Kreuz im Klassenzimmer: Die Mehrheit hat nicht immer recht
Laut einer aktuellen Umfrage sprechen sich 67 Prozent der Österreicher*innen dafür aus, Kreuze in Klassenzimmern und öffentlichen Gebäuden beizubehalten. Dabei gibt es gute Gründe, der Mehrheit in dieser Frage zu widersprechen. Ein Plädoyer für weniger Kirche im Staat.
Von Moritz Ettlinger
Anfang März sorgte eine Forderung im heiligen Land Tirol für Aufregung: Unter der Überschrift „Raus damit, Kruzifix nochmal!“ plädierte das dortige Schüler*innenparlament für religiös neutrale Klassen ohne Kreuz an der Wand. Jede Schulklasse müsse sich einstimmig für ein Kruzifix im jeweiligen Raum aussprechen, andernfalls dürfe es dort nicht hängen.
Die Reaktionen aus der Landespolitik folgten prompt, ÖVP und FPÖ sprachen sich vehement dagegen aus, die Kreuze aus den Klassenzimmer zu entfernen. „Für mich sind solche Forderungen ein falsches Signal an junge Menschen, weil es eine rein negative Religionsfreiheit betont, die mit der Tiroler Kultur und der Wertehaltung in unserem Land nicht übereinstimmt“, zitiert die Tiroler Tageszeitung etwa den Obmann der Landjugend/Jungbauern und Landtagsabgeordneten Dominik Traxl von der Volkspartei.
Dem Rückhalt aus der Mehrheit der Bevölkerung können sich Traxl und Co. dabei sicher sein: Laut einer aktuellen Umfrage von „Unique Research“ im Auftrag des profil sprechen sich 67 Prozent der Österreicher*innen für Kreuze in Klassenzimmer und öffentlichen Gebäuden aus. Sie stimmen der Aussage „Kreuze sind Teil unserer Kultur. Sie sollten weiterhin in öffentlichen Gebäuden aufgehängt werden.“ zu. Nur 25 Prozent sind dagegen.
Die „Werte“ der Kirche
Es ist das am weitesten verbreite Argument für Kruzifixe in staatlichen Einrichtungen und Institutionen: Es gehöre doch zu unserer Kultur. Und ja: Es lässt sich schwer leugnen, dass das Christentum allgemein und der Katholizismus im Speziellen Österreich seit vielen Jahrhunderten geprägt hat und auch immer noch prägt.
Dabei wird allerdings gerne unterschlagen, auf welche Art und Weise. Schließlich mussten Aufklärung, Demokratie, die Gleichberechtigung von Homosexuellen und die Rechte von Frauen gegen den Willen der Kirche erkämpft werden. Noch heute haben Frauen innerhalb der katholischen Kirche nicht die gleichen Rechte wie Männer. Hochrangige Würdenträger polemisieren regelmäßig gegen die queere Community, bezeichnen Homosexualität als „Sünde“ oder „Krankheit“. Schwangerschaftsabbruch ist weiterhin verpönt, die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen wurden vom undemokratischen Vatikan lange Zeit vertuscht und unter Verschluss behalten. Sind das die Werte, auf die wir so stolz sind?
Ursprünge unserer Kultur
Auf der Suche nach den tatsächlichen Ursprüngen der europäischen Kultur kommt man an drei zentralen Quellen nicht vorbei: der Antike, der islam-arabischen Hochkultur und der Aufklärung. Das Christentum habe unbestreitbar ebenfalls eine zentrale Rolle gespielt und die europäische Geschichte lange bestimmt, hält die deutsche Giordano-Bruno-Stiftung, die sich für Aufklärung im 21. Jahrhundert einsetzt, in einer Broschüre (2015) fest. Aber: „Die wissenschaftlich-geistige und politisch-kulturelle Entwicklung wurde dadurch jedoch sehr viel stärker behindert als gefördert.“
Der Mythos vom sogenannten „christlichen Abendland“ ist eben genau das: ein Mythos. Er ignoriert, ob bewusst oder unbewusst, den massiven Einfluss der Antike Griechenlands und Roms genauso wie kulturelle Entwicklungen in der Zeit der islamisch-arabischen Zeit Europas. „Die geistige, wissenschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung Europas seit der Renaissance jedoch beruht nicht auf ‚christlichen Werten‘, sondern vielmehr auf der zunehmenden Befreiung von diesen Werten“, befindet die Giordano Bruno Stiftung abschließend.
Trennung von Staat und Kirche
Doch selbst, wenn man Werte wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit oder Vergebung mit dem christlichen Kreuz in Verbindung bringt, spricht so einiges gegen die öffentliche Zurschaustellung des christlichen Glaubens in staatlichen Institutionen.
Das klassische Kreuz mag zwar ein seit langer Zeit bestehendes, traditionelles Symbol sein, in erster Linie ist es aber ein Zeichen für den christlichen Glauben. Ein Kreuz in Schulen oder Ämtern widerspricht der gebotenen weltanschaulichen Neutralität des Staates, der keine Religion bevorzugen oder benachteiligen darf. Der Staat ist für alle da, nicht nur für die christliche Mehrheit der Bevölkerung, und sollte das auch symbolisch zeigen.
Die Dominanz von christlichen Symbolen in öffentlichen Einrichtungen stellt nicht nur andere Religionen eine Stufe unter das Christentum, sondern negiert auch die immer weiter wachsende Anzahl an konfessionslosen Menschen. Im Jahr 2021 gaben bereits 2 Millionen Menschen in Österreich (22,4 Prozent der Bevölkerung) an, sich keiner Religion zugehörig zu fühlen.
Ein Vertrag mit dem Vatikan
Dass die Trennung von Staat und Kirche in Österreich nicht so weit fortgeschritten ist wie sie sein könne, zeigt nicht nur das Festhalten von Politik und großen Teilen der Bevölkerung am Kreuz in öffentlichen Einrichtungen. Vor rund 90 Jahren, am 5. Juni 1933, unterzeichnete die österreichische Bundesregierung einen Vertrag mit dem Vatikan, der im Wesentlichen bis heute gültig ist: das Konkordat.
Darin wird – neben durchaus sinnvollen Punkten – beispielsweise geregelt, dass der Religionsunterricht zwar von der Kirche gestaltet, jedoch vom Staat bezahlt werden muss; genauso wie katholisch-theologische Fakultäten an den Universitäten. Damit untergräbt der Vatikan die staatliche Souveränität Österreichs, der der Kirche damit in einem sensiblen Bereich wie der Bildung mehr Einfluss zugesteht, als es in einem säkularen Staat der Fall sein sollte.
Bis zum heutigen Tag kann man in Österreich außerdem nach §188 des Strafgesetzbuches wegen der „Herabwürdigung religiöser Lehren“ für bis zu sechs Monate ins Gefängnis kommen – Blasphemie steht also auch im 21. Jahrhundert noch unter Strafe.
Glaube ohne Zwang
Die persönliche Religionsfreiheit jeder und jedes Einzelnen ist ein hohes Gut, ein Menschenrecht, das uneingeschränkt gilt und niemals infrage gestellt werden darf. Die Herabnahme von Kreuzen in Klassenzimmern und anderen staatlichen Einrichtungen schränkt dieses Recht keineswegs ein, sondern wäre nur ein weiterer, notwendiger Schritt in Richtung vollständige Trennung von Staat und Religion. Man könnte es auf folgenden Grundsatz herunterbrechen: Jede*r darf glauben, was er oder sie will, aber nicht glauben, diesen Glauben irgendjemandem unter die Nase reiben oder aufzwingen zu dürfen.
Der Staat sollte sich hier ein Beispiel an den Tiroler Schüler*innen nehmen, die verstanden haben, dass Nächstenliebe auch ohne Kreuz an der Wand wunderbar funktionieren kann. Die katholische Kirche hat sich in den letzten Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten jedoch zu viel zuschulden kommen lassen, als dass das christliche Kreuz als harmloses Symbol für „unsere Werte“ gelten kann.
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