Fußball-WM in Katar: Todesursache tausender Gastarbeiter*innen ungeklärt
Über 15.000 tote Gastarbeiter*innen in Katar seit 2010: Das ist die ernüchternde Bilanz von Amnesty International, die dem Wüstenstaat in ihrem Bericht weiterhin schwere Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen sowie unzureichende Aufklärung der Todesfälle vorwirft.
Von Moritz Ettlinger
Die Aufregung war groß, als der britische Guardian im Frühjahr diesen Jahres seine Recherche präsentierte: 6.500 Gastarbeiter*innen in Katar seit 2010 ums Leben gekommen, viele davon bei Bauarbeiten für Projekte der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2022.
Als wäre das nicht dramatisch genug, wartete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International vor Kurzem mit neuen Zahlen auf: Mehr als 15.000 Nicht-Kataris sind einem Bericht der NGO zufolge in Katar seit der WM-Vergabe ums Leben gekommen. Wie viele davon tatsächlich im Zuge der Bauarbeiten für das Fußball-Turnier gestorben sind, ist unklar und Kern der Kritik.
„Schockierend ist vor allem, dass 70 Prozent der Todesfälle von Gastarbeiter*innen nicht aufgeklärt werden. Sieben von zehn Familien wissen also nicht, wie ihre Kinder ums Leben gekommen sind“, erklärt Golfforscher Nicholas McGeehan, der für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch tätig ist, anlässlich dazu im ZDF.
Versprechen nicht eingehalten
In ihrem 48 Seiten starken Bericht mit dem Titel „Reality Check 2021: A Year to the 2022 World Cup“, der bereits im November erschien, wirft Amnesty International Katar vor, seine Versprechen in Sachen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der zwei Millionen Gastarbeiter*innen nicht eingehalten zu haben.
Einige Arbeitgeber würden den Jobwechsel ihrer Arbeiter*innen weiterhin nicht zulassen, Lohnraub sei noch immer „zügellos“, Straffreiheit für ausbeutende Unternehmen an der Tagesordnung. Außerdem würden, wie auch McGeehan ausführt, die Todesfälle von Gastarbeiter*innen selten bis nie untersucht und aufgeklärt, die Gründung von Gewerkschaften für Arbeitsmigrant*innen sei noch immer untersagt.
Dabei hätten die angekündigten Reformen das Leben der Gastarbeiter*innen in großem Maße verbessern können. Ein angemessenes Arbeitsgesetz, Komitees für die Regelung von Konflikten zwischen Unternehmen und Arbeiter*innen, ein neuer Mindestlohn, die Abschaffung des Verbots eine Arbeitsplatzwechsels: All das und noch mehr wurde seit 2017, so Amnesty, vonseiten der katarischen Regierung eingeführt.
Die schwache Implementierung der neuen Regelungen und Lücken in den Maßnahmen hätten allerdings dazu geführt, dass viele missbräuchliche Praktiken wieder aufgetaucht wären und den Reformprozess daher unterminiert hätten.
Zahnlose Maßnahmen
„The Law is beautiful, but it has no teeth”, das Gesetz sei zwar schön, aber zahnlos, zitiert Amnesty International einen Arbeitsrechts-Experten im Bericht. „Ich haben noch von keinem Arbeitgeber gehört, der für wiederholte Taten bestraft worden wäre.“ Ein Sicherheitsmann namens Jacob berichtet Ähnliches: „Veränderung kam auf dem Papier, aber in der Praxis hat sich nichts verändert.“
Die NGO fordert die katarischen Autoritäten daher dazu auf, die Regelungen effektiv zu implementieren, die Reformen voranzutreiben, Kontrollen zu verschärfen und Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen zu ahnden. „Katar muss dringend Maßnahmen ergreifen, um den Reformprozess abzuschließen und ihn vor Beginn der Weltmeisterschaft im November 2022 ordnungsgemäß umzusetzen.“
Schon seit der Vergabe der WM nach Katar im Jahr 2010 steht der Wüstenstaat massiv in der Kritik. Homosexualität steht dort unter Strafe, Frauen haben weit weniger Rechte als Männer und von einer echten Meinungs- und Pressefreiheit ist der Staat weit entfernt. Die Gesetze in Katar basieren auf der Scharia, Religionsfreiheit ist dementsprechend nur ein frommer Wunsch, auf Blasphemie stehen mehrere Jahre Haft.
Der gesamte Bericht von Amnesty International zum Download.
Titelbild: Aktivist*innen von Amnesty Österreich vor der katarischen Botschaft in Wien, Oktober 2021. Foto: Unsere Zeitung/Moritz Ettlinger
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