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Eine feministische Ethik

Antje Schrupp – Reproduktive Freiheit: Auf der Suche nach einem Freiheitsbegriff, der nicht an der reproduktiven Differenz haltmacht. – Sonntag ist Büchertag

Von Sebastian Jürss und Lisa Waschkewitsch (kritisch-lesen.de)

Buchcover
Antje Schrupp – Reproduktive Freiheit (Unrast Verlag)

Nach einigen Fortschritten für die reproduktiven Rechte von Frauen*, wie zuletzt in Spanien (dort ist ein Rechtsanspruch auf Schwangerschaftsabbruch verbrieft), stehen Frauen* wieder zunehmend unter Druck durch (rechts-)konservative Akteur*innen. Im Diskurs um Abtreibung, Schwangerschaftsabbrüche und feministische Positionierungen legt Antje Schrupp mit ihrem kleinen Büchlein einen Entwurf einer „feministischen Ethik der Fortpflanzung“ vor. Das Sachbuch ist mit knapp 86 Seiten eine gelungene Einführung in die Thematik für einen breiten Kreis an Lesenden, nicht zuletzt, weil es ohne zu viel Fachjargon oder abstrakten, akademischen Stil das Themengebiet der reproduktiven Freiheit bespricht.

Das Kernanliegen von Schrupps Essay ist, eine „neue Ethik der Reproduktion“ zu formulieren. Die dabei im Argumentationsgang aufgeworfenen Themen umfassen mehrere Aspekte von Reproduktion: von den ungleichen biologischen und sozialen Ursachen über die Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche (§ 218 StGB) bis zur gesellschaftspolitischen Frage von der gerechten Verteilung der Care-Arbeit. Das Buch kann in grob drei Aspekte unterteilt werden: Anfangs skizziert die Autorin die Grundlagen der „reproduktiver Differenz“. Darauf folgen der gesellschaftspolitische Rahmen und die Konfliktfelder mit §218 StGB (Schwangerschaftsabbrüche), der reproduktiven Gerechtigkeit (damit verbunden auch der Zugang zu Abtreibungen) und der (ungleichen) Nutzung von In-Vitro-Fertilisationen. Inhaltlich sind die Kapitel entlang bekannter Argumente geschrieben, aber durch Anekdoten aus dem Schaffen der Autorin ergänzt.

Zum Freiheitsbegriff

Der Begriff der Freiheit wird als Anliegen (und prominent im Titel) für die Argumentation zu einer neuen Ethik stets mitgedacht, jedoch wird nicht ganz deutlich, was hier eigentlich mit Freiheit gemeint ist. Schrupp vermeidet es, eine Differenzierung in positive Freiheit – als die Möglichkeit etwas zu tun – oder negative Freiheit – als die Freiheit vor Zugriffen – vorzunehmen. So wird nicht immer zwischen einer Entscheidungs- oder Wahlfreiheit unterschieden, sondern vor allem mit einer möglichst größeren individuellen Freiheit argumentiert, die aber dennoch sozial eingebettet gedacht sein soll. Im Sinne einer Entscheidungsfreiheit als negative Freiheit argumentieren die Kapitel um die Selbstbestimmung des Frauenkörpers, wenn es etwa um die In-Vitro-Fertilisation oder den §218 StGB (Schwangerschaftsabbruch) geht. Einen positiven Freiheitsbegriff als Erweiterung von Möglichkeiten entwirft Schrupp, wenn sie Elternschaft thematisiert, die sie hier abseits der traditionellen Familien entwirft. Beide Ideen von Freiheit, als Ermöglichung sowie als Schutz stehen häufig nebeneinander. Über die Themen hinweg sind die Argumente meist stichwortartig eingebracht, was zum eigenen Weiterdenken anregt. Im Kern geht es aber um eine breitere Ermöglichung von Reproduktion respektive um eine freiheitlichere Ausgestaltung für alle Beteiligten – sowohl von Frauen* als auch ihrem sozialen Umfeld.

Zu Staat und Feminismus

Das Buch strebt prinzipiell an, eine feministische Ethik zu ergründen, geht aber im Gang der Argumentation nicht genauer darauf ein, welcher Feminismus gemeint ist: Die Feminismusklammer ist notwendigerweise breit und unbestimmt. Hinter bestimmten Forderungen können sich diverse Feminismen (ob nun liberal oder identitätspolitisch) vereinen, aber die Umsetzungen und Konsequenzen müssten sehr unterschiedlich betrachtet werden, wenn beispielsweise materielle Positionen hinzukommen, die in klarer Gegner*innenschaft zum Neoliberalismus stehen. Aus liberaler Sicht dürfte beispielsweise mit der In-Vitro-Fertilisation vor allem eine Chance zur Reproduktion gemeint sein, die möglichst breit zugänglich gemacht werden sollte, aber eine Kritik an der Medikalisierung eher sparsam vornimmt (Medikalisierung meint dabei, dass soziale Phänomene zunehmend in und als medizinische Begriffe und Probleme behandelt werden). Eine queerfeministische Position hingegen dürfte eine deutlichere Kritik am Familienbegriff haben, die nicht ausschließlich in der Repräsentationslogik liberaler Feminismen aufgehen dürfte, sondern das normative Bild von Familie an sich zurückweist. Versatzstücke eines materialistischen Feminismus sind ebenfalls zu finden, wenn auf die Ausbeutungsdimension der Leihmutterschaft verwiesen wird (S. 61). Wie diese Positionen miteinander zusammenhängen und wo auch innerhalb von feministischen Positionen Konfliktlinien verlaufen, erfahren die Lesenden hingegen nicht.

Unklar bleibt nach der Lektüre, wie die Autorin zur Rolle des Staates steht und was hier als feministisch verstanden werden kann. Der gesetzgeberische Aspekt wird problematisiert (beim §218 StGB oder Elternschaftsanerkennung), aber dennoch tritt der Staat in Schrupps Ausführungen durchgängig als Ermöglichungsbedingung auf, wenn alle anderen „sozialen Systeme“ versagen. Angemerkt sei, dass die etablierten „Systeme“ bereits regelmäßig versagen, wie Schrupp schon in der Einleitung (S. 7) feststellt. Diese Forderung nach staatlicher Fürsorge ist schlüssig, aber dennoch ist eine Positionierung dazu nicht trivial: Faktisch fördert der Staat in der gesellschaftlichen Realität bestimmte Familienmodelle und Lebensformen. Die Forderung dort auch abweichende Entwürfe, wie beispielsweise queere Elternschaft, einzubeziehen, ist nachvollziehbar und Teil feministischer Kämpfe, jedoch scheint hier zu wenig differenziert zu werden: Es sind ja mitunter jene staatlichen Akteure – in Form der etablierten Politik – die sich pathologisierender und paternalistischer Argumente bedienen, um reproduktive Rechte einzuschränken, wie die Debatte um den §218 StGB gezeigt hat. Natürlich steht eine gewisse staatliche Fürsorgepflicht dem nicht völlig entgegen, dennoch bleiben die Bezüge auf den Staat in den Kapiteln eher vage in ihrem Bezug darauf, wie sehr sich eine feministische Position überhaupt auf den Staat als Akteur verlassen kann. Gerade im aktuellen Backlash durch Konservative und rechte Akteure, die in staatliche Positionen drängen oder dort etabliert sind, ist die Umsetzung einer solchen Forderung diskussionswürdig. Schließlich sind reproduktive Rechte eine der Stellschrauben konservativer und rechter Akteure, um die Selbstbestimmung von Frauen zu attackieren.

Eine neue Ethik der Reproduktion?

Mit dem letzten Kapitel fasst Schrupp ihren Argumentationsgang zusammen und formuliert eine Art Forderungskatalog, der gleichsam breit und abwägend, aber auch etwas unscharf bleibt. Das Kapitel eröffnet mit dem Kindeswohl, um das sich vielfach von Konservativen gesorgt wird (S. 81). Dass diese Sorge vorgeschoben ist, sollte klar sein, warum Schrupp diesem Argument aber so viel Platz widmet und sich daran abarbeitet ist wiederum weniger verständlich. Neben diesem Seitenstrang werden die angesprochenen Themen mit dem Ziel, wie sie einer neuen Ethik zuarbeiten könnten, eingeordnet. Etwas hilflos wirkt dabei die Forderung nach einer am Mutterschaftsurlaub orientierten Frist, bevor eine Frau/Elternteil ihr Kind zur Adoption weitergeben sollte. So verständlich die Forderung nach einer Entscheidungsfrist zum Beispiel für sogenannte „Tragemütter“ (S. 60) ist, so wenig nachvollziehbar wird dieses Argument ins Feld geführt und lässt erahnen, dass Freiheit hier vorrangig als Entscheidungsfreiheit gedacht wird.

Ein weiterer Punkt ist die Evaluation der Reproduktionsmedizin: Seit ihrem Aufkommen und der Popularisierung ist die Bewertung über Möglichkeiten und Risiken schon weit vorangeschritten, aber eben abhängig von der ideologischen Position – die bei Schrupp ausgeklammert ist – und die die Frage berührt, wie mit dem ungleichen Zugang zu Reproduktionstechnologien und schließlich ökonomischen Bedingungen und Ausbeutungstendenzen umgegangen werden soll. Schrupp ist bemüht diese miteinander eher unvereinbar erscheinenden Positionen in ihrer „neuen Ethik“ nebeneinander stehen zu lassen. Das dürfte den Entwurf attraktiv für viele Lesende machen, schöpft aber das Potenzial radikaler, feministischer Kritik am gesellschaftlichen Status quo nicht aus. So dürften scheinbar liberale Forderungen nach gleichen Zugangsmöglichkeiten zu reproduktionsmedizinischen Verfahren unabhängig von Lebens- und Familienmodell doch gerade in der Umsetzung scheitern, weil es auf radikale Weise nicht nur die Wertvorstellungen einiger Konservativer angreift, sondern an den Grundfesten der patriarchalen Gesellschaftsordnung rüttelt. Auch wenn es nicht das Anliegen des Buches ist, die Umsetzung zu besprechen, wären zumindest einige Worte zu den Umsetzungsschwierigkeiten wünschenswert gewesen.

Trotz dieser Kritik ist das gut informierte Buch eine gelungene Zusammenfassung über Debatten und Argumente zum Themenkomplex der reproduktiven Freiheit, die in einem essayistischen Stil und eingestreuter Beispiele gerade für diejenigen Lesenden spannend sein könnte, die sich mit dem Thema (wieder) neu beschäftigen wollen.


Antje Schrupp 2022: Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-151-8.
86 Seiten. 7,80 Euro.

Dieser Beitrag wurde am 10.10.2023 auf kritisch-lesen.deKooperationspartner von Unsere Zeitung, unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen zu nicht kommerziellen Zwecken

Titelbild: Gayatri Malhotra auf Unsplash

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Ein Gedanke zu „Eine feministische Ethik

  • Werner

    Jedes Wirkliche hat seinen Grund in einer bestimmten Möglichkeit, nicht aber entspricht umgekehrt jeder Möglichkeit auch eine bestimmte Wirklichkeit. Die Entscheidungsfreiheit ist die Ermöglichung der Freiheit des Willens, und diese besteht nach Engels nur da, wo wirklich auch mit Sachkenntnis und also sachnotwendig entschieden wird. Es liegt aber nicht schon in der Entscheidungsfreiheit, dass es dazu notwendig auch kommen muss. Vielmehr ist den Menschen die Möglichkeit gegeben, sich gegen seine wirkliche Freiheit zu entscheiden und die Wirklichkeit seiner Unfreiheit zu wählen. Es kommt der Entscheidungsfreiheit also ein Moment von Willkür zu. Nur wo der Mensch sich der Möglichkeit der Willkür, aber vermöge dieser Willkür und also freiwillig begibt und nur das tut, was um der Sache willen notwendig ist, ist er wirklich frei. In diesem Sinne sagt Engels. „Je freier das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein; während die auf Unkenntnis beruhende Unsicherheit, die zwischen verschiedenen und widersprechenden Entscheidungsmöglichkeiten scheinbar willkürlich wählt, eben dadurch ihre Unfreiheit erweist …“ (Tomberg)

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