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Ein Survivalguide für unseren Planeten

50 Jahre nach “Die Grenzen des Wachstums” erschien im September ein neuer Bericht an den Club of Rome. Es ist ein Genesungsprogramm für unsere krisengeschüttelte Welt.

Ein Gastbeitrag von Ilse Kleinschuster

Das Buch will aufzeigen, wie eine Kehrtwende möglich wäre, wenn, ja, wenn wir uns inspirieren lassen, wenn wir eine derart bahnbrechende Vision ernst nehmen und versuchen sie zu leben. Als eine Verfechterin der Idee eines globalen Grundeinkommens will ich darüber berichten, weil darin auch die Einführung eines Bürgerfonds und eine allgemeine Grunddividende beschrieben wird, um eine Ungleichheitskehrtwende herbeizuführen.

Hinter Earth for All steht eine ganze Reihe von engagierten Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, darunter führende Denker*innen in Fragen zu Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt, die eine offene Plattform bilden, darunter so bekannte Namen wie Maja Göpel, Tim Jackson, Sandrine Dixson-Decleve, Chandran Nair, Kate Raworth, Jorgen Sanders, Johan Rockström, John Schellnhuber, Ernst von Weiszäcker und Ken Webster (Circular Economy). 

Vielfach sind sie zugehörig zum Club of Rome, dem Potsdam Institut für Klimaforschung, dem Stockholm Resilience Centre und der Norwegian Business School. Letztlich geht es ihnen um die Grenzen des Wachstums und die planetaren Grenzen, um unsere kollektive Zukunft, um unsere Zukunft als Zivilisation, als einer Gruppe von 8 Milliarden Menschen, als ein eng geknüpftes Netz von Gesellschaften. Sie alle waren sich unter anderem einig, dass eine Transformation des Nahrungsmittelsystems unumgänglich ist.

Earth for All wird von einer transformativen Wirtschaftskommission geleitet, um neues wirtschaftliches Denken zu erforschen, das uns in ein System transformatorischer Wohlstands-Ökonomie führen könnte. Unterstützt wird es durch eine Kampagne, die langfristige, nachhaltige Politikstrategien fördert. 

„Earth for All – eine konkrete, bahnbrechende Vision, wie das Wohlergehen aller – in jedem Land – auf unserem begrenzten Planeten sichergestellt werden kann.“ – Ban Ki-moon 

In dem Buch wird zunächst ihre Analyse des Ist-Zustands geschildert, erst dann werden ganz konkreter Fragen zu unserer Zukunft gestellt. Diese konzentrieren sich auf zwei eng ineinandergreifende Systeme: Mensch und Planet, genauer gesagt, die globale Wirtschaft und die lebenserhaltenden Systeme. Schließlich werden die Ergebnisse der Earth4All-Initiative, die 2020 gegründet wurde, präsentiert.

Ein in den letzten Jahren erarbeitetes systemdynamisches Modell, genannt Earth for All, wurde verwendet, um auf globaler Ebene die fünf außergewöhnlichsten gesellschaftlichen Wandelerscheinungen dieses Jahrhunderts zu erforschen: Armut, Ungleichheit, Ermächtigung, Ernährung und Energie.

In diesem Modell wird die weltweite Entwicklung als Summe der Entwicklung in zehn Regionen der Welt berechnet. Bei der Anpassung an die Regionen wurde festgestellt, dass zahlreiche Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und Verhaltensmerkmale systematisch in Abhängigkeit vom BIP pro Person variieren. Eine vollständige technische Beschreibung des Modells finden sie unter www.earth4all.life. Das Open-Source-Modell lässt sich herunterladen und auf eigenen Computern ausführen. Zwei Szenarien wurden unter mehreren ausgewählt, um globale Trends näher zu erforschen: TOO LITTLE TOO LATE und GIANT LEAP – ZUSAMMENBRUCH oder DURCHBRUCH.

Buchcover von Earth for All
Earth for All – Ein Survivalguide für unseren Planeten (oekom Verlag)

Für die Bewältigung der nötigen, außerordentlichen Kehrtwenden – mit der Perspektive „Eine Erde für alle“ – brauchen wir eine Umgestaltung der Märkte und langfristiges Denken. Dies können nur willige Regierungen mit Unterstützung der Bürger*innen leisten. Die klare Schlussfolgerung lautet also, dass die Regierungen aktiver werden müssen. Die Investitionen werden in den ersten Jahrzehnten am größten sein und dann aber zurückgehen.

Kehrtwenden werden unweigerlich auch disruptive Wirkung zeigen, vor allem wenn sie mit anderen disruptiven Entwicklungen zusammenwirken, wie gerade jetzt zum Beispiel mit der nächsten Phase exponentieller technologischer Durchbrüche in den Bereichen künstliche Intelligenz, Robotik, Vernetzung und Biotechnologie, von denen vielleicht Wirtschaft, Gesundheit und Wohlergehen profitieren, die aber auch massive Auswirkungen auf die Privatsphäre, die Sicherheit und die Zukunft der Arbeitsplätze haben werden. Lösungen, die auch für die globale Mittelschicht akzeptabel wären, weil fair und erschwinglich, werden also zu erproben sein, um weitere destabilisierende Effekte zu vermeiden. Das führt zu der Frage:

Wie soziale Sicherheitsnetze schaffen, um alle Mitglieder der Gesellschaft zu schützen?

Ein Vorschlag, der schon seit Jahrzehnten in der Luft liegt, ist das Universal Basic Income (UBI). Guy Standing, ein Hauptvertreter dieser Bewegung und Autor von „Plunder oft he Commons“ beschreibt in dieser Abhandlung zum Konzept (A Universal Basic Dividend) einer allgemeinen Grunddividende aus Gemeingütern drei Grundtypen:

  • die erschöpfbaren, also „nicht-erneuerbare“ Ressourcen, wie Mineralien und fossile Brennstoffe
  • die wiederauffüllbaren, für deren Regenerierung Geld zurückgelegt werden muss 
  • und die „erneuerbaren“ Ressourcen – von so greifbaren, materiellen wie Wasser und Atmosphäre bis hin zu nicht-greifbaren, immateriellen wie Ideen. Abgaben aus ihrer Bewirtschaftung könnten für die sofortige Rückverteilung den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt werden.

Es werden Bürgerfonds zu ihrer Verteilung vorgeschlagen. Wie das herkömmliche Abgaben- und Dividendenmodell bestünde der Bürgerfonds aus zwei Teilen: 1) dem Privaten Sektor – er muss für die Nutzung nationaler und globaler Gemeingüter bezahlen, d.h. für die Entnahme von Ressourcen, die unter dem gemeinsamen Schutz aller in der Gesellschaft stehen (fossile Brennstoffe, Land, Süßwasser, Meere, die Mineralien, die Atmosphäre, aber auch Daten und Wissen und 2) dem Öffentlichen – die Abgaben fließen in einen nationalen Bürgerfonds, dessen Einnahmen mittels einer allgemeinen Grunddividende gleichmäßig an alle Bürgerinnen und Bürger ausgeschüttet werden.

Was mich daran interessiert und fasziniert und was viele, die sich derzeit noch gegen die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommen verwehren, interessieren sollte, wäre doch die Möglichkeit, mittels dieses neuen Modells gesellschaftspolitische Maßnahmen zu erheben, die geeignet wären – durch die Einführung eines Wohlergehensindex und eines Index der sozialen Spannungen (als Funktion des Pro-Kopf-BIP, der Arbeitslosigkeit, der Einkommensungleichheit, der Schuldenlast, der staatlichen Dienstleistungen, der lokalen/regionalen Umweltverschmutzung und der wahrgenommenen Erderwärmung) -, die Verbindung zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit so zu veranschaulichen, dass erstmals die Sinnhaftigkeit deutlich würde, soziale Nachhaltigkeit in ein integriertes Bewertungsmodell einzufügen. Derartige Maßnahmen würden ein Genesungsprogramm für unsere krisengeschüttelte Welt bedeuten und würden, wenn von einer Mehrzahl angenommen und gelebt, den Weg zu einer humaneren, friedlichen Gesellschaft ebnen.


Club of Rome – Earth for All
oekom Verlag, 2022 – 256 Seiten
ISBN: 978-3-96238-387-9

Dieser Beitrag wurde als Gastartikel eingereicht. Auch Dir brennt etwas unter den Nägeln und Du willst, dass es die Öffentlichkeit erfährt? Worauf wartest Du noch? Jetzt Gastartikel einreichen!

Titelbild: Renzo D’souza auf Unsplash

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