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Spanien: Sozialdemokratie zeigt, wie man gegen die Rechte mobilisiert

Bei den Parlamentswahlen in Spanien schnitt die sozialdemokratische PSOE überraschend stark ab und verhinderte (vorerst) einen Rechtsruck. Was die europäische Sozialdemokratie daraus lernen kann.

 Aus Spanien berichtet Christoph Pleininger

Als am 23. Juli um 20:00 Uhr Festlandzeit die Wahlkabinen geschlossen wurden, war den meisten Spanier*innen klar, dass die konservative Volkspartei Partido Popular (PP) die Wahlen gewinnen und bald das Land regieren würde. Seit Wochen haben dies die Umfragen vorhergesagt, ebenso wie eine Regierungsbeteiligung der rechtsextremen Partei Vox. Die Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai hatten diesen Trend bereits angedeutet: In vielen Autonomen Gemeinschaften kam es zu konservativen Regierungswechsel, in Extremadura und der Comunitat Valenciana sogar zu einer Koalition zwischen Konservativen und Rechtsextremist*innen.

Doch der Wahlabend war noch früh und keine vier Stunden später sah die Sache anders aus: Zwar gewann die PP die Wahlen, blieb aber weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Vox verlor 19 Sitze und der lächelnde Verlierer war der sozialdemokratische Regierungschef Pedro Sánchez, dessen Partido Socialista Obrero Español (PSOE) nicht nur einen Sitz hinzugewinnen konnte, sondern mit 7,76 Millionen Stimmen (31,7 %) das beste Ergebnis der Partei seit 2008 einfuhr. Zwar konnte weder der linke noch der rechte Block eine Mehrheit erzielen, doch der erwartete  Rechtsruck blieb in Spanien vorerst aus.

Einige Gründe dafür sind äußerst spanisch und demnach nicht in anderen Ländern reproduzierbar. Der Politikwissenschaftler Pablo Simón spricht im Spiegel-Interview etwa davon, dass der Erfolg Sánchez’ an den nationalistischen Regionalparteien im Baskenland und in Katalonien hänge. Auch habe es Vox bisher nicht geschafft, in den ärmeren Gesellschaftsschichten Wähler*innen zu mobilisieren.

Unterwegs im Feindesland

Was allerdings reproduzierbar ist, sind die Kommunikationsstrategien, die Sánchez angewandt hat. Wohlwissend, dass einige einflussreiche Medienunternehmen einen Regierungswechsel begrüßen würden, ging Sánchez bewusst in Sendungen, die er aufgrund des feindlichen Klimas während seiner Regierungszeit mied. Dabei übernahm er Teile der Medienkritik seines Koalitionspartners Podemos. „Die veröffentlichte Meinung ist nicht die öffentliche Meinung“, versicherte Sánchez dem Moderator Pablo Motos in der Unterhaltungssendung „El Hormiguero“. Es gebe nun einmal ein progressives und ein konservatives Spanien, doch in den Medien werde ersteres kaum wiedergegeben.

Auch ließ sich Sánchez vom konservativen Radiosender COPE, sowie der PP-nahen Fernsehtalkerin Ana Rosa Quintana interviewen. In diesen Medien wurde die mitte-links Regierung regelmäßig kritisiert, nun wollte Sánchez den Behauptungen und Beleidigungen seine Sichtweise entgegensetzen. Dies war vielleicht der entscheidende Schritt: Einem größeren Publikum, das immer dem gleichen Narrativ ausgesetzt ist, eine andere Erzählung bieten.

Tatsächlich hatte dies Sánchez während der letzten Legislaturperiode versäumt: Trotz positiver Bilanzen dank Strom- und Gaspreisbremse, einer temporären Übergewinnsteuer, kostenlosen ÖPNV für Pendler*innen, sowie Erhöhung des Mindestlohns und der Renten, schien die Bevölkerung einen politischen Wechsel herbeizusehnen. Erst in den Wochen des Wahlkampfs begann Sánchez seine Politik zu erklären und einem größeren Publikum gegenüber zu verteidigen. Was im Alltag nur bedingt spürbar ist, ist für die Bürger*innen oft nicht existent.

Mobilisierung

Gleichzeitig wies Sánchez auf die Gefahren einer möglichen Regierung aus Konservativen und Rechtsextremist*innen hin. Der sozialdemokratische Wahlkampf war primär auf die Mobilisierung des progressiven Spaniens ausgelegt. Die Parlamentswahlen wurden zu einem Referendum erklärt: Entweder weitere vier Jahre progressive Politik mit der aktuellen Regierungskoalition oder 40 Jahre zurück bei einem konservativen Regierungswechsel. Nicht umsonst lautete der Wahlslogan der PSOE: „¡Adelante!“ (Vorwärts!)

Die Widersprüchlichkeiten der Konservativen im Wahlkampf wurden von Sánchez dankbar angenommen. An die Behauptung, dass die Partei mit den meisten Stimmen regieren muss, hielt sich die PP nicht einmal selbst, wie die neue Regierung in Extremadura beweist. Dort gewann die PSOE die Wahlen, allerdings gelang es ihnen nicht, eine Mehrheit im Regionalparlament zu organisieren. Nun regieren dort PP und Vox. Die unklare Haltung der Konservativen zu einer Koalition mit Vox auf nationaler Ebene, konnte Sánchez ebenfalls ausschlachten, indem er darauf hinwies, dass die PP ihre Haltung über Nacht über Bord werfe.

Der sozialdemokratische Wahlkampf war primär auf die Mobilisierung des progressiven Spaniens ausgelegt.

Somit sollte die Kampagne der PSOE auch mögliche Wechselwähler*innen und moderate Konservative abfangen, denen eine rechtsextreme Regierungsteilnahme Angst machte. Ein prominentes Beispiel ist Belén Esteban, eine TV-Persönlichkeit. Sie habe zum ersten Mal die PSOE gewählt, da sie sich Sorgen um ihre queeren Freund*innen mache, sagte sie in Interviews.

Doch auch im linken Spektrum konnte die PSOE Wähler*innen hinzugewinnen, was wohl dem spanischen Wahlsystem geschuldet ist: Dort spielt taktisches Wählen (voto útil) eine viel größere und wichtigere Rolle als etwa in Deutschland oder Österreich, da die Sitze nicht proportional zu den Stimmen verteilt werden.

Perro Sanxe

Die Kampagne der Rechten gegen den sanchismo war geprägt von persönlichen Angriffen und Diffamierungen gegen den Regierungschef. In einem schlechten Wortspiel verwandelten sie Pedro Sánchez zu “perro Sánchez” (Hund Sánchez). Wie sich herausstellen sollte, war dies ein großer Fehler: Im Internet nutzten linke User*innen “perro sanxe” als Meme, um Sánchez als einen äußerst klugen Taktiker und resilienten Politiker darzustellen. Die Ummünzung einer spanischen Redewendung auf „perro sanxe“ entwickelte sich zu einem Symbol des Empowerments. In Interviews darauf angesprochen, verbesserte Sánchez die Journalist*innen, wenn sie den Spruch (más sabe Perro Sanxe por perro que por Sanxe) falsch zitierten. 

Zum Welthundetag posierte Sánchez mit seinen beiden Hunden und die PSOE twitterte das „perro sanxe“ Meme. Es wurden Buttons mit “Perro Sanxe” angefertigt und für Frauen gab es einen mit der Aufschrift “Perra Sanxe” (Sánchez’ Schlampe). Letzteren trug etwa seine Frau Begoña Gómez beim Wahlkampfabschluss der PSOE in Madrid. Durch die Umwandlung des persönlichen Angriffs in ein Meme wurde die Angriffsfläche vermindert, während man gleichzeitig den Rechten ein wichtiges rhetorisches Mittel stahl und es gegen sie selbst verwenden konnte.

Die Kampagne der PSOE war jedoch nicht perfekt: In dem einzigen TV-Duell mit dem konservativen Herausforderer Alberto Núñez Feijóo verlor Sánchez etwas die Nerven, als dieser ihn mit Lügen bombardierte. Der eigentlich gut vorbereitete Sánchez war somit mehr beschäftigt, Feijóo zu widersprechen, was keinen guten Eindruck hinterließ. Hier hätte Sánchez kühler reagieren müssen, seinen Gegenkandidaten ausreden lassen, um anschließend mit Fakten zu kontern.

Insgesamt konnte die PSOE bei den Parlamentswahlen überraschend gut abschneiden, da sie im Wahlkampf ihre progressive Politik in Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner Unidas Podemos vor einem größeren medialen Publikum verteidigte und gleichzeitig vor den Gefahren einer rechtsextremen Regierungsbeteiligung warnte, um progressive und moderate Wähler*innen zu mobilisieren. Damit die Sozialdemokratie dies jedoch glaubwürdig vertreten kann, sind Impulse aus dem Bereich links der Sozialdemokratie notwendig. Zu groß ist sonst die Versuchung, sich aus einem missverstandenen Stabilitätsgedanken einer nicht existenten politischen Mitte zu öffnen.


Titelbild: Christoph Pleininger

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