Das Sozialexperiment der Marlene Engelhorn
Könnte der ‘Gute Rat’, initiiert von Marlene Engelhorn, dazu beitragen, das Selbstbewusstsein der in Österreich lebenden Menschen weiterzuentwickeln?
Ein Gastbeitrag von Ilse Kleinschuster
Im STANDARD vom 22./23. Juni 24 wird recht ausführlich die Vorgangsweise einer privaten Umverteilung, wie sie zurzeit in Österreich von der Millionenerbin Marlene Engelhorn auf den Weg gebracht worden ist, beschrieben. Unter dem Titel „Szenen einer Entreicherung“ lässt uns die Journalistin Lisa Nimmervoll als Wegbegleiterin und Langzeitbeobachterin des ‚Guten Rats für Rückverteilung‘ an dessen Entwicklung teilhaben. Wer steckt hinter dem „Guten Rat“? – Die Auswahl der 50 Ratsmitglieder wurde vom Foresight-Institut mittels statistischer Methoden ausgewählt, entsprechend dem Kriterienkatalog ‚repräsentativ für Österreichs Wohnbevölkerung‘.
Da es in Österreich seit 1993 keine Vermögens- und seit 2008 keine Erbschaftssteuer mehr gibt, hat sich die junge Millionen-Erbin zu einem Weg entschlossen, den sie in Hinsicht auf die sich erweiternde Kluft zwischen Arm und Reich für fair hält. Zu diesem Zweck hat sie den ‚Guten Rat für Rückverteilung‘ initiiert, der sich seit Jänner 2024 mit dieser Herausforderung befasst hat. Er besteht aus 50 Bürgerinnen und Bürgern, die – nach sechs Wochenenden quasi in Klausur – am 9. Juni ihr Ergebnis bekanntgegeben haben: 77 Organisationen wurden mit unterschiedlich hohen finanziellen Beiträgen bedacht. Wenn Frau Engelhorn – wie sie selbst meinte – auch nicht alle Entscheidungen zur Vermögensverteilung teile, so teile sie mit dem „Rat“ auf jeden Fall ihr Einverständnis zur Demokratie. Dies sei das Mittel der Wahl. Die Wurzel des Problems liege in der Machtfrage: „Eine Stimme pro Person und nicht eine Stimme pro Euro“.
Marlene Engelhorn ist jung und intelligent und hat die ihr zur Verfügung stehende Möglichkeit, ihre persönliche Vorstellung von einer gerechteren Welt in die Praxis umzusetzen, mutig in Angriff genommen. Nicht sie wollte Entscheidungen darüber treffen, sondern einer ‚bürgerlichen‘ Struktur die Möglichkeit geben, ihr Vermögen und die damit verbundene Macht „demokratisierbar“ zu machen. Bereits im Juni 2021 hat sie mit anderen Vermögenden taxmenow gegründet, um sich gemeinsam im D-A-CH-Raum für Steuergerechtigkeit einzusetzen. Im Herbst 2022 wurde ihr Buch „Geld“ bei Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Die Idee, einen Bürger:innenrat für die Rückverteilung ihres Vermögens zu nutzen, damit dies demokratisch geschieht, hat sich mit der Öffentlichkeitsarbeit mitentwickelt. Daraus wurde konkret schrittweise und im Team: der Gute Rat. Lisa Nimmervoll meint im Standard, eine allgemeine Botschaft der Teilhabe-Gruppe habe bald den Kreis zum Guten Rat geschlossen: „Wir sorgen uns um die Demokratie, weil die Wahlbeteiligung sinkt und die Politikverdrossenheit steigt. Damit die Demokratie lebendig bleibt, damit sich Bürger*innen in ihrer ganzen Vielfalt vertreten fühlen und mehr Mitsprache haben, wünschen wir uns mehr Angebote der direkten Demokratie und Bürger*innenbeteiligung – wie zum Beispiel “Bürger*innenräte“.
Nun, wenn auch dafür gesorgt worden ist, dass dieses soziale Experiment von einem breiten Spektrum an Expertise begleitet wird, so wurde doch Kritik laut, dass diese zu wenig breit war. Einerseits hätte man sich gewünscht, dass „ein paar Reiche dabei sein sollten“, andererseits war die Sorge um die „Nutzung der Spenden“ vonseiten der Organisationen groß. Sollte es mehr Kontrolle geben? Sollten nicht auch Unternehmer*innen einbezogen werden? Was ist mit der Bildungsplattform „Wikipedia“? Und kamen die Medien nicht zu kurz? Ein 21-jähriger Student meinte, es gehörte jetzt dieses Experiment für „Denkanstöße für die Politik“ überarbeitet, und er zweifle an der Wirkmächtigkeit solcher Bürger*innenräte. Nun, Zweifel wachsen mit dem Wissen, und so gesehen, halte ich das Experiment für gelungen. Denn ging es letztlich der Initiatorin nicht um die demokratische Debatte um Überreichtum?
Wenn nun eines der Ratsmitglieder auf seiner/ihrer ‚roten Karte‘ den Bereich MEDIEN in der Bildungsbotschaft vermisst hat, so stimmt mich das nachdenklich. Ist es denn wirklich so arg bestellt um unsere Medienlandschaft? Herrscht auch dort bereits arger Diversitätsverlust wie in der Biologie?
Mehr Demokratie mithilfe von Zukunftswerkstätten hat seinerzeit schon Robert Jungk (gest.1994) gefordert, in denen sich Betroffene zunächst einen Missstand vornehmen, aus dem heraus sie eine gemeinsame Vision entwickeln, um dann zu überlegen, wie sie diese strategisch umsetzen können. Dazu finden sich bereits viele geeignete partizipative Formate im Netz.
Nicht zuletzt möchte ich hier auf die Art des Abstimmungsverfahrens in diesem Bürgerrat hinweisen. Es wurde nach dem Prinzip KONSENT gearbeitet: Ein Vorschlag wird erst dann angenommen, wenn es keinen schwerwiegenden und begründeten Einwand mehr gibt. In NGOs wird dieses Prinzip schon seit längerer Zeit praktiziert.
Was mich sehr freut, ist, dass nicht nur der Naturschutzbund und ATTAC eine beträchtliche Spende bekommen, sondern auch der Verein IG Demokratie. Somit nehme ich mit einem guten Gefühl einen aufkommenden Trend zu mehr Selbstbewusstsein der ÖsterreicherInnen wahr.
Dieser Beitrag wurde als Gastartikel eingereicht. Auch Dir brennt etwas unter den Nägeln und Du willst, dass es die Öffentlichkeit erfährt? Dann reiche jetzt deinen Gastartikel ein!
Titelbild: Marlene Engelhorn auf der re:publica 2023. Foto: republica GmbH auf Flickr / CC BY-SA 2.0
DANKE, DASS DU DIESEN BEITRAG BIS ZUM ENDE GELESEN HAST!
Unsere Zeitung ist ein demokratisches Projekt, unabhängig von Parteien, Konzernen oder Milliardären. Bisher machen wir unsere Arbeit zum größten Teil ehrenamtlich. Wir würden gerne allen unseren Redakteur*innen ein Honorar zahlen, sind dazu aber leider finanziell noch nicht in der Lage. Wenn du möchtest, dass sich das ändert und dir auch sonst gefällt, was wir machen, kannst du uns auf der Plattform Steady mit 3, 6 oder 9 Euro im Monat unterstützen. Jeder kleine Betrag kann Großes bewirken! Alle Infos dazu findest du, wenn du unten auf den Button klickst.
Aus meiner subjektiven Sicht ein erstklassiger Artikel von Ilse Kleinschuster, der auch klar die
Herausforderungen benennt, die die Schaffung von, meiner Meinung nach, demokratiepolitisch immer wichtiger werdenden BürgerInnen-Räte, mit sich bringt.
Tja, Harald Unterhuber, vielleicht ist die Zeit noch nicht reif genug, aber wenn ich als politisch Naive mir die Erweiterung des SPÖ-Katalogs für Regierungsverhandlungen anschaue, bedeutet das jenen Streif am Himmel, der mich weiter hoffen läßt. Andreas Babler hat da ein Konzept zur „Demokratisierung“ des Landes ausarbeiten lassen. Wird es ihm gelingen in einer Koalition sein Konzept einer „Mitmach-Republik“ mit Bürgerräten, Bürgerbudgets, öffentlichen Hearings für die Besetzung von Spitzenposten und einer ORF-Reform umzusetzen? (Siehe „Bablers BÜRGERMANIFEST“ von Katharina Mittelstaedt im STANDARD vom 29./30. Juni 2024)