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Lehre unattraktiv wegen schlechter Arbeitsbedingungen

In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der Lehrlinge in Österreich deutlich gesunken. Hinter dem Rückgang steckt nicht nur der demografische Wandel, sondern ebenso die geringer werdende Attraktivität von Lehrberufen in einigen Branchen und Ausbildungsbetrieben sowie die darin herrschenden abschreckenden Arbeitsbedingungen.

Von Hanno Bibermair (A&W-Blog)

Gleichzeitig wird in Österreich derzeit vonseiten der Betriebe ein Fachkräftemangel beklagt, mit dem einige Branchen zu kämpfen hätten. Gut ausgebildete und kompetente Lehrlinge wären für jene Unternehmen von unschätzbarem Wert und könnten dem Fachkräftemangel effektiv entgegenwirken. Doch leider wird gerade in den stark betroffenen Branchen seit Jahren verabsäumt, die Rahmenbedingungen zu verbessern und Jugendliche dazu zu motivieren, eine Lehrausbildung in diesen Bereichen anzustreben.

Die Lehrlingszahlen in Österreich sind seit Jahren auf einem niedrigen Niveau

Im Jahr 2002 waren in Österreich 120.486 Lehrlinge in Ausbildung. Das Jahr 2022 verzeichnete nur noch 108.085 Lehrlinge – ein Rückgang von insgesamt 10,3 Prozent in 20 Jahren. Die Lehrlingszahlen sind nicht kontinuierlich gesunken, denn von 2005 bis 2008 ist die Zahl der Lehrlinge auf rund 131.900 gestiegen, was den Höchststand der vergangenen 20 Jahre darstellt. Von da an sank die Lehrlingszahl stetig und erreichte 2017 den Tiefstand mit rund 106.600 Lehrlingen. Seither ist die Anzahl der Lehrlinge auf einem konstant niedrigen Niveau mit nur geringen Schwankungen. Der Rückgang in absoluten Zahlen ist zwar zum Teil auf den demografischen Wandel zurückzuführen, die schlechten Arbeitsbedingungen und unattraktiven beruflichen Aussichten in einigen Branchen beeinflussen die Entscheidung junger Erwachsener dahingehend jedoch zusätzlich negativ.

Die Bereitschaft der Jugendlichen, einen Lehrberuf zu wählen, ist dennoch nicht allgemein schwach zu bewerten. Die Lehranfänger:innenquote (Anteil der Lehrlinge im 1. Lehrjahr in Relation zu den 15-Jährigen) ist aktuell mit 40,7 Prozent im Jahr 2022 wieder auf einem hohen Niveau und vergleichbar mit Quoten aus den Jahren 2007 bis 2009. Dennoch haben einige Betriebe Schwierigkeiten, neue Lehrlinge für sich zu gewinnen. Dabei gibt es mehr Jugendliche, die eine Lehre suchen, als offene Stellen. Die jungen Menschen in Österreich sind durchaus gewillt, eine Lehre zu beginnen – nur nicht in allen Branchen gleichermaßen!

Kein branchenübergreifendes Problem, sondern Versäumnisse einzelner Sparten

Während manche Sparten in den letzten 20 Jahren einen Anstieg verzeichnen oder sich die Zahlen konstant halten, macht sich in anderen Bereichen ein drastischer Rückgang bemerkbar. Im Jahr 2022 gingen rund 16.400 Lehrlinge in Österreich einer Ausbildung in der Industrie nach – 2002 lag die Zahl noch bei rund 15.000 und 2012 bei rund 16.000. In den Lehrberufen in Banken und Versicherungen sind aktuell 34,4 Prozent mehr Lehrlinge vertreten als noch vor 20 Jahren, und die Zahl konnte sich auch in den letzten Jahren konstant halten. Genauso sind die Lehrlingszahlen in „Transport & Verkehr“ über den genannten Zeitraum von keinem Rückgang betroffen. Der größte Lehrlingsanstieg von 5.644 auf 9.536 Lehrlinge (+ 69 Prozent) lässt sich in den Lehren bei „sonstigen Lehrberechtigten“ feststellen, zu denen alle Betriebe zählen, die nicht der Wirtschaftskammer angehören, wie zum Beispiel Apotheken, öffentliche Verwaltung oder Rechtsanwaltskanzleien.

Lehrlinge in Österreich, Veränderung nach Sparten
Grafik: A&W-Blog

Eine gegenteilige Entwicklung findet sich in der Sparte „Tourismus & Freizeitwirtschaft“, in der sich von 2002 bis 2022 die Anzahl der Lehrlinge um satte 46,2 Prozent reduziert hat. Ein Rückgang von rund 12.900 Lehrlingen auf aktuell rund 6.900 – beinahe halb so viele Lehrlinge in lediglich 20 Jahren. In keiner anderen Sparte ist der Verlust an Lehrlingen so hoch. Dieser Rückgang ist keineswegs nur der Covid-Pandemie geschuldet, sondern stellt eine langfristig beobachtbare Entwicklung dar und hat seine Wurzeln in den unattraktiven Arbeitsbedingungen, die von den Verantwortlichen seit Jahren ignoriert werden.

Auch im Handel ist ein Schwund an Lehrlingen erkennbar. Insgesamt besteht hier ein Rückgang von 19,5 Prozent innerhalb der letzten 20 Jahre – von 18.884 auf aktuell 15.193 Lehrlinge. Doch wie in „Gewerbe & Handwerk“, wo in diesem Zeitraum ein Rückgang von 60.900 auf 46.900 Lehrlinge (-23 Prozent) vermerkt werden kann, steigen hier die Zahlen seit 2018 langsam an. Generell ist in allen Sparten seit 2018 wieder ein leichter Anstieg zu erkennen oder die Lehrlingszahlen bleiben zumindest konstant. Lediglich „Tourismus & Freizeit“ fällt hier aus dem Raster. Lehrausbildungen in Tourismus, Hotellerie & Gastgewerbe müssen demnach dringend grundsaniert werden, indem die Arbeitsbedingungen angepasst werden und sich die Branche zu einer attraktiveren Option für Lehrstellensuchende entwickelt. Sowohl „Beherbergung & Gastronomie“ wie auch „Handel“ gehören zu den Branchen mit den meisten offenen Stellen, aber gleichzeitig den niedrigsten Löhnen – diese finanziellen und beruflichen Aussichten sind definitiv kein Magnet für potenzielle Lehrlinge.

Es mangelt an der Qualität der Ausbildungen

Nicht nur die Lehrlingszahlen gewisser Sparten sind rückläufig, parallel sinkt auch der Anteil bestandener Lehrabschlussprüfungen (LAP) seit 2002 fast durchgehend. Während im Jahr 2002 noch 84,6 Prozent ihre Lehrabschlussprüfung positiv absolvieren konnten, waren es 2021 lediglich 77,3 Prozent – schon beinahe jeder vierte Prüfling in Österreich mit negativer LAP. Gerade 2020 und 2021 ist der hohe Anteil negativer LAPs aufgrund der geringen Ausbildungsqualität in der Covid-Pandemie wenig verwunderlich – zu dieser Zeit hätten Jugendliche deutlich mehr Unterstützung in ihrer Lehrausbildung gebraucht.

Bestande Lehrabschlussprüfungen in Österreich, Anteil in Prozent stark gesunken
Grafik: A&W-Blog

Zieht man dabei noch die Unterschiede zwischen den Branchen mit in Betracht, ist auffällig, dass laut Stand 2021 speziell Gewerbe & Handwerk (75,1 Prozent), Tourismus & Freizeitwirtschaft (77,2 Prozent) und die überbetrieblichen Lehrausbildungen (69,1 Prozent) von einer geringen Erfolgsquote bei den LAPs gekennzeichnet sind. Gleichzeitig gehören Beherbergung & Gastronomie zu den Sparten mit den meisten offenen Stellen. Auf der einen Seite verlangt diese Branche neue Fachkräfte, auf der anderen Seite fehlt die Bereitschaft, qualitätsvolle Ausbildungen anzubieten.

Hohe Abbruchsquoten – das Ergebnis schlechter Arbeitsbedingungen

Dass die Lehrausbildung häufig nicht den Erwartungen der Lehrlinge entspricht, ist auch anhand der Entwicklung der Lehrabbruchsquoten von 2010 bis 2021 zu erkennen. Der Anteil der Lehrabbrecher:innen war von 2010 bis 2016 auf einem relativ gleichbleibenden Niveau zwischen 15,5 Prozent und 16,4 Prozent. Dieser erhöhte sich allerdings ab 2017 drastisch. Während im Jahr 2016 eine Abbruchsquote von 16 Prozent vorlag, stieg sie im Jahr 2019 auf bereits 19,7 Prozent an. Im Pandemiejahr 2020 war die Abbruchsquote mit 16,4 Prozent erneut niedrig. Bereits im Jahr 2021 lag wieder eine hohe Quote von 18,5 Prozent vor. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich die Sparte „Tourismus & Freizeitwirtschaft“ im Vergleich als negativer Ausreißer mit einer Drop-out-Quote von 21,6 Prozent. Genauso gehört der Handel mit 19,7 Prozent zur Sparte mit den meisten Lehrabbrüchen. Im Vergleich dazu liegt die Drop-out-Quote in der Industrie bei lediglich 8,5 Prozent und bei Banken & Versicherungen bei 9,2 Prozent. Mit der voraussichtlich im Herbst 2023 startenden Pflegelehre kommt zudem eine weitere Branche mit schwierigen Arbeitsbedingungen hinzu, bei der im Rahmen der Lehrausbildung bereits jetzt eine hohe Drop-out-Quote zu erwarten ist.

Lehrausbildungen in Österreich brauchen eine Neusanierung!

Die Zahlen zeigen, dass wir nicht nur Herausforderungen aufgrund des demografischen Wandels lösen müssen, sondern dass wir es mit branchenspezifischen Mängeln zu tun haben. Besonders die extreme Rückläufigkeit im Bereich Tourismus & Freizeitwirtschaft in Verbindung mit der steigenden Drop-out-Quote muss ein Weckruf für die Notwendigkeit effektiver Maßnahmen sein. Trotz Angst vor mangelnden zukünftigen Fachkräften wird seit Jahrzehnten der schrumpfende Anteil positiver Lehrabschlüsse akzeptiert. Hier dürfen die Gründe nicht bei den Fähigkeiten der jungen Auszubildenden gesucht werden, sondern bei den Lehrbetrieben.

Eine qualitätsvolle Lehrausbildung und eine angemessene Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung sind unbedingt notwendig, um hier sinnvoll entgegenzuwirken. Es braucht eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Lehrlinge, speziell in Branchen mit hohem Fachkräftemangel. Genauso muss eine Qualitätssicherung der überbetrieblichen Lehrausbildungen durch Bereitstellung ausreichender Ressourcen gewährleistet werden. Gleichzeitig brauchen Lehrlinge endlich eine angemessene Wertschätzung in Form eines fairen Lehrlingseinkommens – und das in allen Branchen!


Dieser Beitrag wurde am 30.05.2023 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Austin Ramsey auf Unsplash

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