WM in Katar: Der Winter ist nicht das Problem
Es gibt viele gute Gründe dafür, warum die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2022 nicht in Katar stattfinden sollte. Die „falsche“ Jahreszeit ist allerdings keiner davon.
Ein Kommentar von Moritz Ettlinger
Jetzt im Schatten ein kühles Bier trinken und beim Public Viewing im Freien das Achtelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer zwischen Argentinien und Kamerun genießen. Das wär’s. Aber nein, der Weltverband FIFA musste das Turnier 2022 ja nach Katar vergeben, wo es derzeit Temperaturen von über 30 Grad in der Nacht hat, weshalb die WM in den Winter verlegt wurde.
So lesen sich zumindest viele Kommentare von Fußball-Fans in den sozialen Medien. Und keine Frage: Es gibt genügend Kritikpunkte an der WM im Wüstenstaat, die den Wunsch nach einem „normalen“ Turnier im Juni und Juli mehr als nur verständlich machen.
Die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter*innen, die ohne Rücksicht auf Verluste aus dem Boden gestampften Stadien, die menschenrechtliche Lage, Katars fragwürdige Außenpolitik, die fehlende Fußballkultur, Sportswashing: Gute Argumente dafür, dass im November in diesem Land kein Fußball-Großereignis ausgetragen werden sollte, findet man wie Sand am Persischen Golf.
Die Tatsache, dass das Turnier erstmals im Winter ausgetragen wird, ist allerdings keines davon. Klar, auch im November müssen die Stadien im Emirat noch künstlich mit unwahrscheinlichem Aufwand heruntergekühlt werden, und ja, eine WM mitten in der Saison stört den Spielbetrieb im europäischen Vereinsfußball erheblich.
Doch Kritik am unbequemen Zeitpunkt ist nichts anderes als Eurozentrismus par excellence. Eine Weltmeisterschaft heißt nicht umsonst so – Weltmeisterschaft. Bei 211 FIFA-Mitgliedsverbänden wird es immer welche geben, die durch die Finger schauen. Sei es durch Anstoßzeiten, die „falsche“ Jahreszeit oder durch die Störung des Ligabetriebs.
Dass sich jetzt europäische Fußballfans zur Abwechslung einmal damit abfinden müssen, statt einem kühlen Bier ein Glas Glühwein in die Hand zu nehmen und Public Viewings in Innenräumen zu organisieren, ist im globalen Vergleich angesichts der vergangenen Sommer-Turnier – provokant formuliert – eigentlich nur fair.
Es steht außer Frage, dass die WM 2022 nicht nach Katar vergeben werden hätte dürfen. Die Kritik muss sich jedoch auf die wirklich entscheidenden Dinge richten, von Korruption über Arbeitsbedingungen bis hin zu Menschenrechten. Dass unsere heilige Weihnachtsruhe gestört wird, kann an sich kein Argument sein.
Und übrigens: Wer sich auf hochklassigen Fußball in den Sommermonaten gefreut hat, kommt auch 2022 auf seine*ihre Kosten. Denn in einer knappen Woche beginnt in England die Europameisterschaft der Frauen, sogar mit österreichischer Beteiligung. Die hat sowieso mehr Aufmerksamkeit verdient.
Service: Unterstützenswerte Organisation, die sich mit Menschenrechten und nachhaltiger Entwicklung im Sport auseinandersetzt, u.a. betreffend der WM in Katar: unserspiel.at
Titelbild: Unsplash
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