In die Zukunft der Jugend investieren statt Unternehmen subventionieren
Der öffentliche und politische Diskurs in Österreich wird von Themen wie Fachkräftemangel, Defizite der heutigen Jugend und Jugendkriminalität geprägt. Dagegen bekommen das Wohlbefinden der Jugendlichen und ihre Positionierung am Arbeitsmarkt kaum Aufmerksamkeit. Eine detaillierte Analyse zeigt, dass in den Phasen der ÖVP-FPÖ-Koalition im Bereich der Arbeitsmarktförderung für Jugendliche primär Klientelpolitik für Unternehmen betrieben wurde. Zuletzt stieg die Jugendarbeitslosigkeit deutlich. Die nächste Regierung muss Fehlentwicklungen korrigieren und für die Jugendlichen eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik „von unten“ einleiten.
Von Dennis Tamesberger, AK OÖ & Alban Knecht, Universität Klagenfurt (A&W-Blog)
Von Sozialinvestitionen zur Klientelpolitik für Unternehmen
Österreich war lange Zeit international Vorbild im Bereich der Ausbildung und Beschäftigung von Jugendlichen. Die Koalition von SPÖ und ÖVP erhielt mit der Einführung der Ausbildungsgarantie und später mit der Ausbildungspflicht international viel Aufmerksamkeit: Die Ausbildungsgarantie für Jugendliche, die auf dem Sozialinvestitions-Ansatz fußt, wurde sogar Vorbild für die Jugendpolitik auf europäischer Ebene. Einen Paradigmenwechsel stellten allerdings die ÖVP-FPÖ-Koalitionen dar: Sowohl in der Zeit von 2000 bis 2006 als auch ab 2017 verfolgten sie eine Politik, die stark an den Interessen der Unternehmen ausgerichtet war. Die Unternehmenssubventionen (Lehrstellenförderung) stiegen in diesen Zeiträumen deutlich, obwohl das den Jugendlichen nicht nutzt, wenn damit nicht auch die Anzahl an angebotenen Lehrstellen nachhaltig zunimmt.
Während der ersten ÖVP-FPÖ-Koalition wurde der umstrittene Blum-Bonus eingeführt, für die Lehrlings-Dienstgeber wurde der Beitrag zu der Krankenversicherung der Lehrlinge gekürzt und der Beitrag zur Unfallversicherung abgeschafft. Während der zweiten ÖVP-FPÖ-Koalition wurden Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche zur Integration in Ausbildung und Arbeitsmarkt reduziert und unattraktiv gemacht: Die Anzahl an Plätzen in der überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA) wurde gekürzt, die Entlohnung durch die Ausbildungsbeihilfe für über 18-Jährige reduziert und Jugendliche dazu verpflichtet, sich permanent aus der ÜBA wegzubewerben.
Zusätzlich waren alle volljährigen Lehrlinge von der Änderung der Arbeitszeitregelung im Ar-beitszeit- und Arbeitsruhegesetz betroffen, die überlange Arbeitszeiten von Arbeitnehmer:innen bis zu zwölf Stunden am Tag (statt wie bisher zehn) und bis zu 60 Stunden pro Woche (statt wie bisher 48 Stunden) möglich machten. Weiters kommt eine Verschlechterung für Lehrlinge über 18 Jahre in Gast-, Schank- und Beherbergungsbetrieben zum Tragen. Hier wurde für Arbeitnehmer:innen in Küche und Service bei geteilten Diensten die tägliche Ruhezeit auf mindestens acht Stunden verkürzt. Für Lehrlinge im Tourismus ist somit nicht einmal mehr gewährleistet, ausreichend Schlaf zu bekommen. Paradoxerweise steht diese Arbeitsmarktpolitik im Widerspruch zum proklamierten Anspruch der FPÖ, Politik für „die kleinen Leute“ zu machen. Diese ineffiziente Strategie hat die die ÖVP-Grüne-Regierung nicht vermocht, rückgängig zu machen.
Kurzarbeit als Erfolgsmodell, aber weitere Unternehmenssubventionen
Die ÖVP-Grüne-Regierung war mit der Corona-Pandemie und einer der schwersten Wirtschaftskrisen der 2. Republik konfrontiert. Im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit wurden im Rahmen der Taskforce Jugendbeschäftigung eine Reihe von Maßnahmen gesetzt. Allen voran ist hier die Corona-Kurzarbeit zu nennen. Am Höhepunkt im April 2020 waren fast 150.000 Jugendliche in Kurzarbeit. Dadurch wurden während der Pandemie Hunderttausende Jobs von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesichert. Mit den neuen zusätzlichen betrieblichen Lehrstellenförderungen des Lehrlingsbonus‘ ist der Weg der Unternehmenssubventionierung allerdings weiter beschritten worden – bei einer weiterhin rückläufigen Anzahl an Lehrstellen. Bescheiden war auch der Ausbau von Schulungen für Jugendliche und der überbetrieblichen Lehrausbildung angesichts der tiefen Rezession.
Rückgang der überbetrieblichen Lehrausbildung
Während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wurde in Österreich unter Einbindung der Sozialpartner die Ausbildungsgarantie bis 18 Jahren etabliert, die positive gesellschaftliche und ökonomische Effekte erzielt. Herzstück dabei war und ist die ÜBA, die Jugendlichen, die keine betriebliche Lehrstelle finden, ebenfalls zu einer Berufsausbildung verhelfen soll. Durch den Ausbau der ÜBA ist es gelungen, die rückläufige Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze zu kompensieren. In den Ausläufen der Finanzkrise waren mehr als 9000 Jugendliche in einer ÜBA. Seit 2017 ist die Anzahl der ÜBA-Teilnehmer:innen deutlich rückläufig, was politisch ein erklärtes Ziel war. Dabei ist gleichzeitig die Anzahl der Jugendlichen in einer betrieblichen Lehre von 124.256 im Jahr 2009 auf 102.397 im Jahr 2023 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum hat sich die Anzahl an Lehrbetrieben von 36.986 im Jahr 2009 auf 28.249 reduziert. Dies bedeutet, dass die betriebliche Ausbildungsbereitschaft trotz hoher Unternehmenssubventionen zurückgeht und die Kürzungen in der ÜBA vor allem dazu führen, dass Jugendliche auf der Strecke bleiben.
Jugendarbeitslosigkeit im Steigen
Die Jugendarbeitslosigkeit ist seit dem Jahr 2023 im Steigen begriffen, wie das Ausmaß von Lehrstellensuchenden, arbeitslosen Jugendlichen und Jugendlichen in Schulungen zeigt: Im März 2024 waren in Österreich 66.157 junge Menschen unter 25 Jahren (+14,2%) entweder arbeitslos (29.812, +17,8 %), in Schulung (29.571, +8 %) oder auf Lehrstellensuche (6.774, +28,8 %). In Summe sind derzeit somit mehr Jugendliche ohne Beschäftigung als vor der Covid-Krise im März 2019. In den Jahren davor hat es immer wieder einmal ein höheres Problemausmaß gegeben. Doch gerade die Anzahl an Lehrstellensuchenden ist mit 6.774 auffällig hoch. Einer der höchsten Werte seit 24 Jahren. Einzige Ausnahme war das Corona-Jahr 2020. Insgesamt eine dramatische Entwicklung, die vor dem Hintergrund des beklagten Fachkräftemangels nicht nachvollziehbar ist. Dieser Umstand lässt sowohl Zweifel an der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe als auch an der betrieblichen Lehrstellensubvention aufkeimen.
Mangel an attraktiven Lehrstellen
Laut AMS gab es in elf Berufen mehr Lehrstellensuchende als Lehrstellen, allen voran bei dem:der pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten:in, gefolgt von Applikationsentwickler:in – Coding und Medienfachmann:frau – Grafik-Print-Publishing-Medien, also in Lehrberufen, bei denen eher ein Zukunftspotenzial angenommen werden kann. Umgekehrt kamen in den drei Lehrberufen Gastronomiefachmann:frau, Systemgastronomiefach-mann:frau und Restaurantfachmann:frau mehr als zehn offene Lehrstellen auf eine:n Lehrstellensuchende:n. D. h. der Lehrstellenüberhang findet sich eher in Lehrberufen mit unattraktiven Arbeitsbedingungen. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung in der Branche Gastronomie, da schwierige und zum Teil unzulässige Ausbildungsbedingungen, massive Übertretungen von Jugendschutz- und Arbeitszeitbestimmungen und ausbildungsfremde Tätigkeiten im Betrieb das Image der Branche prägen. Zur Unattraktivität dieser Branchen haben bestimmt auch die Änderungen des Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetzes unter Schwarz-Blau beigetragen.
Es braucht eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik „von unten“
Die nächste Regierung sollte versuchen, den defizitorientierten Diskurs über Jugendliche zu beenden, da aus diesem selten adäquate, erfolgsversprechende Maßnahmen abgeleitet werden. Soweit Jugendliche psychische Probleme haben, sollte darauf mit ausreichender psychotherapeutischer Versorgung – und nachfolgend mit Ausbildungsmaßnahmen geantwortet werden. Gleichzeitig sollten die Politik, die Verwaltung und arbeitsmarktpolitische Institutionen Jugendlichen mehr Vertrauen entgegenbringen, sie stärker einbeziehen und mit ihnen partizipative Projekte starten. Die Maßnahmen sollten sich dann stärker an den Bedürfnissen und Interessen der Jugendlichen orientieren – es sollte also eine Politik „von unten“ betrieben werden. Gerade jene Institutionen und Menschen, die mit Jugendlichen am Übergang von Schule in Beruf arbeiten, brauchen ein respektvolles, positives Menschenbild.
Die Arbeitsmarktpolitik soll die Selbstwirksamkeit der Jugendlichen stärken, Perspektiven aufzeigen und Mut machen – und das auf Augenhöhe. Jugendliche brauchen angesichts von Wirtschaftskrisen, Teuerung, Automatisierung und Digitalisierung, Klimawandel und sozialökologischer Transformation politische Antworten, die Sicherheit geben und die sozialen Ver-hältnisse verbessern. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sollte daher zu allererst die finanzielle Situation von Jugendlichen in Arbeitslosigkeit bzw. in Ausbildung verbessern, zum Beispiel indem die Kürzungen der Ausbildungsbeihilfen zurückgenommen und soweit angehoben werden, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene eine Ausbildung auch leisten können.
Statt einer Ausbildungspflicht sollte ein Recht auf Ausbildung für alle Jugendliche bis 24 Jahre etabliert werden. Daran anknüpfend sollte das ÜBA so konzipiert sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene ein Sicherheitsnetz und Alternativen haben. Das bedeutet, dass ausreichend Ausbildungsplätze für Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Berufen bestehen müssen und die Entlohnung so hoch ist, dass die überbetriebliche Ausbildung tatsächlich im Sinne des gesetzlichen Rechtsanspruches fungieren kann. Hierfür wird das AMS deutlich mehr Budget brauchen, wofür die nächste Regierung den langfristigen, viel zu geringen Budgetpfad korrigieren muss.
Dieser Beitrag wurde am 15.04.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.
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