Das Recht auf Weiterbildung: Das Qualifizierungsgeld endlich in die Tat umsetzen
Alle reden davon, wie wichtig Weiterbildung ist: um den Fachkräftebedarf zu decken, um möglichst lange gesund zu arbeiten, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, um Digitalisierung und den ökologischen Wandel zu bewältigen. Dem ist voll und ganz zuzustimmen. Allerdings gibt es nach wie vor große Hürden für eine selbstbestimmte Weiterbildung: Es gibt immer noch keinen Rechtsanspruch, weder für Arbeitnehmer:innen noch für Arbeitslose, und keine ausreichenden und passenden Finanzierungsmöglichkeiten. Daher braucht es eine Reform: das Qualifizierungsgeld.
Von Silvia Hofbauer und Simon Theurl (A&W-Blog)
Bildung bestimmt die Arbeitsmarktposition
Dass Ausbildung besonders starke Auswirkungen auf die Arbeitsmarktintegration hat, beweisen seit langem die Statistiken. Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist abhängig von der Ausbildung. Mit Abstand am größten ist es, wenn die höchste abgeschlossene Ausbildung die Pflichtschule ist. Die Arbeitslosenquote dieser Personengruppe lag 2023 bei 19,6 % gegenüber der allgemeinen Quote von 6,4 % (Quelle s. unten). Auch das Risiko, immer wieder in prekären und schlecht bezahlten Jobs mit häufiger Arbeitslosigkeit zu landen, ist ohne abgeschlossene Berufsausbildung besonders hoch.
Eine neue Ausbildungschance macht Sinn, ist aber schwierig umzusetzen
Weiterbildungsmaßnahmen werden in Österreich größtenteils vom AMS finanziert. Dies betrifft nicht nur die direkten Kosten der Weiterbildung, sondern vor allem auch die Existenzsicherung während der Qualifizierung. Aber ob Arbeitsuchende tatsächlich eine Weiterbildung durch das AMS erhalten, hängt von mehreren Faktoren ab: Vorrangige Aufgabe des AMS ist die Vermittlung in Beschäftigung. Qualifiziert wird zumeist nur, wenn die Vermittlung nicht gelingt. Wer aus einer Branche mit hoher Nachfrage nach Arbeitskräften, wie etwa Handel, Tourismus oder Reinigung kommt, wird im Regelfall möglichst schnell wieder dorthin vermittelt und bekommt keine Chance, eine Aus- oder Weiterbildung zu machen. Ausnahmen von dieser Vorgangsweise sind derzeit sehr eingeschränkt auf Maßnahmen wie Arbeitsstiftungen oder das Pflege- oder Fachkräftestipendium, die Bildung in erweitertem Maß ermöglichen. Das gekürzte Budget des AMS verringert diese Chancen allerdings zusätzlich.
Auch Beschäftigte, vor allem jene mit niedrigeren formalen Qualifikationen, haben es schwer, berufliche Neuorientierungen oder längerfristige Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu absolvieren und zu finanzieren. Der Grund dafür: Die Betriebe stehlen sich zunehmend aus ihrer Verantwortung und finanzieren Qualifizierungsmaßnahmen für ihre Beschäftigten immer seltener. Und Arbeitnehmer:innen, die Bildungskarenz, Bildungsteilzeit oder ein Fachkräftestipendium in Anspruch nehmen wollen, sind von der Zustimmung ihres Arbeitgebers abhängig. Die bestehenden Instrumente sind für viele Beschäftigte somit unerreichbar.
Reform der bestehenden Systeme notwendig: Qualifizierungsgeld einführen!
Der tiefgreifende Strukturwandel, vor allem aufgrund von Digitalisierung, Klimakrise und demografischem Wandel, geht mit einem Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitnehmer:innen einher. Deshalb ist ein Paradigmenwechsel in der Qualifizierungspolitik notwendig, der adäquate Möglichkeiten für Ausbildungen schafft. Dies betrifft klimarelevante Berufe ebenso wie Berufe in der kritischen Infrastruktur, also Pflege, Elementarpädagogik oder Gesundheit. Auch die Digitalisierung verändert Berufe und Anforderungen an diese deutlich, sodass auch hier Weiterbildung der Schlüssel ist, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. All das erfordert eine Reform der bestehenden Systeme zur beruflichen Weiterbildung (Fachkräftestipendium, Bildungskarenz, Bildungsteilzeit) in Richtung eines neuen Instruments, dem Qualifizierungsgeld.
Das Modell Qualifizierungsgeld:
- Recht auf Weiterbildung: Eine selbst gewählte zweite Ausbildungschance für Beschäftigte und Arbeitsuchende über 25 Jahre (davor greifen die Instrumente der Erstausbildung), von einer beruflichen Weiterqualifizierung bis hin zu einer grundlegenden Neuorientierung. Ausgestattet mit einem Rechtsanspruch, sowohl gegenüber der öffentlichen Hand (Leistung) als auch gegenüber dem Arbeitgeber (Karenzierung oder ähnlich der Elternteilzeit).
- Ausbildungsberatung: Eine qualifizierte, unabhängige Ausbildungsberatung soll die Realisierbarkeit und die Arbeitsmarkttauglichkeit der Ausbildung gewährleisten, ein begleitendes Coaching Abbrüche verhindern.
- Qualifizierung: Innerhalb einer Rahmenfrist von 15 Jahren können insgesamt 36 Monate Aus- und Weiterbildung absolviert werden, wenn in Summe mindestens fünf Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegen. Dies ist in einem Arbeitsleben max. zweimal möglich.
- Deutlich höhere Existenzsicherung: Die Höhe der finanziellen monatlichen Unterstützung im Rahmen des Qualifizierungsgelds entspricht dem Nettobetrag des vom ÖGB geforderten KV-Mindestlohns (derzeit € 2.000).
- Ein neues System: Durch das neue Qualifizierungsgeld sollen die bisherigen Instrumente Bildungskarenz, Bildungsteilzeit und Fachkräftestipendium in ein einheitliches System übergeführt werden.
- Budget: Die Kosten des Qualifizierungsgeldes für geschätzte 40.000 Teilnehmer:innen jährlich, wären etwa € 560 Mio. Dieser Betrag ergibt sich aus den Kosten der Existenzsicherung und Sozialversicherungsbeiträge abzüglich der Kosten von Fachkräftestipendium, Weiterbildungsgeld und Bildungsteilzeitgeld, den Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung sowie aus den zusätzlichen Einnahmen durch Beiträge durch die Beschäftigung von Ersatzarbeitskräften.
- Aufgrund des Strukturwandels braucht es ein systematisches Angebot für eine zweite Ausbildungschance. Da dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, erfolgt die Finanzierung nicht über Sozialversicherungsbeiträge, sondern aus allgemeinen Steuermitteln.
- Wichtig: Die sonstigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Schulungen des AMS sollen dadurch aber nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.
Fazit
Weiterbildung zahlt sich aus: für Arbeitnehmer:innen, um in einer gut bezahlten und sinnstiftenden Beschäftigung arbeiten zu können, und für Arbeitgeber:innen, um qualifizierte Mitarbeiter:innen einsetzen zu können. Damit Menschen auch tatsächlich Qualifizierungen angehen und abschließen können, braucht es allerdings gute Rahmenbedingungen. Es wird Zeit, dass eine neue Bundesregierung diese mit dem Qualifizierungsgeld schafft.
Dieser Beitrag wurde am 19.09.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.