Der Songcontest der Literatur
Dieser Tage ging wieder einmal der „Ingeborg Bachmann-Preis“ über die Bühne. Ein Literaturwettbewerb, der wie kein zweiter im deutschen Sprachraum von verhältnismäßig großem medialen Getöse begleitet wird. Tatsächlich sind auch die Geldsummen, die über den PreisträgerInnen ausgeschüttet werden, beachtlich. Viele Literaturpreise, die hierzulande für ein Lebenswerk vergeben werden, sind nicht halb so hoch dotiert wie jene Prämien, die in Klagenfurt literarischen AnfängerInnen überreicht werden.
Von A.P. Pittler
Angefangen hat alles im Jahr 1977, als die Stadt Klagenfurt eine „Woche der Begegnung“ ausrichtete, in deren Rahmen auch die Literatur ihren Auftritt haben sollte. Ein Name für den neu zu schaffenden Preis, der im Rahmen eines Wettlesens vergeben werden sollte, war rasch gefunden. Ingeborg Bachmann war bis zu ihrem Tod 1973 eine der wenigen Lichtgestalten in der Kärntner Literatur gewesen, und so schien es passend, sich auf sie zu berufen. Und das durchaus wirkungsvoll, denn zahlreiche Mitglieder der Jury hatten Bachmann auch persönlich gekannt. Tatsächlich fand sich ein durchaus beeindruckender Panel an Literaten und Kritikern, die willens waren, den mit – für die damalige Zeit beachtlichen – 100.000 Schilling dotierten Preis zu vergeben. Marcel Reich-Ranicki, damals schon eine Ikone des Literaturmarkts, war ebenso vertreten wie Hans Weigel, Friedrich Torberg, Manès Sperber, Gertrud Fussenegger oder der dazumal noch als Rebell geltende Alfred Kolleritsch. Und auch die Schar jener, die sich dem Wettlesen stellten, war durchaus prominent. Karin Struck etwa, die mit ihren Romanen „Klassenliebe“ und „Die Mutter“ ein neues Kapitel in Sachen feministischem Soziorealismus eröffnet hatte, Reto Hänny, Herbert Eisenreich oder Marie-Theres Kerschbaumer waren damals im Feuilleton so beherrschend wie heutzutage die Menasses, Köhlmeiers oder Glattauers. Dass den ersten Bachmann-Preis dann Gert Jonke bekam, schien durchaus sinnfällig, denn der galt damals schon als Fixpunkt der Kärntner Literatur, an dem sich zahlreiche jüngere Kärntner Autoren wie Peter Turrini, Josef Winkler oder Florjan Lipus orientierten.
Auch im zweiten Jahr – in dem übrigens Hilde Spiel Torberg als Juror ersetzte – fand man mit dem DDR-Autor Ulrich Plenzdorf, dessen „Die neuen Leiden des jungen W.“ zu Recht als ein Markstein der neueren deutschen Literatur gilt, einen überaus würdigen Preisträger. Die nächsten Jahre sahen etwa Sten Nadolny, Urs Jaeggi und Jürg Amann als Preisträger, Namen mithin, die bekannt waren und im Literaturbetrieb bereits hinlänglich Spuren hinterlassen hatten.
Doch Mitte der 80er Jahre war der Anfangselan Geschichte. In der Jury tummelten sich mehr und mehr „Kritiker“, deren Renomee sich nicht jedem Literatur-Aficionado erschloss. Und auch die Namen der teilnehmenden Schreibenden glänzten nicht mehr ganz so hell wie ehedem. Der Bachmann-Preis war in der Ebene angekommen.
Wobei sich in der Rückschau erstmals zeigte, dass die Jury des Bachmann-Preises auch mächtig danebenliegen konnte. 1984 lasen u.a. heutige Fixsterne der deutschsprachigen Literatur wie Josef Haslinger, Michael Köhlmeier, Jörg Fauser, Thomas Strittmatter oder Evelyn Schlag, an den Namen derjenigen, die damals den Preis gewann, erinnert sich freilich zu Recht niemand mehr. Wenig später schieden mit Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler die letzten namhaften Juroren aus, die Veranstaltung verkam mehr und mehr zu einem regionalen Ereignis, das nur noch durch die enorm hohen Preisgelder und die formatfüllende Berichterstattung seitens des ORF attraktiv blieb.
Immerhin versuchte man, den Bewerb durch diverse Innovationen weiterhin im Gespräch zu halten. So gab es 1990 erstmals einen „Skandal“, als ein Autor disqualifiziert wurde, weil er einen bereits veröffentlichten Text vorgetragen hatte. Im Jahr darauf gewann erstmals eine Autorin mit türkischem Migrationshintergrund, und 1992 beplauderte man ausführlich den Umstand, dass die Gewinnerin des Preises über ihr überaus kompliziertes Verhältnis zu ihrem Vater, Literaturtitan Martin Walser, geschrieben hatte.
Und damit nahm der Preis allmählich jene Form an, die seit nunmehr vielen Jahren für ihn charakteristisch ist. Der Ingeborg Bachmann-Preis ist keine Peilmarke für die Qualität von Literatur, er ist auch keine Würdigung für ein verdienstvolles Werk, er ist eine Show-Veranstaltung, von der die Ausrichter weitaus mehr profitieren als die TeilnehmerInnen. Eine Art „Eurovisions-Songcontest“ der Literatur, wo es letztlich egal ist, wer gewinnt, denn die jeweiligen Sieger merkt man sich ohnehin keine 24 Stunden lang. Und wie beim ESC gibt es kaum einen Gewinner, der in der Folge wirklich Spuren im Literaturbetrieb hinterlassen hätte. In den 90er Jahren mag das noch für Franzobel und Terezia Mora gelten (Sibylle Lewitscharoff merkte man sich weit eher wegen ihrer, gelinde gesagt, eigenartigen politischen Aussagen), in den 00er Jahren vielleicht noch Uwe Tellkamp, aber das war´s dann auch schon. Viel wichtiger war das Drumherum, der Show-Effekt eben. Das Publikum im ORF-Zentrum und an den Bildschirmen, es schien weit weniger an der Qualität der jeweils vorgebrachten Geschichte interessiert, sondern weitaus eher an den anschließenden Auslassungen der Jury, die man als VorleserIn demütig über sich ergehen lassen muss. Dazu abends die Parties, das gelehrte Pallaver, die gelassen vor sich hergetragene Prätention. Für einige Tage im Jahr dürfen sich Literaturhausleiter, FeuilletonistInnen und Lehrstuhlinhaber der Klagenfurter Uni als das literarische Maß aller Dinge fühlen, und sie kosten diese Situation weidlich aus.
Dazu passt auch, dass die PreisträgerInnen nach ihrer Kür in der Regel kaum weitere Werke vorlegen. Maja Haderlap etwa, die 2011 gewann, legte in den zwölf folgenden Jahren gerade einmal einen schmalen Gedichtband vor, die Ukrainerin Katja Petrowskaja (2013) einen Anthologiebeitrag und ein paar Zeitungskolumnen. Bei Sharon Otoo (2016) dauerte es bis 2021, ehe ihr erster Roman auf Deutsch erschien, und auch das Oeuvre von Nava Ebrahimi, Ana Marwan und Valeria Gordeev ist insgesamt eher überschaubar.
Was aber auch daran liegt, dass die Preisträgerinnen (mit der Ausnahme von Ferdinand Schmatz gewannen in den letzten zehn Jahren ausnahmslos Frauen) allesamt für literarische Verhältnisse eher jung sind. Was für die Teilnehmenden insgesamt gilt. Schriftstellerinnen, die heute einen durchaus beachtlichen Namen haben – wie Valerie Fritsch, Anna Baar, Therese Präauer, Barbi Markovic, Cornelia Travnicek oder Raphaela Edelbauer, die samt und sonders den Bewerb nicht gewonnen haben -, traten zum Wettlesen an, und allesamt waren sie zum Zeitpunkt ihres Auftritts um die 30. Für ältere – oder gar arrivierte – Autoren ist in Klagenfurt kein Platz. Vermutlich, weil es der Jury in einem solchen Fall nicht gar so leicht fiele, das Gegenüber mit ein paar Dieter Bohlen-ähnlichen Sprüchen klein zu machen. Zudem sind für „junge Wilde“ ein Preisgeld von 25.000 Euro für ein paar Minuten Vorlesen aus einem – in der Regel noch unfertigen – Text allemal ein Movens, sich vor Publikum buchstäblich vorführen zu lassen. Insgesamt werden bei diesem Festival der Eitelkeiten 67.000 Euro an Preisgeldern ausgeschüttert, und da ja nur noch 14 (heuer sogar nur 12) Personen eingeladen werden (je zwei pro Juror), stehen die Chancen, etwas Kohle abzugreifen, für die TeilnehmerInnen gar nicht so schlecht.
Die Kommerzialisierung, die Beliebigkeit der Texte, die Konturlosigkeit der Teilnehmerschaft, all das wird die Fangemeinde des Bachmann-Preises nicht anfechten. Wie beim ESC eben, wo es dem Publikum auch herzlich gleichgültig ist, welcher Schlager-Heini sich auf der Bühne gerade verrenkt. Und solange Juroren, Sponsoren und Politik von dem Spektakel profitieren, wird es auch stattfinden. Auch wenn zwischen Anfang Juli und Ende Juni kein Mensch daran denkt, dass es den Bachmann-Preis überhaupt gibt. Erst, wenn ORF und das Klagenfurter Rathaus wieder damit beginnen, die nächste Austragung zu propagieren, wird sich in der überaus überschaubaren Literatenclique die Frage stellen: „Wer hat eigentlich letztes Jahr gewonnen?“ Wie beim Songcontest eben.
Titelbild: Gert Jonke Gedenktafel, 1. Preis Ingeborg Bachmann Literaturpreis (Lizenz: CC BY-SA 4.0)