Die Waffen nieder – einen Meilenstein setzen
Ein Gastbeitrag von Ilse Kleinschuster (AbFaNG)
Max Haller, emeritierter Professor für Soziologie und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, fragt sich in seinem Gastkommentar in der Wiener Zeitung, ob denn nicht anlässlich des fortdauernden Krieges in der Ukraine und der fortlaufenden Bitten um Waffenlieferungen, die Frage nach „Bemühungen für einen Waffenstillstand ebenso dringend notwendig wäre“.
„Frieden schaffen, ohne Waffen!“, ein vielfach wiederholter Slogan auf den Friedensmärschen, die heuer in vielen Städten Europas vermehrt Zuspruch aus der Bevölkerung hatten und Anlass für meine Gedanken ist.
Die Ukraine könne nur gewinnen, wenn sie die richtigen Waffen erhalte, so der Tenor von zwei jüngst erschienenen Artikeln in Wiener Zeitungen. Der Westen müsse seine Unterstützung zumindest verdoppeln. Wenn sich allerdings für neue Waffen, die hohes technisches Know-how erfordern, erst dafür eingeschulte Soldaten finden müssten, dann bräuchte das noch viel Zeit. Folglich würde sich der Krieg wohl noch sehr lange hinziehen. Was das bedeutet: noch mehr Tote, noch mehr Verwüstung in der Ukraine, womöglich keine Rückkehr der aus der Ukraine Geflüchteten und nicht zuletzt ein um Jahre verzögerter Wiederaufbau des Landes.
Kritisch beginnt Max Haller seinen Artikel. Es erscheint aus dieser Sicht wohl sehr befremdlich, dass von keiner politischen Spitzenpersönlichkeit Äußerungen zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu hören sind. Nicht nur von vonseiten vieler Länder der EU, die ja direkt vom Krieg betroffen sind und nicht unter dem Verdacht neoimperialistischer Ambitionen stehen, sondern vor allem auch nicht vonseiten Österreichs als neutralem Staat.
Argumente gegen sofortige Waffenstillstandsverhandlungen seien nicht überzeugend, schreibt Haller. So könnte Putin Gelüste auf mehr bekommen, würde man ihm die bereits eroberten Gebiete überlassen. Aber ist denn nicht erst über die Bedingungen für einen Frieden zu verhandeln, wenn erst einmal Waffenstillstand ausgemacht worden ist. Hier scheint es, als würde die EU-Kommissionspräsidentin schlecht beraten sein, wenn sie sagt „Waffenstillstandsverhandlungen kämen nicht in Frage“ – oder, gibt es Hintergründe, von denen wir nichts erfahren?
Seit Beginn des Krieges hätten sich wohl die Argumente für die Gegnerschaft von Putins Angriffskrieg verändert, durch den schlechten Verlauf habe sich die Frage von Sicherung der Freiheit auf die von territorialer Integrität des Staatsgebietes verlagert.
Immer schon hegte ich Zweifel ob der These, die Ukraine kämpfe stellvertretend für uns alle, für die Freiheit Europas. Hier meint auch Haller, diese These sei aus Sicht der politischen Ethik höchst fragwürdig. Es stelle sich die Frage der Güterabwägung zwischen dem möglichen Verlust einiger Staatsgebiete („der im Übrigen ja keineswegs Vorleistung sein müsste“), sowie Frieden und Wiederaufbau gegenüber massenhaftem Sterben von jungen Männern und Verwüstung ihres Landes.
Ein weiteres Argument, das man oft hört: Man könne mit einem Putin nicht verhandeln, er habe sich mit Hitler auf eine Stufe gestellt, wird von Haller als ein gewichtiges bezeichnet, habe doch der Internationale Strafgerichtshof Putin wegen Kriegsverbrechen bereits angeklagt. Allerdings habe Hitler lange vor dem Zweiten Weltkrieg seine mörderischen Absichten bereits ausgesprochen („Mein Kampf“), wohingegen Putin in seinen historisch-politischen Elaboraten „nur“ von der Ukraine als Geburtsland der russischen Zivilisation gesprochen habe und man es somit nicht dem Westen überlassen dürfe. Und Haller meint, es dürfte ihm auch sehr wohl bewusst sein, welche Folgen Angriffe auf NATO-Länder hätten.
Abschließend fragt sich (und uns) Haller, was denn die Alternative zu Waffenstillstandsverhandlungen wäre. Solange Putin an der Macht sei, müsse man mit ihm oder von ihm benannten Delegierten rechnen. Er meint, Österreich könnte sich unschätzbare Verdienste erwerben, wenn es zur Aufnahme solcher Gespräche beitragen würde – und ich stimme ihm gerne zu.
Zu solchen Verhandlungen wäre Österreich als neutraler Staat und Sitz der OSZE ein idealer Initiator und Moderator. Es könnte seiner Bevölkerung zeigen, dass auch ein kleines Land etwas bewirken kann, dass es mitgestalten kann – in welcher Zukunft wir und die, die nach uns kommen, leben werden. Ja, es könnte damit einen Meilenstein in der Geschichte der europäischen Sicherheitspolitik setzen.
Titelbild: Aedrian auf Unsplash
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