Mehr Frieden wagen – warum wir eine starke und kritische Friedensforschung brauchen
Mit diesem Beitrag möchte ich eine Lanze für den Frieden, genauer gesagt für die kritische Friedensforschung brechen. Gerade in Zeiten der multiplen Krise, das heißt in Zeiten sich gegenseitig verstärkenden und hochschaukelnden Krisenphänomene wie etwa Wirtschaftskrise, Umweltkrise oder der Aufstieg rechtsextremer Kräfte, ist es von großer Bedeutung ein zivilgesellschaftliches, aber auch wissenschaftliches Gegengewicht zu erstellen. Doch was kann das sein? Wie ich noch argumentieren werde, ist es für mich die kritische Friedensforschung!
Ein Gastbeitrag von Josef Mühlbauer
Die kritische Friedensforschung trägt aus meiner Sicht nämlich zur Stärkung der Demokratie bei, indem sie die strukturellen Ursachen von Gewalt, Konflikten und sozialer Ungerechtigkeit untersucht. Zudem analysiert die kritische Friedensforschung wie diese strukturellen und hierarchisierenden Mechanismen beseitigt werden können. Demokratie wird hierbei als ein umfassender Prozess betrachtet, der sich nicht nur auf formale Institutionen beschränkt, sondern auch auf sozialer Gerechtigkeit, Inklusion und aktiver Bürgerbeteiligung und vielem mehr basiert.
Wozu kritische Friedensforschung?
Wie einer der Urväter der kritischen Friedensforschung, nämlich Johan Galtung, bereits vor Jahrzehnten festhielt, haben Formen von Gewalt meist tiefer liegende Ursachen, die oft in Ungleichheiten, Diskriminierung und Ausschluss bestimmter Gruppen verwurzelt sind. Diese strukturelle Gewalt – etwa in Form von (institutionellem) Rassismus (z.B. Racial Profiling) untergräbt das Vertrauen in demokratische Institutionen und verhindert eine inklusive Beteiligung am politischen Prozess aller Bürger:innen. Durch die Analyse und das Aufzeigen solcher Ungleichheiten kann die Friedensforschung dazu beitragen, Reformen anzustoßen, die eine
gerechtere, egalitärere und inklusivere Demokratie ermöglichen. Das Aufdecken kann als eine Art Kritik verstanden werden, welche als kognitive Landkarte und somit als Werkzeug der Orientierung dienen kann. Die Überwindung selbst obliegt jedoch den lokalen Akteuren. Sonst wäre diese Wissenschaft zwar eine eingreifende – wie Prof. Werner Wintersteiner fordert, aber eben auch eine paternalistische. Als eingreifende Wissenschaft kann die kritische Friedensforschung die Zivilgesellschaft aber auch die Politik beraten und ihr zur Seite stehen. Aber nicht im Sinne einer Kriegslegitimation oder Militarisierung wie wir es derzeit leider allzu oft erleben.
Förderung von einem Mehr an Demokratie
Eine der zentralen Ideen der kritischen Friedensforschung liegt in der Überzeugung, dass Frieden nur nachhaltig sein kann, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft aktiv am politischen Geschehen beteiligt sein dürfen. Demokratische Teilhabe kann es nur unter Gleichen geben. Das haben Denker:innen, wie etwa Chantal Mouffe, bereits vor vielen Jahrzehnten analysiert. Ohne demokratische Teilhabe jedoch entsteht ein ständiger Unfrieden und somit Konflikte. Demokratie und somit auch Frieden erfordern also eine inklusive Beteiligung, in der auch marginalisierte Gruppen wie ethnische und religiöse Minderheiten, queere Personen oder wirtschaftlich benachteiligte Klassen die gleichen Möglichkeiten haben, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Die Friedensforschung kann hierbei helfen, die Hindernisse für diese Teilhabe zu identifizieren und Wege aufzuzeigen, wie politische Systeme demokratischer gestaltet werden können. Die Identifizierung dieser Hindernisse führt mich auch schon zum nächsten Punkt.
Kritik an Macht- und Herrschaftsverhältnissen
Demokratie kann durch ungleiche Machtverhältnisse und die Dominanz wirtschaftlicher oder politischer Eliten geschwächt werden. In der Fachsprache der Politikwissenschaft spricht man hierbei von einer Oligarchie oder gar von einer Autokratie. Die kritische Friedensforschung untersucht, wie solche Machtstrukturen historisch gewachsen sind und welche Faktoren dazu führen, dass diese Strukturen aufrechterhalten werden, sei es in Form von Ideologie oder militärischer Gewalt. Zudem fördert dieser Forschungsstrang gewisse Strategien, um diese Herrschaftsstrukturen zu dezentralisieren. Indem sie Ungerechtigkeiten und die Konzentration von Macht aufdeckt und analysiert, kann sie dazu beitragen, demokratische Prozesse zu stärken und eine gerechtere Verteilung von politischer Macht zu fördern.
Kultur des Dialogs und der Gewaltfreiheit
Kritische Friedensforschung betont ganz stark die Bedeutung eines zivilen Dialogs und gewaltfreier Konfliktlösungsstrategien. Erica Chenoweth und Maria J. Stephan haben 2011 in ihrer bahnbrechenden Studie „Why Civil Resistance Works“ über 300 Widerstandskampagnen zwischen den Jahren 1900 und 2006 untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass gewaltfreie Bewegungen fast doppelt so erfolgreich waren wie gewaltsame Aufstände. Indem gewaltfreie Bewegungen breite Teile der Bevölkerung mobilisieren, können sie ihre friedlichen Kampagnen effektiver politisch legitimieren. Somit werden Gesellschaften viel weniger polarisiert – wie wir es leider heutzutage sehen können – und Machthaber verlieren ihre Legitimität, wenn sie repressiv gegen solche friedlichen Bewegungen vorgehen.
Diese Kultur der Dialogs, wie ich diese friedlichen Widerstände nennen möchte, unterstützt demokratisch geprägte Gesellschaften, indem sie den öffentlichen Diskurs über komplexe Themen fördert und sicherstellt, dass unterschiedliche Meinungen und Positionen gehört werden. Auf dem YouTube Kanal des Varna Institute for Peace Research (VIPR), welcher nun Teil der NGO Empowerment for Peace (EfP) ist, wird diese Kultur des Dialogs auch als Streit- und Salonkultur verstanden. Dort werden friedensjournalistische Interviews geführt, aber auch Friedenskonferenzen, Podiumsdiskussionen, Lesungen und Webinare veröffentlicht.
Entwicklung von Ansätzen für transformative Gerechtigkeit
Damit nicht genug, untersucht die Friedensforschung auch Ansätze zur transformativen Gerechtigkeit, die darauf abzielen, historische Ungerechtigkeiten und Traumata zu adressieren. Solche Ansätze können dazu beitragen, das Vertrauen in demokratische Institutionen und politische Akteure wiederherzustellen, insbesondere in post-konfliktiven Gesellschaften, in denen das Vertrauen in den Staat und in die Demokratie geschwächt wurde.
Buchtipp zur kritischen Friedensforschung
Wer sich mehr mit der kritischen Friedensforschung beschäftigen möchte, dem sei das „Buch des Monats“ (Die Presse) von Josef Mühlbauer & Maximilian Lakitsch, nämlich „Kritische Friedenforschung“ (Mandelbaum Verlag) empfohlen. Darin enthalten sind mehr als zwanzig Buchbeiträge, die die verschiedenen Facetten der Friedensforschung wie etwa dekoloniale Ansätze, Feminismus, Geopolitik und viele weitere aufmachen.
Zum Autor: Josef Mühlbauer, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Empowerment for Peace (EfP), arbeitet an seiner Doktorarbeit im Bereich der Politikwissenschaft und ist Autor mehrerer Bücher. Zudem leitet er den Podcast Varna Institute for Peace Research (VIPR). Er hält Vorträge und Workshops an Hochschulen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Quellen: Chenoweth, Erica & Stephan, Maria (2011): Why Civil Resistance Works: The Strategic Logic of 1
Nonviolent Conflict. Columbia: Columbia University Press.
Mühlbauer, Josef & Gabriel, Leo (2022): Zur imperialen Lebensweise. Mandelbaum Verlag, Wien.
Mühlbauer, Josef & Lakitsch, Maximilian (2024): Kritische Friedensforschung. Konzepte, Analysen & Prognosen. Mandelbaum Verlag, Wien.
Titelbild: Gordon Johnson / Pixabay
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