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Ihre Arbeit ist kein Kinderspiel!

Warum es dringend bessere Rahmenbedingungen im Bereich der Kinderbildung und -betreuung braucht.

Von Sophie Hötzinger und Stephanie Müller-Wipperfürth (A&W-Blog)

Im Bereich der Kinderbildung und -betreuung brennt der Hut. Dem hohen Engagement der Beschäftigten stehen zahlreiche Missstände gegenüber. Die Beschäftigten sehen die Sicherheit und Qualität der Bildung und Betreuung der Kinder und auch ihre eigene Gesundheit gefährdet, sie gehen auf die Straße und fordern bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen. Von der Politik werden ihre Anliegen bislang meist als individuelle Befindlichkeiten abgetan, das strukturelle Problem wurde lange negiert. Eine Befragung, an der mehr als ein Viertel der oberösterreichischen Beschäftigten teilnahm, macht deutlich: Von Einzelwahrnehmungen kann hier keine Rede sein.

Beschäftigte schlagen Alarm

Im Herbst 2021 gingen Tausende Beschäftigte aus dem Bereich der Kinderbildung und -betreuung in mehreren Bundesländern auf die Straße und machten deutlich: So geht es nicht mehr weiter. Die zentralsten Themen, die trotz unterschiedlicher Ausgangslagen aufgrund der Länderkompetenz die Beschäftigten einen: ein völlig unpassender Personal-Kind-Schlüssel, der zu Stress, Druck und Überforderung führt, Arbeitsbedingungen, unter denen die Beschäftigten physisch und psychisch an ihre Grenzen gehen und all das unter einer viel zu schlechten Bezahlung.

„So schlecht, wie ihr mich bezahlt, kann ich gar nicht arbeiten“ war auf einem Schild zu lesen. „Wir sind komplett überfordert. Nicht weil wir nicht gut genug qualifiziert sind, sondern weil es die Bedingungen nicht erlauben, qualitative Arbeit zu verrichten! Oft bin ich mit 23 Kindern allein in der Gruppe“, erzählt eine Beschäftigte und fragt sich: „Warum muss ich so eine große Last an Verantwortung für die Kinder auf meinen Schultern tragen, wenn es mir die Rahmenbedingungen gar nicht anders erlauben?“

Eine Studie der Arbeiterkammer Oberösterreich, an der 27 Prozent der oberösterreichischen Beschäftigten aus dem Bereich der Kinderbildung und -betreuung teilgenommen haben, verdeutlicht die Dringlichkeit der Forderungen, die die Beschäftigten im Rahmen der Demonstrationen vorgebracht haben, mit Zahlen. Sieben von zehn Beschäftigten sind mit ihrer Entlohnung unzufrieden. Die Relation zwischen Personal und Anzahl der Kinder nehmen viele als Hauptursache der Probleme wahr. Die Gruppengrößen in Oberösterreich werden von rund zwei Drittel der Beschäftigten in Krabbelstube und Hort und von rund 84 Prozent im Kindergarten als zu hoch eingeschätzt. Meist sind in den Gruppen ein/-e gruppenführende/-r Pädagoge/-in und ein/-e pädagogische/-r Assistent/-in („Helfer/-in“) für die Bildung und Betreuung der Kinder zuständig.

Großteil empfindet gesetzliche Höchstzahl der Kinder pro Gruppe als unpassend
Grafik: A&W-Blog

Auswirkungen auf die Bildungs- und Betreuungsqualität

Eine qualitätvolle Kinderbildung und -betreuung ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum mehr möglich, wie die Beschäftigten selbst alarmierend bestätigen: Nicht einmal zwei von zehn Beschäftigten haben ausreichend Zeit für die Umsetzung der Bildungsaufgaben oder um auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Kinder einzugehen. Auch für jene Kinder, bei denen ausreichend Zeit besonders wichtig wäre, nämlich für Kinder mit besonderem Förderbedarf oder zur Förderung jener Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, fehlt die Zeit.

Benötigt ein Kind kurzfristige Einzelbetreuung, etwa wenn es auf die Toilette begleitet werden, gewickelt oder getröstet werden muss, kann der Ablauf für den Rest der Gruppe nicht problemlos fortgesetzt werden, wie rund die Hälfte der Beschäftigten angeben.

„Man schafft es derzeit nicht, täglich mit jedem Kind länger als zwei Minuten in Kontakt zu kommen. In einer Regelgruppe mit 23 Kindern gibt es oft Tage, an denen man sich denkt: Vom (Name) hab ich heute gar nichts mitbekommen, was hat der heute gemacht?“, beschreibt eine gruppenleitende Pädagogin den Arbeitsalltag. Eine weitere bringt auf den Punkt: „Wir gehen schon wieder mehr in Richtung Aufbewahrungsstätte als Kinderbildungseinrichtung. Viele Kinder gehen dadurch unter.“

Zeit für Bildungs- und Betreuungsarbeit
Grafik: A&W-Blog

Belastende Arbeitsbedingungen

Stress, Druck und Überforderung, hervorgerufen durch das hohe Maß an Verantwortung unter den derzeit schlechten Rahmenbedingungen, stellen psychische Belastungen für die Beschäftigten dar. Supervision, wie sie in anderen Berufen, in denen man professionell mit Menschen arbeitet, Standard ist, ist in diesem Bereich nicht verankert. Was grundsätzlich schon äußerst fordernd ist, wird nahezu unmöglich, sobald jemand ausfällt. Aufgrund fehlender Personalressourcen (wie z. B. Springer/-innen) übernimmt häufig ein/-e einzelne/-r Beschäftigte/-r die Verantwortung für die gesamte Gruppe mit bis zu 25 Kindern. Kompetenzüberschreitungen und Haftungsfragen belasten die Beschäftigten dadurch zusätzlich. Knapp sechs von zehn Beschäftigten geben daher an, auch krank zur Arbeit zu kommen, um die Kollegen/-innen nicht im Stich zu lassen.

„Ich habe mein erstes Arbeitsjahr und für mich ist es sehr überfordernd, ich bin mit den Kindern allein (…). Ich habe nicht einmal Zeit, aufs Klo zu gehen, da ich ansonsten meine Aufsichtspflicht verletze“, schildert eine gruppenleitende Pädagogin im ersten Arbeitsjahr.

Neben den psychischen Belastungen sind auch die physischen Belastungen nicht zu unterschätzen: Fehlendes erwachsenengerechtes Mobiliar und ein andauernder Lärmpegel, der bis zu 85 Dezibel reichen kann, führen zu gesundheitlichen Problemen. Eine pädagogische Assistentin berichtet: „Wir haben einen einzigen normalen, erwachsenengerechten Sessel in der Gruppe. Den teile ich mir mit meiner Kollegin.“ Sechs von zehn Beschäftigten haben oft oder sogar immer Kreuzschmerzen oder Probleme im Rücken. Sieben von zehn leiden oft oder immer an Muskelverspannungen im Schulter- oder Nackenbereich, und drei von zehn Beschäftigten haben oft oder immer Migräne oder Kopfschmerzen.

Eine Berufsgruppe zwischen Sinnstiftung und Erschöpfung

Neun von zehn Beschäftigten sehen ihren Beruf im Bereich der Kinderbildung und -betreuung grundsätzlich als sinnstiftend an. Leider erlauben es die oben angeführten Rahmenbedingungen den Beschäftigten nicht, die Tätigkeit so zu verrichten, wie es ihren Vorstellungen professioneller Bildungs- und Betreuungsarbeit entspricht. Trotzdem versuchen sie nach Kräften, die Qualität aufrechtzuerhalten. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten fühlt sich emotional erschöpft, und etwa genauso viele können es sich unter den derzeit vorherrschenden Arbeits- und Rahmenbedingungen nicht vorstellen, den Beruf überhaupt bis zur Pension auszuüben.

Fast die Hälfte denkt sich schon derzeit zumindest manchmal: „Ich kann nicht mehr.“ Viele junge Beschäftigte verlassen den Bereich kurz nach Abschluss der Ausbildung wieder oder beschließen nach einem Praktikum, die Arbeit im Bereich nicht aufzunehmen. Die Personal- und Ressourcenknappheit wird häufig als Argument vorgebracht, weshalb die Bedingungen nicht angepasst werden können. Gleichzeitig würden sich mehr Personen für den Bereich entscheiden und darin verbleiben, wenn in die Rahmenbedingungen und die Personalausstattung investiert werden würde – ein Teufelskreis, der dringend durchbrochen werden muss.

Fazit: Verbesserungen dringend notwendig!

Nur durch echte und rasche Reformen auf Bundes- und Länderebene sowie die notwendigen Investitionen können Verbesserungen für die Beschäftigten, die Chancen der Kinder und die Vereinbarkeit der Eltern erreicht werden. Um die Arbeitszufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten, aber auch die Sicherheit und Qualität der Betreuung für die Kinder zu gewährleisten, sind folgende Punkte essenziell:

  • Es braucht eine Senkung der gesetzlich festgelegten Höchstzahl der Gruppengrößen und eine Anpassung des Personal-Kind-Schlüssels.
  • Eine Investitionsoffensive und eine Ausbildungsoffensive ist notwendig, um fehlende Personalressourcen langfristig abzudecken, die Barcelona-Ziele und die VIF-Kriterien erfüllen zu können und den Personal-Kind-Schlüssel im Sinne einer qualitätsvollen Bildung und Betreuung und einer Entlastung der Beschäftigten zu senken.
  • In den Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen müssen ausreichende, gut ausgestattete Arbeitsplätze für die Beschäftigten zur Verfügung stehen, die den ergonomischen Ansprüchen erwachsener Personen gerecht werden. Auch Maßnahmen zum Lärmschutz müssen in den Einrichtungen umgesetzt werden.
  • Die Beschäftigten verdienen eine gerechtere Entlohnung für ihre Verantwortung und ihre wichtige pädagogische Arbeit.
  • Das Supervisionsangebot muss dem Standard für Beschäftigte, die professionell mit Menschen arbeiten, entsprechen und daher stärker ausgebaut werden. Eine zeitnahe, regelmäßige Supervision ist wichtig, um emotionale Belastungen bewältigen zu können.

Dieser Beitrag wurde am 14.12.2021 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung des*der Urheber*in sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: _Alicja_ auf Pixabay 

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