Preis-Profit-Rally beenden!
Von Bettina Csoka (A&W-Blog)
In den letzten drei Jahrzehnten bewegten sich die jährlichen Preissteigerungen in Österreich im konjunkturellen Auf und Ab zwischen einem halben Prozent (Krisenjahr 2009) und maximal vier Prozent (1992), im Schnitt bei zwei Prozent, dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) als für eine stabile ökonomische und preisliche Entwicklung definierten Zielwert. Seit den Herbstmonaten 2021 entspricht die Inflationsentwicklung einer Preis-Profit-Rally auf Kosten vieler mit wenigen Profiteur:innen. Jetzt braucht es kluge preisdämpfende, Sondergewinne abschöpfende und die vielen entlastende verteilungsgerechte Maßnahmen.
Die Preis-Rally
Die monatlichen Inflationswerte im Jahresabstand erreichten – ähnlich wie im Euroraum mit 8,6 Prozent – in Österreich zuletzt (Juni 2022) fast neun Prozent. Mit prognostiziert bis zu 7,8 Prozent wird die Jahresinflation im Gesamtjahr 2022 fast dreimal so hoch sein wie im Jahr zuvor (2021: 2,8 Prozent). Für die Kaufkraft relevant ist der zurückliegende 12-Monatsschnitt, der aktuell (Juli 2021 bis Juni 2022) 5,2 Prozent beträgt. Preistreibende Wirkung entfachen Lieferknappheiten infolge von Pandemie-eindämmenden Maßnahmen (Lockdowns in Asien), Energieverteuerungen infolge von Ukraine-Krieg und Sanktionen, kombiniert mit profitgetriebenen Spekulationen und Marktmacht ausnutzenden Preissetzungen.
Teuerung ist nicht gleich Teuerung
Bleiben die Anstiege des Preisniveaus anhaltend hoch, hat das für Menschen mit geringeren Einkommen fatale Auswirkungen. Sie müssen entweder auf Ausgaben verzichten oder sich für (notwendige) Ausgaben bei der Bank oder Bekannten und Verwandten noch mehr verschulden. Schon vor den massiven Preisanstiegen überstiegen die Konsumausgaben der drei Zehntel der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen ihre Familienbudgets. Laut jüngsten Berechnungen übersteigen die durchschnittlichen Konsumausgaben nunmehr das Einkommen der einkommensschwächsten 35 Prozent der Haushalte (das sind 1,4 Millionen Haushalte!). Für einkommensstärkere Haushalte hingegen, die bis zu 40 Prozent ihres Einkommens für Sparzwecke verwendet haben, hat die aktuelle Teuerung wenig bis keine Einschränkung ihres Lebensstandards zur Folge.
Bereits Pandemie verursachte massive Einkommensverluste
Den aktuellen inflationsbedingten Einkommens- bzw. Kaufkraftverlusten gingen bereits dramatische „pandemiebedingte“ Einkommensverluste voraus. Im ersten Quartal 2022, also zwei Jahre nach Pandemieausbruch, klagte mehr als ein Drittel der Haushalte über Einkommensverluste in den letzten zwölf Monaten, zu einem Viertel hauptverursacht durch geringere Arbeitszeit bzw. weniger Lohn und zu einem Fünftel bereits durch die Inflation. Und die Zukunftserwartungen sind düster – ein Viertel befürchtet (weitere) Einkommensverluste.
Verkehr, Haushaltsenergie, Lebensmittel
VPI-Preistreiber sind die Ausgaben für Verkehr (Sprit), Wohnen (Haushaltsenergie) und Lebensmittel. Im Halbjahresschnitt (Dezember 2021 bis Mai 2022) mussten die österreichischen Haushalte für ihre Konsumausgaben um 6,1 Prozent mehr zahlen. Mit in diesem Zeitraum plus rund zwölf Prozent ist die Teuerung beim durch die Spritpreise geprägten, durchschnittlichen Wocheneinkauf doppelt so hoch. Vom massiven Preisanstieg sind die Haushalte mit geringem Familienbudget besonders stark betroffen. Das Haushaltsfünftel mit den niedrigsten Einkommen musste noch vor der Preis-Rally bereits fast 60 Prozent für Wohnen/Energie, Ernährung und Verkehr ausgeben.
Milliardenschwere Profit-Rally
Die viele in unüberwindbare finanzielle Schwierigkeiten bringende Preis-Rally ist zugleich eine Profit-Rally, wie die Milliardengewinne (internationaler) Öl- bzw. Gaskonzerne sowie Energie-/Stromversorger belegen, darunter auch die teilstaatliche OMV und der mehrheitlich öffentliche Verbund (Übergewinne). Die westlichen fünf „Big Oil“ (Exxon Mobil, Chevron, Shell, BP und Total Energies) haben allein im ersten Quartal 2022 mit 30 Milliarden Euro einen doppelt so hohen Gewinn kassiert als im Vorjahr. Sie haben, wie DIW-Mitarbeiter Stefan Bach feststellt, keine besonderen Leistungen erbracht und sind keine großen unternehmerischen Risiken eingegangen, sondern profitieren von der Knappheit an Energie, der spekulativen Unsicherheit auf den Energiemärkten und ihrer Marktmacht.
Sondergewinne abschöpfen – 200 Milliarden Euro Steuereinnahmen
Der US-Ökonom Joseph Stiglitz fordert daher, wenn die Unternehmen ihre Preise über die Produktionskosten anheben, sollten sie mit einer Art Kriegssteuer belegt werden, aus deren Einnahmen Entlastungen für Konsument:innen finanziert werden. Im „Windschatten“ der Krise machen insbesondere auch die – etwa mit Wasserkraft produzierenden – Stromanbieter hohe Sondergewinne wegen des an den Gaspreis gekoppelten Strompreises (gemäß dem politisch beschlossenen „Merit-order“-Prinzip an der EU-Strombörse wird der Preis für elektrische Energie durch das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt, das noch benötigt wird, um die Stromnachfrage zu decken – derzeit Gas). Daher fordert der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister, dass die Politik entweder dafür sorgen müsste, dass die nicht vorhandene Kostensteigerung bei der Stromproduktion nicht zu höheren Preisen bei den Haushalten führt. Oder sie müsste die Extraprofite durch steigende Preise mit einer Sonderbesteuerung abschöpfen.
Anstatt die Menschen zum „Frieren für die Freiheit“ zu zwingen, sollte die Politik preisdämpfende Maßnahmen ergreifen und eine verteilungsgerechte Steuerpolitik machen. Praxisbeispiele gibt es viele:
Sondersteuern für Krisenprofiteure
- Italien: 25 % Steuer auf Zusatzgewinne von Gasproduzenten, Energieversorgern
- England: 25 % Sonderabgabe im Öl- und Gassektor
- Ungarn: Sondersteuern auf Gewinne von Banken, Versicherungen, Handelsketten, Energieunternehmen
- Bulgarien: Sondersteuer für Atomkraftwerk
- Rumänien: Sondersteuer für Stromproduzenten auf Einnahmen über 91 €/kWh
- Griechenland: 90 % Sondersteuer für Strom- und Gasversorger (geplant)
EU-weit 200 Milliarden Euro durch Sondergewinnsteuern möglich
Die EU-Kommission empfiehlt zur Finanzierung von Entlastungsmaßnahmen, dass die EU-Mitgliedstaaten eine vorübergehende Besteuerung von Sondergewinnen in Betracht ziehen sollten. 2022 könnten damit Steuereinnahmen von bis zu 200 Milliarden Euro eingehoben werden.
Anti-Teuerungspaket zu wenig
Aufgrund der massiven Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie fürs Wohnen und Sprit müssen die Haushalte mit Mehrausgaben (im Vergleich zu 2019/20) von mehr als 700 Euro („äquivalisiert“) im Jahr rechnen. Dazu kommt noch eine durchschnittliche Mehrbelastung durch die kalte Progression von fast 300 Euro pro Jahr. Zusammen entsteht im Schnitt somit eine Belastung von mehr als 1.000 Euro! Aufgrund des hohen öffentlichen Drucks von Gewerkschaften und Arbeiterkammern ist es gelungen, dass die kalte Progression künftig gesetzlich verpflichtend abgegolten werden muss. Einzelne Einmalzahlungen sind positiv, werden allerdings angesichts anhaltend hoher Inflation (Teuerungscheck) schnell verpuffen (siehe auch Anti-Teuerungspaket). Für einen echten Schutzschirm fehlen insbesondere preisdämpfende Maßnahmen wie ein Preisdeckel etwa auf Gas und die Entkoppelung von Gas- und Strompreis und insbesondere eine (befristete) Senkung bzw. Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel.
Zahlen können und sollen die Krisenprofiteure. Das gilt auch für die Lohnpolitik, wo Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian betont: „Unser Aufgabe ist in erster Linie, Kaufkraft zu sichern. Warum sollten wir Zurückhaltung üben, wenn Unternehmen Gewinne ausschütten, dass sich die Balken biegen?“, und PRO-GE-Chef Rainer Wimmer ankündigt: „Wir werden sicher keinen Kaufkraftverlust unserer Leute akzeptieren.“
Titelbild: Pixabay/Unsere Zeitung