«Unruhestiftung als Hoffnungsschimmer»
Als «aufgesammelte Werke» bezeichnet Philip Kovce Aphorismen oder als «Nadeln ohne Heuhaufen». In seinem neuen Buch Wenn alles gesagt ist, beginnt das Gespräch fragt er nach dem Menschsein und der Beziehung des Einzelnen zur Gesellschaft. – Sonntag ist Büchertag
Urs Heinz Aerni stellte ihm dazu ein paar Fragen.
Urs Heinz Aerni: Die «Phantasie» sei das «Einfallstor der Geister», schreiben Sie in Ihrem aktuellen Aphorismen-Band. Nun, wie viele Geister toben in Ihrer Seele?
Philip Kovce: Unzählige. Mit jeder Phantasie andere. Darunter sind sowohl dunkle als auch Lichtgestalten. Es gilt, diesem Licht-Schatten-Kabinett vorzustehen, wenn man mit Phantasie sinnvoll umgehen will. Das «Einfallstor der Geister» aus Furcht vor ungebetenen Gästen einfach zu verriegeln, ist geistiger Selbstmord. Ohne Geister ist es ziemlich geistlos.
Aerni: Bevor wir zu Ihrem Buch kommen: Sie waren Jury-Mitglied für den 17. «Bund»-Essay-Wettbewerb zum Thema «Bedingungsloses Grundeinkommen», der heuer an Stef Stauffer ging. Wie einigt man sich in einem Gremium auf den besten Text?
Kovce: Solche Gremien sind ja gewissermaßen Lesekreise auf Zeit. Jeder profitiert dabei von der Lektüre der anderen. In der gemeinsamen Diskussion geht es dann ums grosse Ganze und ums kleine Detail – um Leitgedanken ebenso wie um sprachliche Feinheiten. Bestenfalls stellt sich dabei ein Text als besonders überzeugend, eben als der «beste» heraus, was man zwar nicht zählen, messen, wiegen, wohl aber begründen kann.
Aerni: Ihre gesammelten und lesenswerten Aphorismen liegen nun als Buch in Buchhandlungen, Titel: «Wenn alles gesagt ist, beginnt das Gespräch». Nun, wann weiss ich, wann das Gespräch begonnen werden kann?
Kovce: Das Gespräch, das wirklich offene, offenbarende Gespräch, kann erst beginnen, wenn ich mit meinem Latein am Ende bin.
Aerni: Wie darf ich das verstehen?
Kovce: Solange ich noch besserwisserisch die vermeintlichen Schlechterwisser belehre, kann von Gespräch eigentlich keine Rede sein. Vieles, was wir heute Gespräch nennen, erweist sich unter diesem Gesichtspunkt eher als Gesprächsverweigerung.
Aerni: Sie forschen heute als Ökonom und Philosoph an der Universität Freiburg im Breisgau und am Basler Philosophicum. Dabei beschäftigen Sie sich als ehemaliger Waldorfschüler auch mit Rudolf Steiner. Welche Sichtweisen Steiners lassen Sie nicht in Ruhe?
Kovce: Bei Steiner beeindruckt mich mehr noch als dieser oder jener Gedanke die Spannweite seines Denkens. Sein Werk ist ein philosophisch-theosophisch-anthroposophisches Gesamtkunstwerk – fragmentarisch und monumental, esoterisch und öffentlich gleichermaßen. Und dabei ziemlich phantasievoll – ein «Einfallstor der Geister»…
Aerni: Während andere Philosophen sich den ausufernden Gedanken ergeben, die in Ziegeln von Büchern münden, widmen Sie sich der Verknappung und Zuspitzung in Form von Aphorismen. Wo sehen Sie den Vorteil dieser literarischen Gattung?
Kovce: Kurz gesagt: In der Kürze liegt die Würze.
Aerni: Schmunzelnd las ich: «Wo treffen sich die Blicke, die sich finden?» Wie und wo treffen Sie Ihre Gegenüber zum Austausch auf Augenhöhe?
Kovce: Ich würde sagen, einen Austausch auf Augenhöhe und eine Begegnung von Mensch zu Mensch ermöglicht das Gespräch – wann und wo immer es stattfindet. Schon Goethe wusste, dass das Gespräch «erquicklicher als Licht» ist.
Aerni: Die Lektüre Ihres Buches beruhigt angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint. Wo sehen Sie Orientierungspunkte für ein Denken in Richtung Hoffnungsschimmer?
Kovce: Mich beruhigen Aphorismen ganz und gar nicht.
Aerni: Aha?
Kovce: Sie sind für mich geradezu der Inbegriff geistiger Beunruhigung, weil sie den normalen Gang der Sprach- und Denkdinge bewusst stören. Doch gerade in dieser Unruhestiftung würde ich einen kleinen Hoffnungsschimmer sehen, der uns vergegenwärtigt, dass wir etwas tun, dass wir etwas ändern können. Das ist beruhigend und beunruhigend zugleich.
Das Buch: „Wenn alles gesagt ist, beginnt das Gespräch“ von Philip Kovce, Aphorismen, Futurm Verlag Basel, 2023, 112 Seiten, ISBN 978-3-85636-278-2
Philip Kovce, geboren 1986, forscht an der Götz-Werner-Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie der Universität Freiburg im Breisgau sowie am Philosophicum Basel. Außerdem lehrt er im Studium fundamentale der Universität Witten/Herdecke und moderiert im Basler Kultur- und Kaffeehaus Unternehmen Mitte die Gesprächsreihe UM Politics Talks.
Titelbild: Juri Gianfrancesco auf Unsplash