AktuellEuropaKulturNachhaltigkeit

Mehr Kommunikation zwischen Gästen und Einheimischen

Das fordert Selma Mahlknecht in ihrem aktuellen Buch „Berg and Breakfast“ und hinterfragt pointiert die Wechselbeziehung zwischen Tourismus und der angestammten Kultur in den Alpen. Aber nicht nur.

Interview: Urs Heinz Aerni

Selma Mahlknecht – Berg and Breakfast (Edition Raetia)

Urs Heinz Aerni: Selma Mahlknecht, Sie stammen aus dem Südtirol, lebten in Chur und Zernez und nun liegt dieses Buch über Tourismus und die Alpen vor. Was lässt Sie dran bleiben, an den Bergen?

Selma Mahlknecht: Nach wie vor fasziniert mich der Kultur- und Lebensraum Alpen mit seinen zahlreichen Herausforderungen, die zu interessanten Überlebensstrategien geführt haben. Die Menschen, die in den Bergen leben, werden oft als eigenbrötlerisch und verschlossen wahrgenommen, dabei waren Offenheit, Austausch und Innovation auch und gerade für sie schon immer sehr wichtig. Diese Kontraste zu analysieren und Visionen für die Zukunft zu entwerfen, ist mir ein Herzensanliegen.

Aerni: In Ihrem pointiert geschriebenen Buch „Berg and Breakfast“ hinterfragen Sie auch kritisch den Werdegang des Tourismus und zitieren dabei Dominik Siegrist, Professor für naturnahen Tourismus an der Ostschweizer Fachhochschule wie er durch die Zunahme der Zweitwohnungen und des Massentourismus‘ eine Gefahr sieht für die alten Dörfer. Ein Problem, das besonders Graubünden betrifft?

Mahlknecht: Dieses Problem ist überall in den Alpen beobachtbar, wo Orte als besonders attraktiv wahrgenommen werden – und bekanntlich hat Graubünden so manches Bijoux zu bieten. Dadurch entstehen viele Begehrlichkeiten finanzkräftiger Investoren, was beispielsweise die Grundstückspreise in die Höhe treibt.

Aerni: Sie schreiben, dass der Feriengast mehr „in die Pflicht“ genommen werden und nicht nur als „Devisenbringer“ mit Privilegien angelockt werden sollte. Können Sie das näher erläutern?

Mahlknecht: Die Vorstellung, dass man als zahlender Kunde nicht für Umwelt und Soziales Sorge tragen muss, ist überholt. Touristen, die die Landschaft vermüllen und mit ihrem Ressourcenverbrauch die Versorgungssicherheit der regionalen Bevölkerung, zum Beispiel beim Wasser, bedrohen, haben ausgedient. Hier braucht es eine klarere Kommunikation zwischen Gastgebern, Gästen und einheimischer Bevölkerung.

Aerni: Als Sie dieses Buch verfassten, überraschte uns die Pandemie. Wie nahm dieses Ereignis Einfluss auf Ihr Buch?

Mahlknecht: Ich stellte fest, dass der Urlaub in den Bergen durch die Pandemie einen Boom erlebte. Dies geschah einerseits durch die Reiseeinschränkungen, weil viele Schweizer keinen Urlaub im Ausland machen konnten und deshalb in die Berge fuhren, und andererseits durch die Sehnsucht nach dem Aufenthalt in der Natur. Dieser Trend hält bis heute an.

Aerni: Welche für die Alpen repräsentativsten Orte würden Sie einem Gast aus – sagen wir mal – New York zeigen?

Mahlknecht: Landschaftlich sicher Zermatt und das weltberühmte Matterhorn, aber auch die Dolomiten. Als Beispiel für touristische Übernutzung bietet sich ein Blick auf Ischgl mit den bekannten Party-Exzessen an. Beim Thema Regionalentwicklung könnte man abwanderungsgefährdete Gebiete wie das Calanca-Tal und Wachstumsregionen wie das Meraner Land, Kitzbühel oder das Oberengadin vergleichen. Und für entschleunigten Genuss würde ich zuletzt eine Wanderung in der Biosfera Val Müstair empfehlen.

Aerni: Wenn ich ein Bild malte mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie sollte es aussehen?

Mahlknecht: Ich stelle mir meine Leserinnen und Leser mit wachen Augen und einem Schmunzeln auf den Lippen vor. Auf jeden Fall sind sie ganz entspannt, denn sie sind vermutlich gerade im Urlaub.


Das Buch: „Berg and Breakfast – Ein Panorama der touristischen Sehnsüchte und Ernüchterungen“ von Selma Mahlknecht, Edition Raetia, 232 Seiten.

Selma Mahlknecht wurde 1979 in Meran geboren. Sie studierte Drehbuch und Dramaturgie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und engagiert sich u. a. für Projekte mit dem Dramatischen Verein St. Moritz und dem Humanistischen Gymnasium Meran. Sie lebt heute in Zernez als Schriftstellerin, Dramatikerin, Regisseurin und für ihre Arbeiten erhielt sie diverse Auszeichnungen, zuletzt 2022 den Theaterpreis Premi Travers Zuoz für das Stück „Üna sbrinzla da spranza per S-chus-ch“.

Titelbild: Dino Reichmuth auf Unsplash

DANKE, DASS DU DIESEN BEITRAG BIS ZUM ENDE GELESEN HAST!

Unsere Zeitung ist ein demokratisches Projekt, unabhängig von Parteien, Konzernen oder Milliardären. Bisher machen wir unsere Arbeit zum größten Teil ehrenamtlich. Wir würden gerne allen unseren Redakteur*innen ein Honorar zahlen, sind dazu aber leider finanziell noch nicht in der Lage. Wenn du möchtest, dass sich das ändert und dir auch sonst gefällt, was wir machen, kannst du uns auf der Plattform Steady mit 3, 6 oder 9 Euro im Monat unterstützen. Jeder kleine Betrag kann Großes bewirken! Alle Infos dazu findest du, wenn du unten auf den Button klickst.

Unterstützen!

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.