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Costa Rica: Verfassungsgericht ordnet Verbot von Pestizid an

Bis Ende 2023 soll das krebserregende Pestizid Chlorothalonil von den Feldern und aus dem Trinkwasser verschwinden. Doch die Entscheidung ist umstritten.

Von Jules Gießler (NPLA)

Bis Ende 2023 soll das Pestizid Chlorothalonil von den Feldern und vor allem aus dem Trinkwasser verschwinden, denn es ist krebserregend. Über 10.000 Personen im Zentrum Costa Ricas sind von der Verunreinigung des Trinkwassers betroffen. Eine kleine Gruppe in der Gemeinde Oreamuno in der Provinz Cartago kämpft seit mehreren Jahren für das Verbot und hofft, dass dieses auch umgesetzt wird und nicht nur auf dem Papier besteht.

10.000 Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser

Internationale Aufmerksamkeit erregte die Ablehnung einer Lieferung Melonen aus Costa Rica Anfang 2023. Die deutschen Behörden bemängelten den hohen Chlorothalonilgehalt. Das Fungizid ist in der Europäischen Union wegen seiner krebserregenden Wirkung seit 2020 verboten. In Costa Rica ist Chlorthalonil immer noch das am vierthäufigsten verwendete Pestizid. Allein in Oreamuno de Cartago im Zentrum des Landes sind mehr als 10.000 Menschen von der Wasserverschmutzung durch das Fungizid betroffen und auf die Lieferung von Trinkwasser durch Zisternen angewiesen. So kommt es, dass Isabel Mendez und ihre Nachbar*innen jeden Morgen genau hinhören müssen, ob der Lastwagen sich nähert, der sie mit frischem Trinkwasser versorgt. Dann bringen sie schnell ihre Kanister nach draußen, denn feste Zeiten gibt es dafür nicht, und wenn sie den Tankwagen nicht hören, müssen sie einen Tag ohne frisches Trinkwasser auskommen. Doch das soll nun bald ein Ende haben. Das Verfassungsgericht hat bestimmt, dass die Wasserverschmutzung in der Gemeinde gestoppt werden muss, dazu gehört unter anderem das Verbot des Pestizids, das für die Verunreinigung des Wassers verantwortlich ist – Chlorothalonil.

Gemeinde zwiegespalten über geplantes Verbot

Vor drei Jahren haben sich Nachbar*innen der Gemeinde im Zentrum Costa Ricas in der ökologischen Bewegung Frente Ecologista de Cipreses – kurz EcoCipreses – zusammengeschlossen, um gegen die Verschmutzung ihres Trinkwassers vorzugehen. Und nun, wie es scheint, mit Erfolg. Doch die Meinungen über das Verbot gehen auch in der kleinen Gemeinde stark auseinander, wie Isabel Mendez, Nachbarin und Mitglied von EcoCipreses, berichtet: „Die Meinungen sind sehr geteilt. Viele von uns nehmen diese Entscheidung mit Freude auf. Andere trinken weiterhin das verunreinigte Wasser, das aus den Quellen kommt.“ Sie trinken es, obwohl das Gesundheitsministerium seit Oktober 2022 Warnungen herausgegeben hat, dass sich das verseuchte Wasser nicht einmal zur Körperpflege eigne. Gerade die Landwirte in der Region nehmen den Beschluss eher mit Wut auf, beschreibt Isabel weiter, da sie, sollte das Verbot umgesetzt werden, sich nach anderen Möglichkeiten der Schädlingsbekämpfung umsehen müssen, und dies bedeutet höhere Kosten für die Landwirte, da Chlorothalonil als eines der günstigsten und wirksamsten Fungizide gilt.

Einsatz von Pestiziden wirkt sich auf ganze Gemeinde aus

Studien belegen, dass sich in Cartago mehr als drei Viertel des gesamten Obst- und Gemüseanbaus befinden. Der größte Arbeitgeber der Gegend ist somit die Landwirtschaft. Fährt man nach Oreamuno hinein, hat man das Gefühl, dass die Felder den Ort umschließen. Der Geruch von Chemie hängt förmlich in der Luft. Jeden Tag besprühen Arbeiter die Felder mit Schädlingsbekämpfungsmitteln. Schutzkleidung tragen dabei die wenigsten. Dies hat schwere Folgen, nicht nur für die Arbeiter selbst, sondern auch für ihre Familien und die Gemeinschaft, so die Epidemiologin Rebecca Alvarado: „Ich glaube, unser grünes Land hat eine offene Schuld, und nicht nur bei den Landarbeitern, die täglich diesen Pestiziden ausgesetzt sind. Täglich sehen wir die Auswirkungen auf ihre Gesundheit und dass sie auf lange Sicht auch an verschiedenen Arten von Krebs leiden werden.“ Sie seien durch einen direkten Kontakt mit den Pestiziden betroffen, doch auch ihre Familien und Gemeinschaften kommen indirekt in Kontakt mit den Schädlingsbekämpfungsmitteln. Als Beispiele nennt Alvarado das Grundwasser, die kontaminierte Arbeitskleidung der Feldarbeiter, die gewaschen werden muss, sowie auch die Nahrungsmittel selbst.

Gesundheitsministerium: Wasser eignet sich weder zum Trinken noch zum Waschen

Seit zwei Jahren haben die Menschen in der Gemeinde die Gewissheit, dass das Wasser aus dem Hahn verunreinigt ist – mit Chlorotalonil, einem Fungizid, das als krebserregend gilt. Das Gesundheitsministerium verkündete Ende 2022, das Wasser sei potenziell gesundheitsgefährdend. Menschen sollten es weder trinken noch ihre Lebensmittel damit zubereiten oder sich damit waschen. Doch ein Verbot schien lange Zeit außer Reichweite, da so viele Akteure mit unterschiedlichsten Verantwortlichkeiten in die Entscheidung eingebunden sind, sagt Albin Badilla Mora, Koordinator des Programms zur Kontrolle und Überwachung der Trinkwasserqualität im Gesundheitsministerium. Die Herausforderung bestehe darin, die vielen unterschiedlichen Akteure mit ihren Interessen in die Entscheidung einzubeziehen und so eine Einigung zu erzielen.

Umsetzung des Verbots gestaltet sich als schwierig

Es gibt allein drei Ministerien, die in die Thematik involviert sind. Da wäre zum einen das Gesundheitsministerium, das für die Kontrolle und Überwachung des Trinkwassers und dessen Sauberkeit verantwortlich ist. Zum anderen gibt es das Ministerium für Umwelt und Energie, das für den Schutz der natürlichen Ressourcen zuständig ist, und zu guter Letzt das Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht, das die Weisungshoheit bezüglich aller Pestizide hat, die im Land genutzt werden. Das Gesundheitsministerium sowie das Ministerium für Umwelt und Energie hatten in einem technischen Bericht auf die mögliche Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Chlorothalonil hingewiesen und sich für ein Verbot ausgesprochen. Das Agrarministerium hat bisher immer noch nichts unternommen, um ein solches Verbot durchzusetzen. Badilla Mora verweist darauf, dass bei egal welcher Lösung „die Gesundheit der Bevölkerung an erster Stellen stehen muss“. Für den Agrarbiologen Fabian Pacheco, der sich auch bei EcoCipreses organisiert, ist das Verbot nur der Anfang. Er mahnt zur vorsichtigen Freude, denn bisher stehe alles nur auf dem Papier. Er sieht es als „Präzedenzfall an, der weiterverfolgt werden muss“ und durch den öffentlicher Druck erzeugt werden könne: „Das Wasser muss nicht nur auf Chlorothalonil und seine Rückstände, sondern auch gleich auf andere weitverbreitete Pestizide untersucht werden.“

Gesetze zum Schutz von Grundwasserquellen werden ignoriert

In Costa Rica schreibt das Gesetz einen Schutzkreis von 100 Metern um Grundwasserquellen vor. Diese werden um weitere 100 Meter erweitert, wenn der Wasservorrat für die Nutzung durch die Bevölkerung bestimmt ist. Nach Angaben von Ecocipreses werden diese Grenzen jedoch nicht eingehalten. Dazu erklärt Umweltaktivist Jordan Vargas, ein „Verbot von dieser oder jener Chemikalie“ bringe nichts, solange die Schutzzonen nicht eingehalten werden, da an die Stelle von Chlorothalonil einfach ein anderes Pestizid treten könne. Auch die Epidemiologin Rebecca Alvarado verweist darauf, dass Chlorothalonil nicht das einzige Pestizid ist, das Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Natur hat: „Auf dem Land werden mehrere Pestizide eingesetzt, nicht ausschließlich Chlorothalonil, sondern eine Mischung von Pestiziden, die Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Heute wissen wir also über Chlorothalonil Bescheid, aber wir wissen auch, dass andere Arten von Pestiziden eingesetzt werden, die andere gesundheitliche Auswirkungen haben können. Es ist daher aus epidemiologischer Sicht etwas kompliziert zu messen, aber es ist unbestreitbar, dass es Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden gibt.“ EcoCipreses sieht die Schuld für dieses Versäumnis weniger bei den Landwirten selbst als bei den kommerziellen Unternehmen, die die Landwirte über den korrekten Einsatz von Pestiziden informieren und ihnen beratend zur Seite stehen sollen. Jordan Vargas sieht hierbei einen Interessenkonflikt und betont: „Die Landwirte müssen beraten werden, damit die Verwendung dieser oder anderer chemischer Stoffe, die immer noch verwendet werden, angemessen ist und sie nicht überdosiert werden“.

Ein kleiner Sieg für den Umweltschutz in Costa Rica

Trotz aller Vorsicht ist es doch ein Grund zu feiern für EcoCipreses und auch für Umweltschützer*innen im ganzen Land, betont Isabel Mendez: „Für uns als Gemeinschaft bzw. für die Betroffenen ist es sehr befriedigend, denn wir haben mehr als drei Jahre lang gekämpft, und jetzt sehen wir die Früchte dieses Kampfes. Es bedeutet Hoffnung, Hoffnung auf eine andere Gemeinschaft, Hoffnung, dass wir saubere, geschützte Quellen haben können, sauberes Wasser, ohne Chemikalien, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt beeinträchtigen.“ Auch Fabian Pacheco zeigt sich optimistisch, dies sei eine „schöne Botschaft für die allgemeine Bevölkerung dieses Landes“. Denn es zeige, „dass es sich lohnt, für seine Rechte zu kämpfen“, auch wenn man nur eine kleine Gruppe von Menschen ist, die sich organisiert. Die Gruppe EcoCipreses um Isabel, Jordan und Fabián wird weiterkämpfen – für eine gesunde Umwelt ohne Agrargifte und den Zugang zu sauberem Trinkwasser, der in der costaricanischen Verfassung als grundlegendes und unveräußerliches Menschenrecht verankert ist.

Einen Audiobeitrag zu diesem Thema findet ihr hier.


Dieser Beitrag erschien am 21.11.2023 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. 

Titelbild: Frank Albrecht auf Unsplash (Symbolbild)

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