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Nach den EU-Wahlen: Wer gibt im Euro­päischen Parla­ment den Ton an?

Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind geschlagen. Damit verbunden ändert sich die Zusammensetzung des Europäischen Hohen Hauses teils erheblich: So gibt es neben der Europäischen Volkspartei (EVP) und den Europäischen Sozialdemokrat:innen(S&D) mit der rechtsgerichteten Fraktion „Patriots for Europe“ (PfE) nun eine neue Gruppierung, die von der Mandatsstärke gleich auf Platz drei vorgestoßen ist. Spitzenfunktionen im Parlament wurden neu vergeben. Gerade hier stellt sich die Frage: In welchen Funktionen sind die österreichischen Abgeordneten wiederzufinden?

Von Frank Ey, Referent in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien (A&W-Blog)

Rechte Gruppierungen deutlich gestärkt

Populistische und extrem rechte Vertreter:innen im Europäischen Parlament gingen aus der Wahl deutlich gestärkt hervor. Sie stellen nun 187 der 720 EU-Abgeordneten, damit rund 26 Prozent aller EU-Abgeordneten, aufgeteilt auf drei Fraktionen: Die neue Gruppe der „Patriots for Europe“ stellt mit 84 Sitzen die stärkste der rechten Parteien dar und umfasst unter anderem den französischen Rassemblement National von Marine Le Pen, die ungarische Fidesz von Viktor Orbán, Geert Wildersʼ Partij voor de Vrijheid aus den Niederlanden, die belgische Vlaams Belang, die spanische VOX, die italienische Lega und die tschechische ANO 2011. Auch Österreichs FPÖ ist bei den Patrioten für Europa organisiert, Harald Vilimsky stellt einen der stellvertretenden Vorsitzenden.

 

In der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ finden sich 78 Abgeordnete. Unter anderem Vertreter:innen von Giorgia Melonis Fratelli D’Italia und die PiS aus Polen sind dort organisiert.

Die dritte Fraktion ist die extrem rechte Gruppe „Europa der Souveränen Nationen“ (ESN), deren bekannteste Partei die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist. Zudem sind einige wenig bekannte Vertreter:innen aus Ungarn, Frankreich, Polen, der Slowakei, Bulgarien und Lettland in dieser Gruppe.

Europäische Volkspartei mit Abstand stärkste Kraft

Mit 188 EU-Abgeordneten ist die Europäische Volkspartei (EVP) die mit Abstand stärkste Kraft im EU-Parlament. Dahinter folgen die Europäischen Sozialdemokrat:innen mit 136 Mandaten und damit um 52 Sitzen weniger als die EVP. Die EVP konnte ihre Vormachtstellung gegenüber der letzten Legislaturperiode sogar um neun Sitze ausbauen, während die Sozialdemokrat:innen mit zwei Sitzen weniger einen moderaten Verlust verzeichneten.

Bemerkenswert ist, dass gleich zwei der drei Rechtsaußen-Fraktionen zur dritt- und viertstärksten Kraft geworden sind, während die Liberalen mit 77 und die Grünen mit 53 Mandaten deutlich zurückgefallen sind und damit an Einfluss verlieren. Einen Achtungserfolg erzielten die Linken, die nun auf 46 Sitze kommen und damit neun Mandate mehr haben als bisher.

Mit diesen Kräfteverhältnissen ist davon auszugehen, dass in dieser Legislaturperiode Unternehmenswünsche im Vordergrund stehen werden. Gesellschaftspolitisch wichtige Themen dürften wesentlich schwerer durchzusetzen sein, denn auch auf Ratsebene haben sich die Kräfteverhältnisse in eine ähnliche Richtung wie im EU-Parlament verändert. Die Europäische Kommission hat ihre Ausrichtung bereits seit letztem Jahr Schritt für Schritt angepasst.

Wichtige Personalentscheidungen getroffen – Österreicher:innen gehen vorerst leer aus

Die Maltesin Roberta Metsola wurde erneut zur Präsidentin des Europäischen Parlaments gewählt. Bei der Wahl der Vizepräsident:innen verhinderten die EU-Abgeordneten die Wahl von Vertreter:innen der Patrioten und der ESN zu einem der 14 Vizepräsident:innen. Zwei Abgeordnete der EKR wurden jedoch zu Vizepräsident:innen gewählt, darunter eine Vertreterin der Fratelli D’Italia.

Auch bei der Bestellung der Quästor:innen, die mit Verwaltungs- und Finanzagenden im EU-Parlament betraut sind, konnte sich nur ein Quästor von der EKR durchsetzen, während die Patrioten und die ESN nicht zum Zug kamen.

Beide Positionen sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil Präsidentin, Vizepräsident:innen und Quästor:innen zusammen das Präsidium des Europäischen Parlaments bilden. Das Präsidium trifft wichtige Entscheidungen zu Organisation, Personal und Verwaltung des Europäischen Parlaments.

Leider in beiden Gremien nicht vertreten sind österreichischen EU-Abgeordnete. In der letzten Gesetzgebungsperiode waren mit Evelyn Regner (SPÖ) und Othmar Karas (ÖVP) noch zwei Österreicher:innen als Vizepräsident:innen vertreten. Es ist jedoch nicht ganz ausgeschlossen, dass sich die bzw. der eine oder andere österreichische Abgeordnete dann zur Halbzeit der Legislativperiode für eine Spitzenfunktion etablieren kann.

Neubesetzung der Ausschüsse im Europäische Parlament

Die Prioritäten der EU-Abgeordneten im Europäischen Hohen Haus lassen sich schon jetzt daran ablesen, wie viele Mandatar:innen den Ausschüssen jeweils zugebilligt werden. Am deutlichsten aufgewertet wurde der Industrie-, Forschungs- und Energieausschuss, in dem mit 90 Abgeordneten nun zwölf Mandatar:innen mehr als bisher tätig sein werden. Der Ausschuss für Umwelt-, Gesundheit- und Lebensmittelfragen wird mit zwei zusätzlichen Abgeordneten ebenfalls über 90 Sitze verfügen. Mit sieben zusätzlichen Sitzen wurde auch der Binnenmarktausschuss (52 Sitze) erheblich aufgestockt. Eine deutliche Aufwertung erfährt auch der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, der mit sechs zusätzlichen Mandatar:innen ausgestattet werden soll und dann 75 Abgeordnete beherbergt.

In der Woche ab 23. Juli 2024 werden sich dann auch die Ausschüsse mit den neuen EU-Abgeordneten konstituieren. Dabei werden dann sowohl die Präsident:innen als auch die Vizepräsident:innen gewählt. Ob und welche österreichischen EU-Abgeordneten eine dieser wichtigen Positionen erhalten werden, ist noch offen.

EU-Abgeordnete bestätigen Kommissionspräsidentin von der Leyen für eine zweite Amtszeit

Ursula von der Leyen musste nach dem grünen Licht im Rat auch vom Europäischen Parlament gewählt und damit für eine zweite Amtszeit bestätigt werden. Mit 401 Stimmen erzielte sie eine klare Mehrheit – notwendig waren 360. In einem nächsten Schritt wird die Kommissionspräsidentin nun Schreiben an die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer versenden, in denen diese aufgefordert werden, jeweils zwei Vorschläge (eine Frau und einen Mann) für den Posten einer Kommissarin bzw. eines Kommissars zu übermitteln.

Wer die beiden Kommissars-Kandidat:innen aus Österreich sind, die die Regierung benennen wird, ist noch offen. In der öffentlichen Diskussion um den Posten machten die Regierungsvertreter:innen bislang keine allzu glückliche Figur.

Nach der Sommerpause wird das Europäische Parlament dann Anhörungen in den jeweils fachlich zuständigen Ausschüssen durchführen. Das Kommissar:innenkollegium muss dann vom Europäischen Parlament bestätigt werden. In der Vergangenheit gab es regelmäßig Kommissarskandidat:innen, die bei den Anhörungen durchfielen. Vor fünf Jahren waren es sogar gleich drei Kandidat:innen, die sich im Zuge der Anhörungen wieder zurückziehen mussten. Es bleibt also spannend im EU-Parlament.


Dieser Beitrag wurde am 22.07.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: hpgruesen / Pixabay

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