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Der verkappte Pionier – Paul McCartney zum 80sten Geburtstag

Paul McCartney ist nicht nur der erfolgreichste Musiker aller Zeiten, sondern ebenso – auch wenn dies gerne bestritten wird – ein verkannter Pionier. Eine Spurensuche.

Von Christian Kaserer

Ja, gewiss – es ist beeindruckend, dass Paul McCartney Yesterday (wie übrigens auch die 80er-Nummer No Values) im Traum schrieb und auch nahezu 60 Jahre nach dem Ereignis eine Meldung wert, doch dass sich das Feuilleton bei einem solch polychromen Musiker primär darauf konzentriert dann doch eher deprimierend, ja nahezu ein Armutszeugnis der Feuilletonisten, bietet doch der achtzigste Geburtstag des Musikers so viele Möglichkeiten, sich an ihm abzuarbeiten. Zu nennen wären etwa McCartneys etwas einseitig geratener Titel als Cute One der Beatles, sein Ruf als schwieriger Perfektionist, Multiinstrumentalist oder Fan von Beatnik-Lyrik und Avantgarde. Tatsächlich bietet dieser McCartney bei einem zweiten Blick deutlich mehr als nur Silly Love Songs und es ist einen Versuch wert, den Musikpionier Paul McCartney kennenzulernen

Als Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band am 26. Mai 1967 veröffentlicht wurde, stand die Musikwelt kurzzeitig still. Noch nie in der Geschichte der Popmusik war ein so ausgefeiltes, konzeptuell geplantes, exaltiertes Album erschienen. Jimi Hendrix lernte binnen weniger Tage den gleichnamigen Opener auswendig und präsentierte ihn auf einem seiner Konzerte und Brian Wilson, spiritus rector der Beach Boys, entschied sich resignierend dazu, das geplante Album Smile einzustampfen. Vorausgegangen war ein informeller Wettstreit mit den Beatles, wer denn das komplexere, besser Album aufnehmen könne. Was uns heute als kindischer Wettstreit erscheinen mag, war Mitte der 60er durchaus eine kleine Revolution: Noch nie zuvor war das Aufnahmestudio selbst als eine Art Instrument betrachtet worden. Die Alben Pet Sounds der Beach Boys sowie Revolver von den Beatles waren durch neueste Studiotechnik so aufwendig produziert worden, dass eine Live-Aufführung der Songs undenkbar wurde. Die Live-Technik ließ es schlicht nicht zu. Mit Sgt. Pepper schließlich schafften die Beatles unter Federführung McCartneys, welcher nicht nur die Idee zum Konzeptalbum hatte, sondern auch die Produktion gemeinsam mit Tontechniker Geoff Emerick und Produktion George Martin übernahm, ein Album, welches in seiner Komplexität alle bisher bekannten Register sprengte und Standards schaffte, die bis heute die Grundlage aller modernen Aufnahmesessions bilden.

 

Ein Kind dieser Sessions waren nicht nur Songs wie Lovely Rita oder A Day in the Life, sondern ebenso das bis heute als verschollen geltende Werk Carnival of Light. Hinter diesem Titel versteckt sich eine zirka vierzehn Minuten andauernde Klangcollage, welche so abstrakt, so avantgardistisch klang, dass man sich selbst auf dem Höhepunkt der Hippie-Welle 1967 dagegen entschied, das Stück zu veröffentlichen. Tatsächlich war Carnival of Light ein Ergebnis der intensiven Beschäftigung McCartneys mit der Londoner Underground- und Avantgarde-Szene, welche schließlich auf John Lennon und Yoko Ono abfärbte, die 1968 auf dem eklektischen White Album die Toncollage Revolution 9 veröffentlichten. Carnival of Light harrt bis heute – zuletzt erfuhr der Track in den 90ern von George Harrison ein Veto – einer Veröffentlichung.

Paul McCartney allerdings zeigte sich nicht nur von Avantgarde und Beatniks wie Alan Ginsberg, mit welchem ihn eine enge Freundschaft verband, angetan, sondern ebenso von klassischer Musik. Sie bildet nicht nur die Basis für Songs wie Yesterday oder Eleanor Rigby – hier sei angemerkt, dass diese Arrangements vor allem auf den Produzenten George Martin zurückgehen – im Jahre 1966 veröffentlichte McCartney zusammen mit Martin auch den rein klassischen Soundtrack zum Film The Family Way. Über seine Karriere hinweg zeigte sich McCartney immer wieder von klassischer Musik angetan und veröffentlichte mehrere Alben dieser Natur, obschon es ihm seit je her an der Fähigkeit gebrach, Noten zu lesen.

Nebst Klassischer Musik wagte der Liverpooler indes auch Ausflüge in ganz andere Territorien. So zeugt sein 1980 veröffentlichtes Album McCartney II von Einflüssen aus Techno und mit dem DJ Youth arbeitete er unter dem Pseudonym The Fireman an Alben, die irgendwo zwischen Avantgarde, Trance und Techno liegen.

Freilich ist nicht nur McCartneys umfassende musikalische Bandbreite sowohl beeindruckend als auch eine Pionierleistung in der Riege der Kings of Pop, seine Art Instrumente zu spielen, zu singen, war es ebenso. In den 90ern meinte McCartney retrospektiv etwa, dass ihm in seiner Jugend Bassisten bestenfalls als die »fetten Männer im Hintergrund« galten. Eine Rolle, mit welcher er sich nicht zufriedengeben wollte und aus welcher heraus er eine völlig neue Dominanz als Bassist entwickelte. Songs wie Something oder Baby You’re A Rich Man treibt McCartney mit seinem Rickenbacker-Bass (den Höfner legte er 1965 ad acta) nicht nur voran, er bestimmt sie regelrecht und Zeitgenossen fragten ihn, wie er diesen lauten, klaren Sound überhaupt erzeugen könne (was daran lag, dass McCartney gleich zwei Mikros, eines vor dem Verstärker, eines mit ihm verbunden, benutzte). Doch nicht nur als Bassist, ebenso als Drummer (The Ballad of John and Yoko) oder Gitarrist (Taxman) brillierte der Multiinstrumentalist, der schnell nicht nur primärer Impetus der Beatles wurde, sondern ebenso zur Geduldsprobe der anderen Bandmitglieder, welche nach dem Ende der Band meinten, mit so einem Perfektionisten und Pedanten nie wieder zusammenarbeiten zu wollen.

 

Es macht also nur Sinn, dass McCartney 1970 mit seinem ersten Soloalbum wieder Neuland betrat und als bärtiger Einsiedler auf seiner schottischen Farm mit völlig veraltetem Equipment ein Soloalbum, genannt McCartney, aufnahm, auf welchem er sämtliche Instrumente selbst spielte und überdies auch Tontechniker sowie Produzent spielte. Von der Kritik zu Beginn gescholten, gilt es mit seinem etwas entwickelterem Zwilling RAM als liebenswerter Klassiker. Hier zeichnet sich bereits eine für die 1970er wichtige Entwicklung ab: McCartney ließ sich von der Hard-Rock und Heavy-Metall-Szene (die er 1968 mit Helter Skelter quasi begründete) inspirieren und entwickelte seine bereits ausgesprochen umfangreiche Stimme – mit Hilfe einer entsprechenden Menge an Zigaretten – hin zu einem Kling a la Brian Johnson von AC/DC. Eine Tendenz, die sich bis heute negativ zeigt, wenn es ihm live sichtlich schwer fällt, die entsprechenden Noten zu treffen. Einem 80-Jährigen indes sei es vergeben.

Nicht ganz so erfolgreich zeigte sich der Künstler auf dem Gebiet der Kinematographie. War der von den Beatles selbst produzierte Film Magical Mystery Tour als eine führe Version der Autorenfilme noch (zumindest retrospektiv) ein künstlerischer Erfolg, geriet Give My Regards to Broad Street zur völligen Blamage und auch zum letzten veröffentlichten (es gibt da noch einen Film über The Grateful Dead) Ausflug McCartneys in die Welt des Films.

Bei so vielen verschiedenen Betätigungsfeldern allerdings nimmt es nicht Wunder, dass nicht sämtliche Projekte gelingen und es sei ihm verziehen, bleibt uns doch unvergessliche Musik, die zwar vielleicht mit Ausnahme einiger tierrechtlicher Songs nicht so politisch sein mögen wie jene von John Lennon, dafür allerdings umso abwechslungsreicher und melodischer.


Titelbild: Darkmoon_Art auf Pixabay 

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