(K)ein gemeinsamer Weg aus der Krise?
Wirtschaftswachstum wird seinem Ruf, für Wohlstand und sozialen Frieden zu sorgen, erst dann gerecht werden können, wenn die dem Kapitalismus innewohnenden, kontraproduktiven Strukturen (an)erkannt werden, schreibt Ilse Kleinschuster von „Abfang“ im Gastkommentar anlässlich des SDG-Dialogforums 2022 in Österreich.
Laut Annelies Vilim, der Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung und Autorin eines Gastkommentars in der Wiener Zeitung – anlässlich des SDG-Dialogforums, das am 6. und 7. Oktober 2022 in Wien stattfinden soll (Thema: „Aktuelle Chancen und Perspektiven zur Umsetzung der AGENDA 2030“) – stehen „weltweit zahlreiche Errungenschaften nachhaltiger Entwicklung auf dem Spiel“.
Umso wichtiger meint sie, sei jetzt die rasche Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, wie sie ja auch beim SDG-Dialogforum 2022 diskutiert würde. Tja, die Zeit drängt, da mag sie wohl recht haben. Was aber die Errungenschaften nachhaltiger Entwicklung, die auf dem Spiel stünden, betrifft, frage ich mich: welche Errungenschaften?
Sind da jene Errungenschaften gemeint, die uns Verfechter eines „Grünen Wachstums“ vorgaukeln, die das Wirtschaftswachstum möglichst weit vom natürlichen Ressourcenverbrauch entkoppeln wollen, womit ihnen eine prosperierende Wirtschaft ohne Umweltzerstörung vorschwebt – sozusagen, ein „Green Deal“. Die Voraussetzungen für diesen sind meiner Ansicht nach derzeit nur schwer vorstellbar, denn das hieße ja, mehr staatliche Regulierung, starke soziale Bewegungen und vor allem demokratische Kontrolle der (Finanz-)Märkte.
Dazu fehlen vorläufig wohl nicht nur zivilgesellschaftliches Potential, um nationale Handlungskataloge durchzusetzen, sondern auch die technischen Mittel für ein faires Wirtschaftswachstum im Weltmaßstab. Kohlenstoffärmeres Produzieren in unseren Breitengraden scheint ja nicht mehr so sehr das Hauptproblem zu sein wie in vielen anderen Staaten der Welt, die erst in jüngster Zeit als starke, neue Entwicklungsländer in den Fokus kommen. So wird also wohl „grünes Wachstum“ noch auf längere Zeit ein politisch und wissenschaftlich umstrittener Begriff bleiben. Darüber sollte ernsthafter diskutiert und kritischen Stimmen sollte mehr Gehör geschenkt werden.
Wirtschaftswachstum wird seinem Ruf, für Wohlstand und sozialen Frieden zu sorgen, erst dann gerecht werden können, wenn die dem Kapitalismus innewohnenden, kontraproduktiven Strukturen (an)erkannt werden. Die letzten Jahrzehnte haben dazu nicht viel beitragen können, ist doch die Wachstumslogik zu tief in die gegenwärtigen ökonomischen, politischen und kulturellen Strukturen eingeschrieben.
Sind wir demnach verdammt zu einem einsamen Weg aus der Krise?
Könnte es sein, dass die derzeitige konfliktreiche Lage, in der sich jetzt auch Europa befindet, in einer kritischen Analyse mündet, die uns Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit nahelegt, wollten wir uns einen Rest an „Wohlstand“ erhalten? Sind Konflikte nicht schon strukturell in der heutigen Wachstumsgesellschaft angelegt? Letztlich geht es doch immer härter um Wettbewerbsfähigkeit, um Wirtschaftsmotoren, die auf Hochtouren laufen (müssen) und dazu Naturressourcennutzung/-verbrauch steigern, ökologische Schäden durch den immer riskanter werdenden Abbau von fossilen Rohstoffen verursachen, globale Ungerechtigkeiten, beispielsweise durch Landgrabbing, entstehen lassen.
Ich bin Jahrgang 38 und habe noch Krieg erlebt, aber auch eine Zeit wo es zwar wenig zu kaufen, aber dafür sehr viel Gutes zu erleben gab. Dieses aktive Erleben und Erfahrungen machen in einer Zeit des Wiederaufbaus war wohl wichtig für meine heutige Haltung gegenüber Krieg. Erfahrungen im Familienkreis, im Kreis von Freundschaften und später im weiteren gesellschaftlichen Umkreis haben mich erkennen lassen, dass es ein über das Geld hinaus viel wichtigeres Kapital gibt – nennen wir es Sozialkapital. In diesem Sinne bin ich sehr skeptisch geworden und sehe leider den gemeinsamen Weg aus der Krise äußerst gefährdet. Ich fürchte, eine derart finanzgetriebene Gesellschaft wird diesen Weg nicht schaffen.
Titelbild: Guillaume de Germain auf Unsplash
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Gestern war ich eingeladen im Kreis einer „Familie“ den 18. Geburtstag des Sohnes, Sascha, zu feiern. Da waren Ukrainer, Russsen und Aserbeidschaner zusammen und sie bezeichneten sich als Große Fmilie. Es war eine Erfahrung, die mich nachdenklich machte: Immanuel Kant hat seinerzeit mit seinem Text „Zum Ewigen Frieden“ die Gründer des Völkerbunds und danach auch Vertreter der UNO motiviert, er meinte darin, Politiker müssten im Einvernehmen von politischer Klugheit und Moral handeln, allein diese Einheit sei wirklich der Vernunft des Menschen gemäß. Er setzte den Friedenswillen der Politik voraus, sobald das Volk wirklich mitbestimmt. Der gesammelte Wille des Volkes entspräche, so erklärt uns Kant, der Vereinigung von Klugheit und Moral, was er als „reine praktische Vernunft“ bezeichnete. Kant spielte mehrfach auf die Bibel als Inspiration an und er wies treffend nach, dass die Hoffnung auf einen künftigen Frieden auf Vernunft gegründet sei. Nun, ich vertraue nach wie vor, dass menschliche Denkleistung nicht allzu schnell von maschineller eingeholt wird – und somit der Moral noch eine kleine Chance gegeben wird.
In diesem Sinne sei es mir erlaubt weiter zu hoffen!
Hier möchte ich eine Video-Aufzeichnung eines Ökonomen und Psychiaters vor einer UN-Kommission zum Nach-denken geben. Es geht jetzt doch darum, Klimaschutz und digitale Entwicklung auf ein gemeinsames Gleis zu bringen. Erst wenn uns das gelingt, werden wir imstande sein, einen ‚Neuen Humanismus‘ zu kreieren – der uns ‚Damage-Control‘ ermöglicht -, eine emotionale, eine soziale Intelligenz in einem digitalen Anthropozän. Siehe dazu auch Dirk Messner (deutscher UBA-Chef) zu den Dynamiken im Digitalen Zeitalter.