Proteste in Frankreich: Was steckt hinter der Pensionsreform?
Seit Wochen geht die Bevölkerung Frankreichs auf die Barrikaden. Fast täglich kommt es im ganzen Land zu Streiks und Demonstrationen. Grund dafür ist die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron angekündigte Pensionsreform. Was steckt dahinter und wie sicher ist eigentlich das Pensionssystem in Österreich?
Von Vincent Perle (MOMENT)
Macrons Pensionsreform sieht unter anderem vor, das Pensionsalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Aber gehen die Franzosen und Französinnen tatsächlich so früh in Pension? Ist eine Anhebung des Pensionsalters nicht die logische Konsequenz auf eine immer älter werdende Bevölkerung?
Abschläge bei Pensionsantritt
Bisher liegt das Mindestalter für den Pensionsantritt in Frankreich bei 62 Jahren. Zumindest in der Theorie. Denn viele Franzosen und Französinnen haben in diesem Alter noch nicht genug Beiträge bezahlt, um ihre Pension tatsächlich antreten zu können. Ganze 42 Jahre sind nämlich notwendig, um die staatliche Pension in voller Höhe zu erhalten. Wer mit 20 beginnt zu arbeiten, darf sich im Lebenslauf also nicht die kleinste Lücke leisten. Jedes Quartal, in dem keine Beiträge in die Pensionskasse eingezahlt wurden, wird mit einem kleinen Abzug bestraft. Wer mit 62 zum Beispiel nur 38 statt der geforderten 42 Jahre gearbeitet hat, würde statt 50 Prozent nur 40 Prozent seines/ihres Durchschnittsgehalts erhalten. Wer nicht die Mittel hat, fehlende Beitragszeiten „nachzukaufen“, muss entweder auf einen Teil der Pension verzichten oder vier Jahre länger arbeiten. Die Pension für alle und ohne Abzüge gibt es in Frankreich hingegen auch heute schon erst zwischen 65 und 67 Jahren. Teil der geplanten Reform ist es auch, die erforderliche Anzahl an Beitragsjahren von 42 auf 43 zu erhöhen.
Schieflage bei Lebenserwartung und Gesundheit
Als zentrale Argument für eine Anhebung des Pensionsalters wird – nicht nur in Frankreich – die steigende Lebenserwartung genannt. Und tatsächlich werden die Menschen immer älter. Der Anstieg der Lebenserwartung hat sich aber inzwischen deutlich verlangsamt. Während der Covid-19-Pandemie nahm die Lebenserwartung sogar erstmals seit langer Zeit wieder ab. Wie alt Menschen werden, hängt außerdem stark von Faktoren wie dem Bildungsgrad, dem Erwerbsstatus und der Einkommenshöhe ab. In Österreich ist die Lebenserwartung eines 35-jährigen Akademikers beispielsweise um sechs Jahre höher als die von 35-jährige Männern mit Pflichtschulabschluss.
In Frankreich seien laut dem Generalsekretär der Gewerkschaft CFDT etwa 20 Prozent der Arbeiter und Handwerker schon tot, bevor sie das Alter von 64 erreichten. Bei den Büroangestellten sind es zu diesem Zeitpunkt hingegen fünf Prozent. Auch vom Anstieg der Lebenserwartung profitieren die unteren Einkommensgruppen deutlich weniger. Zahlen aus Deutschland zeigen, dass der Zugewinn über 20 Jahre betrachtet bei vier Jahren im obersten Einkommenszehntel und nur einem Jahr im untersten Einkommenszehntel lag. Wird also das gesetzliche Pensionsalter angehoben, wird die Pensionsbezugsdauer für die unteren Einkommensgruppen überproportional stark gekürzt.
Wesentlich sind die gesunden Lebensjahre
Ob die eigene Pension genossen werden kann, hängt aber auch von der eigenen Gesundheit ab. In Österreich liegt die Zahl der gesunden Lebensjahre deutlich unter dem EU-Schnitt. Hierzulande konnten sich Männer 2020 lediglich über 58,2 gesunde Lebensjahre freuen, Frauen nur über 59,3 Jahre. Damit liegt Österreich jeweils rund fünf Jahre unter dem EU-Schnitt. Und auch hier zeigt sich eine eindeutige Schieflage. Wer in körperlich belastenden Berufen arbeitet, kommt auf weniger gesunde Lebensjahre – und hat dementsprechend weniger von seiner Pension. Das betrifft zum Beispiel Arbeiter:innen im Baugewerbe oder Pflegekräfte. Reichere Bevölkerungsschichten werden also nicht nur älter, sie erfreuen sich auf länger einer guten Gesundheit – und können ihre Pension daher deutlich länger genießen.
Integration älterer Arbeitnehmer:innen
Dass es immer mehr ältere und weniger jüngere Menschen gibt, sagt grundsätzlich noch nicht viel über die Sicherheit eines Pensionssystems aus. Entscheidend ist, wie viele Menschen in das Pensionssystem einzahlen und wie viele Leistungen daraus beziehen. Werden ältere Menschen gut in den Arbeitsmarkt integriert, steigt die Zahl jener, die in die Kasse einzahlen. Leider werden ältere Menschen sowohl in Österreich, als auch in Frankreich am Arbeitsmarkt immer noch stark diskriminiert.
So befanden sich in Österreich Ende 2022 56,2 Prozent der 55- bis 64-Jährigen in Beschäftigung, in Frankreich nur 57,3 Prozent. Frauen sind davon besonders stark betroffen. In Österreich geht jede zweite Frau aus der Arbeitslosigkeit in die Pension. Die Antwort auf die bevorstehenden demografischen Herausforderungen müssen daher ein verbesserter Zugang zum Arbeitsmarkt, gute Erwerbschancen und gesunde und sichere Arbeitsbedingungen sein.
Das österreichische Pensionssystem ist zukunftssicher
„Bis wir alt sind, werden wir sowieso keine Pension mehr bekommen“. Diesen Satz kennen gerade jüngere Österreicher:innen nur zu gut. Die Angst dahinter: Mit steigender Lebenserwartung gibt es immer weniger Menschen, die in die Pensionskasse einzahlen, und immer mehr, die Geld daraus beziehen. Das kann sich ja auf Dauer nicht ausgehen – oder doch?
Tatsächlich sind die Pensionen in Österreich grundsätzlich sicher. Selbst langfristige Prognosen, die damit rechnen, dass die Lebenserwartung konstant und deutlich ansteigt, kommen zum Schluss, dass das Pensionssystem in Österreich gut auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet ist. Der Staat wird zwar in Zukunft etwas mehr Geld zuschießen müssen, gemessen an der Wirtschaftsleistung bleibt dieses Plus aber äußerst überschaubar. Das wird auch von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Eine Erhöhung des Pensionsalters lehnt diese hingegen ebenso ab wie eine Senkung der Pensionen.