Kolumbien: Greenwashingvorwurf gegen Nestlés Kaffeefinca-Aufforstungsprogramm
Skepsis gegenüber Baumpflanzungen: „Wir bräuchten drei Erden, wenn jedes Unternehmen auf der Welt versuchen würde, seine Emissionen so zu kompensieren.“
Von Markus Plate (NPLA)
Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen ist nach wie vor viel zu hoch, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Viele transnationale Unternehmen haben Pläne aufgestellt, bis 2050 klimaneutral zu werden – und werben intensiv damit. Ein seit Jahren beliebter Mechanismus ist das insetting und offsetting von Emissionen. Nestlé wirbt zum Beispiel damit, auf den Kaffeefarmen der Welt Millionen Bäume zu pflanzen, um damit Millionen Tonnen CO² aus der Atmosphäre zu ziehen. Auch in Belén de Umbría, in einem der wichtigsten Kaffeeanbaugebiete Kolumbiens, ist der Nescafé-Plan präsent. Kaffeebäuer*innen bekommen Bäume geschenkt und ein bisschen Geld für Hege und Pflege. Doch Klima-NGOs wie der Watchdog New Climate Institute in Berlin sehen diese Praxis kritisch, werfen Nestlé und anderen Greenwashing vor.
Nestlé hat Großes vor
Am Ortseingang prangt ein riesiges rotes Schild: „Belén de Umbría, Geburtsort des Nescafé-Plans“ steht darauf. Belén de Umbría ist eins der Zentren des kolumbianischen Kaffeeanbaus und scheint fest in der Hand des Schweizer Konzerns Nestlé. Nestlé hat Großes vor, auch in Belén de Umbría. 200 Millionen Bäume will der Schweizer Gigant bis 2030 auf der Welt pflanzen, als Teil der Nestlé Net Zero Strategie, mit der der Konzern seine Emissionen bis 2030 halbieren und bis 2050 auf Null drücken (oder: rechnen) will. Seit 2014 will Nestlé allein in Kolumbien fast zwei Millionen Bäume auf Kaffeefeldern gepflanzt und so eine halbe Million Tonnen CO² aus der Atmosphäre gesogen haben. Das ist bitter nötig. Nestlés Klimafußabdruck ist hoch, nach eigenen Angaben hat der Konzern im Jahr 2018 quer über sein Produktportfolio knapp 113 Millionen CO²-Äquivalente in die Atmosphäre geblasen, das ist dreimal so viel wie die Schweiz, Nestlés Heimatland. Nestlé spricht von Insetting, dem Reduzieren von Emissionen entlang der eigenen Wertschöpfungskette. Nestlé arbeitet in Kolumbien, auch in Belén de Umbría, mit der kolumbianischen Kaffeeproduzent*innen-Föderation Fedecafé zusammen. Die Techniker*innen von Fedecafé besuchen täglich Fincas, vermitteln Strategien zur Produktivitätssteigerung, zur Schädlingsbekämpfung … und werben darüber aktiv für das Nestlé Programm. Eine der Fedecafé-Technikerinnen, die für das Nestlé-Programm wirbt, aber nicht namentlich genannt werden möchte, hält das Projekt für gut, da man den Bäuer*innen ja hochwertiges Pflanzenmaterial zur Verfügung stelle und sogar Geld für die Pflege der Bäume bezahle. Im Angebot hat sie Guamo-Bäume, die dem Boden wichtige Nährstoffe liefern und ihn schattig und feucht halten. Dazu eine Zedernart, Walnussbäume, Vainillos und Arbolocos, die prächtig gelb blühenden Guayacanes.
Zahlt besser als Nestlé: die niederländische Stiftung Solidaridad
Wunderbar hört sich das an: Endlich werden Bäume gepflanzt, und die Kaffeebäuer*innen bekommen sogar Geld dazu: 2.800 Pesos pro Baum, für eine mittelgroße 2,5-Hektar-Finca macht das in verschiedenen Tranchen 160 Euro. Viel Geld ist das zwar nicht, aber mehr Schatten auf den Kaffeeplantagen hat ja noch weitere Vorteile, wie Ximena Pulgarin erklärt. Die 19-Jährige ist in vierter Generation Kaffeebäuerin, die Familie bewirtschaftet rund 10 Hektar: „Die Bäume helfen uns, weil die Kaffeesträucher so nicht von den Sonnenstrahlen verbrannt werden. Mit Schatten ist der Reifungsprozess langsamer, so dass ein besserer Kaffee entsteht. Außerdem bilden sich viel mehr Mikroorganismen im Boden, so dass wir nicht so viel Geld für Düngemittel oder Agrochemikalien ausgeben müssen.“
Auch auf dem kleinen Platz in Belén de Umbría, zwischen Kirche, Stadtverwaltung und Feuerwehr, gibt es Bäume zu verschenken. Eine Pickup-Ladung Setzlinge, besser gesagt. Hier ist die niederländische Stiftung Solidaridad aktiv, die auch in Deutschland einen Ableger hat. Mauricio Barra, Solidaridads Pressesprecher für die Region, preist die Aktion an: „Das ist ein sehr interessantes Modell, das an den Bedürfnissen des Kaffeebauers ausgerichtet ist. Was ist die Stärke von Solidaridad? Wir zahlen Geld für jede Tonne absorbiertes CO²“. Umgerechnet 15 Euro pro absorbierte Tonne CO² zahlt Solidaridad. Eine mittelgroße Finca mit 250 gepflanzten Bäumen würde pro Jahr etwa 320 Euro erhalten – deutlich mehr also, als Fedecafé und Nestlé bezahlen. Solidaridad lässt über die niederländische Rabobank direkt CO²- Zertifikate handeln, das scheint für die Bauern deutlich lukrativer auszufallen. Da andere Klimasünder*innen so ihre Klimabilanz aufhellen können, spricht man in diesem Fall von offsetting. Dennoch – so einige sehen die Baumgeschenke kritisch: Der Künstler und Kurator Nelson López zum Beispiel. Er ist mittlerweile fast 70 Jahre alt und erinnert sich noch an eine andere Art des Kaffeeanbaus: „Als ich noch jung war, da gab es Kampagnen im Radio, die dazu anregten, Cotorra-Kaffee zu pflanzen, der brauche keinen Schatten. Also begannen die Bauern, alle Guamo-Bäume zu fällen.“ Deswegen gebe es kaum noch Wasser, viel weniger Insekten, und die Temperaturen seien stark gestiegen. Dieselbe Kaffeebauern-Föderation, die heute empfiehlt, massenhaft Bäume zu pflanzen, hatte also vor 4 Jahrzehnten mit dafür gesorgt, dass die damals üblichen Guamo-Bäume von den Kaffeebergen verschwanden.
„Für die CO²-Kompensation durch Bäumepflanzen bräuchten wir drei Erden“
Ich befrage dazu Sybrig Smit im Berliner New Climate Institute, ein Think Tank am Anfang der Schönhauser Allee, der sich mit Klimapolitiken befasst. Hier werden Strategien entwickelt, um das 1,5 Grad Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen doch noch einzuhalten. Aber auch Klima-Pläne wie der von Nestlé werden unter die Lupe genommen. Sybrig Smit beschäftigt sich mit Greenwashing, also mit der Praxis von Unternehmen, ihre umwelt- und klimaschädlichen Aktivitäten werbewirksam grün zu rechnen. Auch Nestlés Baumprogramm gehört für sie dazu: „Lassen Sie es mich von Anfang an klar sagen: Wir brauchen mehr Bäume, und wir brauchen mehr Artenvielfalt. Und es ist wirklich gut, dass Nescafe mehr Bäume und auch einheimische Arten pflanzen will. Das Problem besteht darin, dass Nescafe nun behauptet, seine Emissionen mit diesen Bäumen kompensiert oder neutralisiert zu haben.“ Statt Bäume zu pflanzen, müssten zunächst die weltweiten Emissionen runter. Aber viele Unternehmen versuchten immer noch, sich dieser Aufgabe zu entziehen. Aber warum ist es denn schlecht, in Baumplantagen oder den Schutz von Wäldern zu investieren? „Weil das nur etwas bringt, wenn diese Kohlenstoffbindung dauerhaft ist, also für zumindest 100 Jahre. Aber jeden Tag gibt es Waldbrände, und jeden Tag gibt es legalen oder illegalen Holzeinschlag.“ Dauerhaftigkeit könne also überhaupt nicht garantiert werden. Und wenn so ein Baum schon nach 10 Jahren gefällt wird, ist der gesamte angebliche Klimaeffekt verpufft. Ohnehin würde selbst die massivste Wiederaufforstung nicht genug Kohlenstoff binden, gibt Smit zu bedenken: „Wir bräuchten in etwa drei Erden, wenn jedes Unternehmen auf der Welt versuchen würde, seine Emissionen über Baumpflanzungen zu kompensieren.“
The Guardian: „39 von 50 Offset-Projekten sind wahrscheinlich Müll“
Das New Climate Institute hat, zuletzt in seinem Corporate Climate Responsibility Monitor 2023, 15 der 24 untersuchten Unternehmen eine „geringe Integrität bei ihren Klimaschutzprojekten“ attestiert. Neben Nestlé wurden auch Mercedes-Benz, VW, Amazon oder Samsung durchgehend schlecht bewertet. Chevron, Unilever und Nestlé wirft das New Climate Institute gar Greenwashing vor. Der Aufwand, mit dem Nestlé seinen Nescafé-Plan und seine Net-Zero-Strategie bewirbt, ist riesig. Nestlés Kaffeekunden auf der ganzen Welt können so leicht den Eindruck gewinnen, ihr Kaffee werde grün und klimaneutral produziert. Dem ist nicht so, bescheinigt das New Climate Institute. Zumal wenn die Kaffeebäuer*innen heute nur die Bäume nachpflanzen, die sie auf Empfehlung von Fedecafé vor 30, 40 Jahren gerodet haben. Auch andere stimmen in die Kritik ein: Gerade erst hat der Bericht des Klima-Watchdog Corporate Accountability in Zusammenarbeit mit der Zeitung The Guardian die Wirksamkeit von offsetting in Frage gestellt und 39 von 50 Offsetprojekten als „wahrscheinlich Müll“ bezeichnet. Auch ein Blick auf die deutsche Seite der Stiftung Solidaridad, die in Belén de Umbría gerade Bäume verschenkt, listet ein paar fragwürdige Industriepartner, bei denen Zweifel angebracht sind, ob sie sich wirklich ums Klima oder doch eher um Image und Profite mühen: den Getränkemulti Coca Cola, der sich überall auf der Welt Wasservorkommen sichert. Den Schweizer Agrochemiemulti Syngenta. Den Bayer Konzern, seit der Monsanto-Übernahme Glyphosat-Gigant. Den kanadischen Goldbergbaukonzern Newmont. Und erneut: Nestlé.
„Kaffee nicht bei transnationalen Unternehmen kaufen!“
In Kolumbien steht im Oktober die große Kaffee-Ernte an. Die Preise sind seit Jahren im Keller, die Kosten für Düngemittel und Pestizide seit Corona hoch. Ein bisschen Geld für gepflanzte Bäume? Für viele Bäuer*innen klingt das interessant. Zunächst auch für Ximena Pulgarín. Doch die Pulgaríns haben immer schon Bäume auf den Plantagen gehabt. Solidaridad und Nescafé zahlen aber nur für neue Bäume, nicht für bestehende. Ungerecht findet Ximena das. Außerdem: „Auf einer Informationsveranstaltung hat uns Solidaridad dann gesagt, dass die Zahlungen erst erfolgen, wenn die Bäume fünf Meter hoch sind, weil der Satellit, mit dessen Aufnahmen die Klimazahlungen berechnet werden, keine kleineren Bäume erfassen könne.“ Es klappt also mit den Zahlungen vor Ort auch nicht so wie erhofft. Ximena hat ohnehin einen anderen Ansatz für eine zukunftsfähige, klimabewusste Kaffeewirtschaft, eine, die nicht mehr dem Preisdiktat der großen transnationalen Unternehmen unterworfen ist: Ximenas Rat an Kaffeegenießer*innen in Deutschland: Fair gehandelten Kaffee möglichst direkt von den Kaffeebäuer*innen kaufen, nicht den Massenkaffee der großen Hersteller wie Nestlé. Denn die Konzerne tun längst nicht so viel für das Klima und die Kaffeefamilien, wie sie in ihrer Werbung versprechen.
Einen Onda-Beitrag zu diesem Thema findet ihr hier.
Dieser Beitrag erschien am 27.09.2023 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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