ME/CFS – die ignorierte Krankheit
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere Multisystemerkrankung, die vor allem bei jungen Menschen ausbricht und überwiegend Frauen betrifft. Obwohl die Krankheit bereits seit 1969 von der WHO anerkannt und klassifiziert ist (ICD-10 G93.3), gibt es bis heute keine Versorgungsstrukturen und Medikamente für die Krankheit.
Von Margit Gugitscher
Schon vor der Covid-19 Pandemie waren in Österreich zwischen 26.000 und 80.000 Menschen von ME/CFS betroffen (Prävalenz 0,3-0,9%). ME/CFS tritt damit sogar häufiger als Multiple Sklerose auf. Aufgrund der geringen Bekanntheit, Expertise und Erfahrung von Mediziner:innen sowie überholter Vorstellungen zum Krankheitsbild, ist ein Großteil der Betroffenen nicht oder nicht richtig diagnostiziert. Sie werden daher nicht als ME/CFS Erkrankte „sichtbar“ und es entsteht fälschlicherweise der Eindruck, die Krankheit sei selten.
ME/CFS führt zu erheblichen Beeinträchtigungen – von Arbeitsunfähigkeit bis hin zur Pflegebedürftigkeit und in sehr schweren Fällen sogar zum Tod. Ausgelöst wird ME/CFS in den meisten Fällen durch eine Infektion und tritt vor allem bei jungen Menschen und überwiegend Frauen auf. Trotz der Schwere und des starken Anstiegs von ME/CFS durch die Corona-Pandemie fehlt es nach wie vor an medizinischer und sozialer Unterstützung sowie Forschung. So gibt es in ganz Österreich keine einzige spezialisierte Anlaufstelle für ME/CFS-Betroffene oder aufsuchende Betreuung für Bettlägerige.
Pacing und symptomatische Behandlungsansätze
Da eine Therapie trotz der Schwere der Krankheit bisher nicht verfügbar ist, ist derzeit nur eine symptomlindernde Behandlung möglich. An erster Stelle steht das Pacing, ein Energiemanagementansatz, der die krankheitstypische Post Exertional Malaise (PEM) – die Zustandsverschlechterung durch Belastung – verhindern soll, um die Betroffenen möglichst zu stabilisieren. An zweiter Stelle stehen medikamentöse Behandlungsversuche zur Linderung von Symptomen. Sehr schwer von ME/CFS betroffene sind oftmals gar nicht in der Lage, Behandlungsversuche oder Pacing umsetzen zu können.
Keine soziale Absicherung trotz schwerer Krankheit
Die NICE ME/CFS-Leitlinie, die Internationalen Konsensuskriterien, und der Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) aus Deutschland unterscheiden 4 Schweregrade. Die Übergänge der Gruppen sind fließend und geben eine Orientierung zum Einfluss der Schwere der Erkrankung auf alltägliche Funktionalität.
Die Mängel des Gesundheitssystems setzen sich im Sozialsystem fort. Der Großteil der ME/CFS-Betroffenen verliert mit der Krankheit die Arbeitsfähigkeit. Trotzdem herrschen gravierende Missstände bei der Anerkennung von Berufsunfähigkeitspension oder Grad der Behinderung.
„Ich glaube an diese Mär vom „besten Gesundheitssystem der Welt“ schon seit MS und Endometriose nicht mehr, aber dass es noch schlimmer kommen kann, hätte ich nicht gedacht“, so Magdalena H.* (56). Die selbstständige Graphikerin lebt und arbeitet in Vorarlberg.
ME/CFS Woche 13 und wie mein derzeitiger Alltag als moderat Betroffene aussieht: Die Pulsuhr sagt mir seit einiger Zeit, wie mein Rhythmus sein darf und wo ich gerade stehe. Höher als auf 85 bis 90 bpm darf der Puls über einen Zeitraum von wenigen Minuten bei mir nicht gehen, denn sonst beginnt der Körper zu vibrieren, zu zittern und ich werde ungeduldig, ungeschickt, aggressiv und fahrig. Ich nenne es „Das große Zittern“. Jede noch so geringe Belastung – wie angesprochen zu werden – ist dann zu viel.
Stellt euch vor, ihr habt drei Tage und Nächte durchgefeiert, mit reichlich Kaffee, Redbull, Alkohol und – keine Ahnung – was für Substanzen und ihr geht danach immer noch nicht ins Bett, sondern direkt zur Arbeit. Und das alles ohne den Spaß. So fühlt sich „das große Zittern“ an. Es ist die Warnung des Körpers, dass ich über der Belastungsgrenze bin, die dann zwangsläufig ein Zombie-Down auslöst. So habe ich diese absolute Energielosigkeit, (Flaute, Sense, Stecker gezogen) genannt, bevor ich wusste, dass das bei ME/CFS als „Crash“ bezeichnet wird. Die Belastungsgrenze ist bei mir erreicht nach einer Dusche (ohne Haare waschen, abtrocknen, Body Lotion oder anderem Schnickschnack). Oder wenn ich mein Bett, auf dem ich den Großteil des Tages sitzliegend verbringe, mal ordentlich aufschütteln und glatt ziehen möchte.
Bei mir verläuft das derzeit in relativ engen Wellen. Morgens kurz nach dem Aufwachen: Zombie. Vormittags: Zittern. Dazu Schädelbrummen, Übelkeit, Schwindel, Benommenheit wie bei einem Kater. Ich fühle mich vergiftet. Manchmal kommt auch eine ziemliche Blödheit hinzu. „Cog Fog“. Mittags: Mega-Zombie: Eine tiefe Erschöpfung. Im Hirn zu wenig Blut, in den Armen zu viel? Ich spüre regelrecht, dass mit der Hirnchemie etwas nicht stimmt, fühle mich als hätte ich K.O.-Tropfen im Tee. Ich muss liegen. Am besten schlafen. Aber das geht gar nicht immer so einfach. Nachmittags: Das Zittern geht weiter. Je nach Aktivität bzw. eigentlich eher je nach Nichtaktivität wird es gegen späten Nachmittag/Abend etwas besser. Manchmal fühlt man sich dann fast normal. „The Second Wind“. Der dazu verführt, zu viel zu tun, wie zum Beispiel eine Hunderunde zu begleiten, zu lesen oder fernzusehen bis nach elf Uhr oder gar irgendwas Kreatives zu tun, das ich aber machen muss, um bei Verstand zu bleiben. Doch mit der Aktivität, auch der geistigen, setzt sich der gleiche Kreislauf wieder in Gang. Mittlerweile weiß ich, dass die Besserung, „The Second Wind“, am Abend oder nach größerer Aufregung in Wirklichkeit ein Adrenalinschub ist, der nichts mit Spontanheilung zu tun hat, wie ich nach Ostern annahm. Die letzte Phase der vermeintlichen Heilung dauerte zwei Tage an und endete in einer fünftägigen Zombie-Phase. Ich tue mir immer noch schwer diesen Zustand „Crash“ zu nennen, weil das so endgültig klingt.
Ich erzähle euch das alles hier (auf Facebook, Anm. d. Redaktion), während einer Zitterphase im Sitzliegen, weil ich es kann. Weil ich nämlich eine nur moderat Betroffene bin. Wie es schwer Betroffenen geht, kann ich mir gar nicht vorstellen. Und das bei wenig bis gar keiner Hilfe, weil Long Covid und ME/CFS in Österreich immer noch kleingeredet, ignoriert oder verleugnet wird.
ÖG ME/CFS setzt auf Social-Media-Kampagne
Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS ist in den sozialen Medien aktiv und hat in Wien eine Plakat-Kampagne gestartet. In den Sozialen Medien sollen Sprüche wie „In Österreich gibt es mehr Giraffen als ME/CFS-Spezialist:innen” oder „In Österreich gibt es mehr ME/CFS-Betroffene als Plätze im Ernst-Happel-Stadion” auch Menschen erreichen, die nicht direkt oder indirekt von der Krankheit betroffen sind. „Wenn man bedenkt, dass es für das ganze Ernst-Happel-Stadion voller schwer kranker Menschen keine einzige Anlaufstelle gibt, wird deutlich, wie schlecht die Versorgung für ME/CFS tatsächlich ist”, so Astrid Hainzl, stv. Obfrau der ÖG ME/CFS.
Fehlende Versorgung kostet jährlich 2,57 Mrd. €
Studierende der WU Wien haben die sozioökonomischen Kosten der Krankheit ME/CFS berechnet. Vor allem durch die Schwere der Krankheit und den damit verbundenen Verlust der Arbeitsfähigkeit entstehen 2,57 Mrd € an Kosten pro Jahr in Österreich. Forschungsförderung und Versorgung fehlen trotzdem weiterhin. Die Situation ist damit nicht nur für Betroffene fatal, sondern auch gesellschaftlich teuer.
Langfristig kann laut Studierendenprojekt der WU Wien nur eine substanzielle Investition in die Erforschung von Behandlungsmöglichkeiten für ME/CFS dazu beitragen, die sozioökonomischen Kosten zu senken. Auch wenn das teuer ist, zeigt das Projekt eindrücklich, dass das Weiterführen des Status Quo ohne Investitionen mit einem sozioökonomischen Schaden von 2,57 Mrd € pro Jahr nicht nur massives Leid für die Betroffenen, sondern auch enorme Kosten für die Gesellschaft verursacht.
*) Name von der Redaktion geändert
Titelbild: Lea Aring und Deutsche Gesellschaft für ME/CFS
Der Verein IGSafe beteiligt sich intensiv um Veränderungen, in erster Linie um eine faire soziale Absicherung.
Wir müssen Erfolge in der Forschung und Wissenschaft erstmal erleben dürfen.
Und hier ist es nicht egal, ob wir uns beim AMS in Notstand, oder bei der PVA in Invaliditätspension befinden.
Auch Pflegegeld ist ein Thema.
Vom Ärztemangel betreffend unserer Erkrankungen über Mangel an Forschungsgelder liegt vieles im Argen.
Liebe Politik, wir sind da und haben ein Recht auf Leben und Würde gerne mit allen Rechten und Pflichten wieder Platz in der Gesellschaft haben!
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