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„Wir können das nicht ohne euch schaffen“: Offener Brief von Klimaaktivistinnen an Medien weltweit

Die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg und Vanessa Nakate kritisieren in einem offenen Brief die Berichterstattung von Medien auf der ganzen Welt und appellieren an Journalist*innen, ihre Verantwortung wahrzunehmen: „Ihr seid mit unsere letzte Hoffnung“.

Von Moritz Ettlinger

Anlässlich des Weltklimagipfels, der seit dem 31. Oktober und noch bis zum 12. November im schottischen Glasgow stattfindet, haben die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg und Vanessa Nakate einen offenen Brief an Medienvertreter*innen weltweit gerichtet.

Sie kritisieren, dass viele Medien zwar über Ereignisse wie schmelzende Gletscher, Waldbrände oder Hitzewellen, die die Klimakrise hervorbringt, berichten, „die fundamentale Aspekte von Zeit, ganzheitlichem Denken und Gerechtigkeit“ aber außer Acht lassen würden.

Berichte über die Klimakrise müssten die „Vorstellung einer tickenden Uhr vermitteln“, ansonsten sei dieses Thema nur eines von vielen, aus dem man sich herauskaufen könne. Die Aktivistinnen weisen dabei auf das geringe verbleibende CO2-Budget hin, das – sofern man das Ziel einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad vor Augen hat – bis zum Ende des Jahrzehntes verbraucht sein könnte.

Im Hinblick darauf fordern Thunberg und Nakate außerdem einen ganzheitlicheren Ansatz in der Klima-Berichterstattung: „Aktuell lasst Ihr Staaten mit hohem Einkommen und die großen Umweltverschmutzer davonkommen, indem Ihr Ihnen erlaubt, sich hinter unvollständigen Statistiken, Schlupflöchern und einer Rhetorik zu verstecken, die sie sich in den vergangenen dreißig Jahren so hart erkämpft haben“, heißt es im offenen Brief.

Als am wichtigsten wird in diesem die Frage der Gerechtigkeit betrachtet. Denn: „Bei der Klimakrise geht es nicht nur um extremes Wetter. Es geht um Menschen. Und genau die Menschen, die den geringsten Anteil an der Klimakrise haben, leiden am meisten.“ Die Aufmerksamkeit der Medien würde sich allerdings vor allem auf den Globalen Norden fokussieren, während Ereignisse im Globale Süden häufig unterbelichtet bleiben würden. Damit zusammenhängend weisen die Autorinnen außerdem auf die moralische Verantwortung des Nordens gegenüber dem Süden hin; ersterer müsse seine Emissionen viel schneller reduzieren.

Dem Verlassen auf technischen Lösungen erteilen die Klimaaktivistinnen dabei eine deutliche Absage, die Gesellschaft müsse sich grundlegend ändern. Dies sei „das unbequeme Resultat des Versagens unserer Regierungen, sich dieser Krise entgegenzustellen.“

Bei der Korrektur dieses „Versagens“ appellieren Greta Thunberg und Vanessa Nakate an die Verantwortung der Medien: „Die Medien müssen die Regierenden für ihre Taten oder ihre Untätigkeit in Verantwortung nehmen.“ Und sie gehen noch einen Schritt weiter: “Ihr seid mit unsere letzte Hoffnung. Niemand sonst hat die Möglichkeit, so viele Menschen in dem extrem kurzen Zeitraum zu erreichen, der uns noch bleibt. Wir können das nicht ohne Euch schaffen.“


Die deutsche Übersetzung des offenen Briefes im Wortlaut (Quelle: pressenza.com):

Liebe Medienvertreter:innen auf der ganzen Welt,

Schmelzende Gletscher, Waldbrände, Dürren, tödliche Hitzewellen, Fluten, Hurrikans, Verlust an Biodiversität – all das sind Symptome eines instabiler werdenden Planeten und sie sind unsere ständigen Begleiter.

Über diese Ereignisse berichtet Ihr. Manchmal. Die Klimakrise jedoch ist viel mehr als nur das. Wenn Ihr wahrhaft über die Klimakrise berichten wollt, so dürft Ihr die fundamentalen Aspekte von Zeit, ganzheitlichem Denken und Gerechtigkeit nicht außer Acht lassen.

Was bedeutet das? Schauen wir uns diese Themen einzeln an.

Als erstes den zeitlichen Aspekt. Wenn Eure Stories nicht die Vorstellung einer tickenden Uhr vermitteln, so ist die Klimakrise nur ein politisches Thema von vielen – etwas, aus dem wir uns einfach herauskaufen, bauen oder investieren können. Lassen wir die zeitliche Vorstellung außen vor, können wir so ziemlich wie bisher weitermachen und „die Probleme“ später lösen. 2030, 2050 oder 2060. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass unser CO2 Budget mit unserer aktuellen Emissionsrate bis zum Ende dieses Jahrzehnts aufgebraucht sein wird, wenn wir unter 1,5 °C Erderwärmung bleiben wollen.

Zweitens der ganzheitliche Ansatz. Wenn wir unser verbleibendes CO2 Budget betrachten, müssen wir alle Zahlen und alle Emissionen mit einrechnen. Aktuell lasst Ihr Staaten mit hohem Einkommen und die großen Umweltverschmutzer davonkommen, indem Ihr Ihnen erlaubt, sich hinter unvollständigen Statistiken, Schlupflöchern und einer Rhetorik zu verstecken, die sie sich in den vergangenen dreißig Jahren so hart erkämpft haben.

Und drittens und am wichtigsten von allen die Gerechtigkeit. Bei der Klimakrise geht es nicht nur um extremes Wetter. Es geht um Menschen. Und genau die Menschen, die den geringsten Anteil an der Klimakrise haben, leiden am meisten. Und während der Globale Süden bereits an den Frontlinien der Klimakrise steht, so schafft er es doch fast nie auf die Titelseiten der Weltpresse. Während westliche Medien ausführlich über Wald- und Buschbrände in Kalifornien oder Australien oder über Flutereignisse in Europa berichten, vernichten Katastrophen im Zuge der Klimakrise Kommunen im Globalen Süden – und erhalten kaum Aufmerksamkeit in den Medien.

Um den Aspekt der Gerechtigkeit mit einzuschließen, könnt Ihr die moralische Verantwortung des Globalen Nordens nicht außer Acht lassen, ihre Emissionen sehr viel schneller zu reduzieren. Bis zum Ende dieses Jahres wird die Weltgemeinschaft 89% des CO2 Budgets verbrannt haben, das uns eine Chance von 66% geben würde, unter 1,5 °C zu bleiben.

Deshalb zählen historische Emissionen nicht nur einfach, sondern sind vielmehr der eigentliche Kernpunkt der Debatte über Klimagerechtigkeit. Und trotzdem werden die historischen Emissionen von den Medien und Machthabern noch immer nahezu komplett ignoriert.

Um unterhalb der im Pariser Abkommen gesetzten Ziele zu bleiben und damit die Risiken irreversibler und unkontrollierbarer Kettenreaktionen zu mindern, brauchen wir eine sofortige und drastische Reduzierung der jährlichen Emissionen, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Und das bedeutet – da wir keine technologischen Lösungen parat haben, die dies in absehbarer Zukunft alleine auch nur annähernd schaffen können – dass wir unsere Gesellschaft grundlegend ändern müssen. Das ist das unbequeme Resultat des Versagens unserer Regierungen, sich dieser Krise entgegenzustellen.

Dabei kann Eure Verantwortung nicht hoch genug bewertet werden, dabei zu helfen, dieses Versagen zu korrigieren. Wir sind soziale Wesen und wenn unsere Regierungen und unsere Medien so handeln, als gäbe es keine Krise, dann werden wir es natürlich auch nicht verstehen. Eines der wesentlichen Elemente einer funktionierenden Demokratie ist eine freie Presse, die die Bürger:innen objektiv über die großen Herausforderungen informiert, denen unsere Gesellschaft gegenübersteht. Und die Medien müssen die Regierenden für ihre Taten oder ihre Untätigkeit in Verantwortung nehmen.

Ihr seid mit unsere letzte Hoffnung. Niemand sonst hat die Möglichkeit, so viele Menschen in dem extrem kurzen Zeitraum zu erreichen, der uns noch bleibt. Wir können das nicht ohne Euch schaffen. Die Klimakrise wird immer dringlicher. Noch können wir die schlimmsten Folgen verhindern, noch können wir das Blatt drehen. Aber nicht, wenn wir weitermachen wie bisher. Ihr habt die Mittel und Möglichkeiten, jetzt die Story zu ändern.

Es ist an Euch, ob Ihr Euch dieser Herausforderung stellt oder nicht. So oder so wird die Geschichte Euch beurteilen.

Greta und Vanessa


Übersetzung des Briefes aus dem Englischen: Silvia Sander von Pressenza.

Titelbild: Paul Wamala Ssegujja, CC BY-SA 4.0Frankie Fouganthin, CC BY-SA 4.0 / via Wikimedia Commons

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