Mobilitätsgerechtigkeit – zwischen Klimaschutz und Spritpreisen
Mobilität ist notwendig, um zum Arbeitsplatz, in die Schule oder von A nach B zu gelangen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Angesichts der notwendigen Ökologisierung des Verkehrssektors – fast 30 Prozent der österreichweiten Treibhausgas-Emissionen stammen vom Straßenverkehr –, aber auch der hohen Treibstoffpreise drängt sich das Thema der Mobilitätsgerechtigkeit auf. Wie hängt Mobilität von den finanziellen Möglichkeiten der Menschen ab? Für wen wird Verkehrspolitik eigentlich gemacht? Wird sie als gerecht empfunden?
Von Heinz Högelsberger (A&W-Blog)
Um zu verlässlichen Daten zu gelangen, lohnt der Blick nach Großbritannien. Dort werden seit Jahrzehnten mittels „National Transport Survey“ das Mobilitätsverhalten und die Einkommenssituation der Bevölkerung abgefragt. Es zeigt sich: Das Gehen ist eine bevorzugte Fortbewegungsart der Ärmeren. Das – ebenfalls kostengünstige – Radfahren praktizieren hingegen eher Wohlhabende. Groß ist die soziale Schere beim Busfahren: Die Armen sitzen dreimal so oft im Bus wie die Reichen. Bei den Zügen ist es genau umgekehrt (sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr), was wohl an den hohen Ticketpreisen der privatisierten Bahn liegt. Das Auto ist in Großbritannien das Verkehrsmittel Nummer eins. Auch hier nehmen mit dem Einkommen die Verfügbarkeit, die Anzahl der Fahrten und die zurückgelegten Kilometer drastisch zu.
In Österreich gibt es leider keine vergleichbare Erhebung. Aber die wenigen verfügbaren Daten zeigen ein ähnliches Bild, obwohl bei uns die sozialen Gegensätze geringer und die öffentlichen Verkehrsmittel viel billiger sind. Die Statistik Austria erhebt die Verbrauchsausgaben der Haushalte in den verschiedenen Einkommensklassen (siehe Grafik). Dazu werden alle Haushalte nach dem Äquivalenzeinkommen (um unterschiedliche Haushaltsgrößen vergleichbar zu machen) geordnet und dann in fünf gleich große Gruppen geteilt; das erste Quintil umfasst das ärmste Fünftel der Haushalte, das fünfte Quintil die reichsten 20 Prozent.
Insgesamt gab das reichste Fünftel der Haushalte im Beobachtungszeitraum 2019/20 doppelt so viel Geld aus wie das ärmste Fünftel. Dieses Verhältnis gilt in etwa auch bei den Kosten für öffentliche Verkehrsmittel. Beim Autofahren aber geben die reichsten Haushalte viermal so viel aus wie die ärmsten. Dementsprechend mehr wird auch gefahren. Beim ärmsten Fünftel verfügt ohnehin nur jeder zweite Haushalt über ein Auto. Bezüglich Urlaubskosten vergrößert sich diese Schere auf den Faktor 5,2 – mit dem Wohlstand nehmen also die Reisehäufigkeit und der Hang zum Fliegen zu.
Kürzlich hat das „European Trade Union Institute“ (ETUI) zu einer Konferenz über Mobilitätsarmut geladen. „Mobilitätsarmut“ bezeichnet dabei die Situation, dass Menschen aus armen Haushalten sich nicht jene Mobilität leisten können, die eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erst ermöglicht. Auch bei dieser Tagung wurden spannende Daten auf EU-Ebene zur sozialen Ungleichheit und dem Autofahren präsentiert. So kommen im Land mit der höchsten Pkw-Dichte – nämlich Luxemburg – 694 Autos auf 1.000 Einwohner:innen, während auf der anderen Seite der Skala Lettland mit nur 342 Fahrzeugen liegt. Vergleicht man in Österreich jene Bezirke mit dem niedrigsten Motorisierungsgrad mit solchen, die über die meisten Pkws verfügen, so kann man folgende Beobachtung machen: Eine geringe Pkw-Dichte unter 300 gibt es in armen Wiener Bezirken (z. B. Brigittenau, Rudolfsheim-Fünfhaus) oder solchen mit guter Öffi-Anbindung und wenigen Parkplätzen (z. B. Margareten). Ein sehr hoher Motorisierungsgrad von 700 und mehr ist einerseits in zersiedelten Regionen mit schlechten öffentlichen Verkehrsmitteln (Waldviertel, Süd- und Oststeiermark, Südburgenland) oder aber in wohlhabenden Bezirken (Wien-Innere Stadt, Mödling, Mistelbach) zu beobachten.
Wie sozial verträglich ist nun die österreichische Verkehrspolitik?
Nimmt der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur Rücksicht auf die Fortbewegungsgewohnheiten der unterschiedlichen sozialen Gruppen? Ärmere Menschen sowie Frauen sind mehr zu Fuß unterwegs – Gehwege sind aber das Stiefkind der heimischen Verkehrspolitik, speziell in kleineren Gemeinden. Folglich ging der Anteil der Wege, die zu Fuß zurückgelegt werden, im Lauf der letzten Jahre drastisch zurück. Zur Mobilitätsgerechtigkeit gehört aber auch, dass Kinder und Jugendliche sicher und selbstständig unterwegs sein können.
Guter öffentlicher Verkehr hingegen wird in Großstädten faktisch von allen sozialen Gruppen genutzt, aber auch hier verstärkt von Frauen. Überdies sind Öffis unschlagbar billig. Für den Preis eines Klimatickets (1.095 Euro) kann man gerade einmal 2.600 Kilometer mit dem Auto zurücklegen, der österreichische Durchschnitt liegt aber bei 13.000 Jahreskilometern. Der weitere Ausbau von Öffis – aber auch die Förderung der aktiven Mobilität (Gehen und Radfahren) – schont also das Klima und das Geldbörsel.
Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Ostregion
In einer aktuellen Studie hat die Arbeiterkammer ermitteln lassen, welche Bahnlinien in der Ostregion an der Kapazitätsgrenze angelangt sind und dringend ausgebaut werden müssten. Auch bei der Erreichbarkeit von Unternehmen gibt es Nachholbedarf. So sind 25 Prozent aller Arbeitsplätze in Niederösterreich nicht an das ÖV-Netz angeschlossen. Nimmt man das große Pendlerpauschale als Richtschnur, so sind auch österreichweit rund ein Viertel der 3,8 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen darauf angewiesen, mit dem eigenen Pkw in die Arbeit zu fahren. Der Österreichischen Raumordnungskonferenz zufolge leben rund 20 Prozent der Bevölkerung (1,8 Millionen Menschen) in Regionen ohne adäquate Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Hier gibt es also oft einen Zwang zum Autofahren.
Regionalbahnen wären leistungsfähige Lebensadern für das jeweilige Einzugsgebiet. In den vergangenen Jahrzehnten wurden jedoch Hunderte Kilometer stillgelegt. Hier müsste das Schlagwort „Mobilitätsgarantie“ zur Realität werden: Alltagswege sollten also ohne eigenen Pkw bewältigbar werden. Einzulösen wäre diese Garantie durch ein engmaschiges Busnetz, Mikro-ÖV und Sammeltaxilösungen, regionale Sharing-Modelle sowie Geh- und Radwege. Denn folgende Tabelle zeigt den Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und Verkehrsausgaben. Da Wien über toll ausgebaute Öffis verfügt, wird dort nur halb so viel Geld für das Autofahren ausgegeben wie am Land.
Tabelle über den Zusammenhang zwischen monatlichen Äquivalenzausgaben und Größe der Gemeinde
Das Potenzial zum Umstieg auf Öffis ist gewaltig, werden doch hierzulande 70 Prozent aller Personenkilometer mit dem Pkw zurückgelegt. Daher treffen hohe Treibstoffpreise auch so massiv den Nerv der Nation. Der ÖAMTC hat im November 2021 errechnet, dass der Spritpreis elf Prozent der gesamten Autokosten ausmachte, nämlich damals 50 Euro pro Monat. Der Wertverlust eines Autos hingegen lastet tatsächlich mit 43 Prozent am schwersten auf dem Haushaltsbudget, nämlich mit 198 Euro monatlich im Schnitt. Allerdings fallen bei ärmeren Menschen – sofern sie ein Auto besitzen – die Treibstoffkosten tendenziell stärker ins Gewicht. Sie nutzen nämlich häufig billige und ältere Autos, die dann auch „Spritsäufer“ sind. Die Autos wurden nämlich in den vergangenen Jahren immer effizienter, auch wenn ein Teil dieser Ersparnisse durch zusätzliches Gewicht – Stichwort SUV-Boom – wieder verloren ging. So liegt das durchschnittliche Flottenalter im wohlhabenden Luxemburg bei 6,5 Jahren, während es in Litauen stolze 16,8 Jahre beträgt.
Die aktuelle Debatte um den hohen Spritpreis geht für das progressive Momentum-Institut „am Problem vorbei“. Denn die Ursachen unserer Probleme liegen in der Zersiedelung und einer autozentrierten Verkehrspolitik. Analysen des Institutes zeigen, dass Transferzahlungen sozial treffsicherer sind als allgemeine Steuersenkungen; diese würden nämlich hohen Treibstoffverbrauch besonders subventionieren. Ähnlich wie die AK fordert auch Momentum die längst fällige Umstellung des Pendlerpauschales auf Absetzbeträge. Das würde Menschen mit niedrigen Einkommen stärker unterstützen. Generell folgert Momentum: „Der öffentliche Verkehr wurde und wird großteils noch immer als die Alternative zum Auto gesehen. Aus klimapolitischer Sicht sollte es aber umgekehrt sein: Das Autofahren sollte zur Alternative zu den Öffis werden, wenn es nicht anders geht. Dazu braucht es Geld und politischen Willen.“ Ebenso wie in anderen Bereichen gilt beim Verkehrssektor: Klimapolitik ist auch Sozialpolitik!
Titelbild: Alexander Popov auf Unsplash