drei geografischen Regionen, nämlich den USA, Russland und aus Europa. Der Großteil mit etwa zwei Drittel (437,7 Millionen Euro) stammt aus Europa.
Die Ziele der Anti-Gender Organisationen sind die Einschränkung der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und Personen der LGBTIQ-Community, um die „natürliche Ordnung“ mit dem Mann als Patriarchen und Familienoberhaupt, das Macht und Herrschaft ausübt, sicherzustellen.
In Ländern wie Frankreich, Italien, Polen, Slowenien und Spanien konnten Verbindungen Anti-Abtreibungsinitiativen festgestellt werden, in Ländern wie Österreich, Kroatien, Frankreich, Deutschland, Finnland, Italien, Slowenien und Rumänien zu Initiativen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Die Anti-Gender Bewegungen bedrohen aber auch die Rechte von Kindern, etwa in der Diskussion darüber, ob körperliche Gewalt als legitime Erziehungsform legal und damit gesetzlich erlaubt ist.
Wahre Verbündete statt Teilzeitfeminist*innen
Um Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsidentität und Sexualität endlich zu beenden, braucht es klare Gesetze, die jegliche Form der Diskriminierungen vollständig verbieten. Außerdem sind effektive Strategien, um vorhandene Diskriminierungen und Gewalt abzubauen, dringend notwendig. Die geschlechterspezifische Lohnungleichheit etwa könnte durch vollständige Lohntransparenz und effektive Einkommensberichte abgebaut werden. Um Gewalt an Frauen und Personen der LGBTIQ-Community zu bekämpfen, braucht es nationale Aktionspläne, die gemeinsam mit entsprechenden Expert*innen aus den relevanten Bereichen erstellt werden. Natürlich braucht es aber auch mehr Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit in allen öffentlichen Behören und Institutionen, wie Gerichten, Bildungseinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen etc., um vorhandene Vorurteile abzubauen.
Zusätzlich brauchen Frauen und Personen der LGBTIQ-Community wahre Verbündete, die zuhören, Anliegen ernst nehmen, erlebte Erfahrungen nicht kleinreden oder absprechen und die eigene Position dafür nutzen, um sich für andere einzusetzen. Das bloße Teilnehmen an Aktionen zu den „16 Tagen gegen Gewalt an Frauen“ oder der bloße Besuch der „Pride“, um danach ein schickes Foto für Social Media zu haben reicht nicht. Wichtig ist auch wahre Repräsentation in sämtlichen Gremien. Männlich dominierte Machtzentren müssen aufgebrochen werden. Nur so können unterschiedliche Interessen Gehör finden.
Zum Weiterlesen:
• Europäisches Parlamentarisches Forum für sexuelle und reproduktive Recht (2021): Die Spitze des Eisbergs: Religiös-extremistische Geldgeber gegen Menschenrechte auf Sexualität und reproduktive Gesundheit in Europa 2009-2018.
• Frauen machen Geschichte. Geschichte der sozialdemokratischen Frauenbewegung
• SoHo Österreich (2021): Bericht: Die Lage der LGBTIQ-Community im Jahr 2021
• Marie Jahoda – Bauer Institut: Ronja verdient mehr
Dieser Beitrag erschien am 04.03.2022 auf Marie Jahoda – Otto Bauer Institut unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY Attibution 4.0 International veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.