»Mein geliebter Führer… «
Eine Sammlung von Briefen an den »geliebten Führer« gibt einen Einblick in die Gemütslage von Hitlers Deutschen. Hier findet sich Volkes Stimme, seine Verblendung und seine Verherrlichung von »Partei und Führer«. Kurioses, Skurriles, Groteskes – kurzum: Alltägliches aus der Mitte des Führer-Volkes.
Von Helmut Ortner
Vor einigen Monaten entdeckte ich in einem Berliner Antiquariat ein Buch, das sofort meine Neugier weckte. Nicht das Cover, auch nicht der Titel machte mich neugierig – es war der Untertitel: Absonderliches aus den Akten des »Dritten Reiches«. Ich blättere auf den ersten Seiten, begann zu lesen – und kaufte das Buch*, erschienen 1993 im Deutschen Taschenbuchverlag, herausgegeben von Helmut Heiber, einem langjährigen Mitarbeiter am renommierten Institut für Zeitgeschichte in München. Entdeckt hat er das Material im Rahmen seiner Forschungen zur Rekonstruktion verlorengegangener Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP in zahlreichen Archiven. Ein ebenso erschütternder wie irritierender Fund. Hier spricht Volkes Stimme, seine Verblendung und seine Verherrlichung von »Partei und Führer«, mit all seinen Erhöhungen, Peinlichkeiten, Schmeicheleien und bizarren Vergötterungen. Die Sammlung bietet einen bislang wenig erforschten Einblick in die Gemütslage von Hitlers Deutschen. Kurioses, Skurriles, Banales, Groteskes – kurzum: Alltägliches aus der Mitte des Führer-Volkes. Schauen wir kurz hinein, in dieses ungewöhnliche Kompendium: Briefe, Anfragen, Fürbitten, Huldigungen, Demutsbekundungen und Lobpreisungen.
Da bittet ein Düsseldorfer Standesbeamter in einem Schreiben an die NSDAP-Gauleitung um Entscheidungshilfe. Ein Parteigenosse möchte in Verehrung des Führers seine neugeborenen Tochter auf den Namen »Adolfine« eintragen lassen:
7.4.1933 – Heute erschien in dem mir unterstellten Standesbeamte ein Parteigenosse, der die Geburt seiner Tochter anmeldete und dem Kinde den Vornamen „Hitlerine“ beilegen wollte. Der mit der Registerführung beauftragte Beamte hatte Bedenken, diesen Namen einzutragen und holte meine Entscheidung ein. Ich habe daraufhin die Eintragung dieses Namens abgelehnt und dem Parteigenossen nahegelegt, dem Mädchen den Vornamen „Adolfine“ zu geben, womit er sich auch einverstanden erklärt hat. […] Da uns Nationalsozialisten der Name unseres Führers viel zu her und heilig ist, als dass wir ihn dem Missbrauch nationalen Klischees ausliefern lassen, so wäre eine diesbezügliche baldige Entscheidung des Herrn Minister des Innern dringend erwünscht. Wenn ein Nationalsozialist seinen Sohn oder seine Tochter nach unserem Führer benennen will, so hat er ja die Möglichkeit, den Vornamen „Adolf“ oder „Adolfine“ beizulegen.
Die Schützengesellschaft Lambrecht e.V. wendet sich an die Reichskanzlei mit dem Wunsch, Adolf Hitler zum Ehrenschützenmeister ernennen zu dürfen:
10.4.1933 – Aus Freude und Dankbarkeit darüber, dass wir Deutsche Schützen an der Westmark, durch den 14jährigen, unentwegten und heldenmütigen Kampf unseres jetzigen Reichskanzlers Adolf Hitler, wieder frei atmen und Deutschen Schützengeist wieder froh entfalten und den Schießsport ungehindert fördern können, wollen wir an dem kommenden Geburtstag unseres unvergleichlichen Führers 1. unsern Adolf Hitler zum Ehrenschützenmeister ernennen; 2. eine Ehrenscheibe ausschießen lassen. Wir wären nun sehr dankbar, wenn wir bald Mitteilung darüber bekommen könnten, wie man über solche spontane Ehrungen unseres Helden durch kleinere Körperschaften denkt und ob man in der Umgebung unseres geliebten Adolf Hitler glaubt, dass man mit solchen Ehrungen, zumal diese jetzt so massenhaft geschehen, eine Freude bereiten kann.
Der Präsident der Landwirtschaftskammer der Provinz Brandenburg v. Oppen-Dannewalde schreibt ebenfalls an die Reichskanzlei. Denn: eine Kirche möchte die neue Glocke nach dem Führer benennen. Eine Woche später darf sich die »nationalsozialistische gefestigte Gemeinde« über einen positiven Bescheid freuen:
26.10.1934 – Die Kirchengemeinde Dannewalde hat den Wunsch, ihre neue Glocke „Adolf Hitler Glocke“ zu nennen. Der Antrag hierzu liegt bei der Privat-Kanzlei Adolf Hitler und ist von Staatsrat Kube als Gauleiter dringend befürwortet, aber noch nicht entschieden. Für die Kirchengemeinde Dannewalde, die ohne Übertreibung als eine äußerst nationalsozialistisch gefestigte Gemeinde angesehen werden kann, würde die Gewährung der Bitte eine große Freude sein. Zeichnung der Glocke, usw. ist alles bereits eingereicht. […]
3.11.1934 – Antwort aus der Reichskanzlei:
[…] Obgleich der Führer und Reichskanzler es grundsätzlich ablehnt, dass Kirchenglocken mit seinem Namen benannt werden, will er in Ihrem besonderen Fall, da die Glocke bereits fertiggestellt ist, Bedenken nicht erheben und ist damit einverstanden, dass die neue Glocke in der Kirche zu Dannewalde seinen Namen trägt.
Gau- und Kreis-Ehrenliedermeister Carl A. M. Schiebold aus Leipzig wiederum bittet im Namen von »60 Deutschen Frauen und Jungfrauen« seinen Führer einige Volksweisen vorsingen zu dürfen:
23.3.1936 – Unter meiner Leitung steht seit über 30 Jahren der auch von mir gegründete „Frauenchor Leipzig-Süd“. Wie hier vermutet wird, werden Sie, mein Führer, am Donnerstag nach Ihrer Rede wieder die Nacht im Hotel Haufe verbringen. 60 Deutsche Frauen und Jungfrauen bitten nun ebenso herzlich wie dringend darum, Ihnen nach der Kundgebung im Hotel einige Volksweisen vorsingen zu dürfen, um Ihnen zum Ausdruck zu bringen, wie tief und aufrichtig Sie gerade die deutsche Frau verehrt und wie sie auch in der ersten Pflege des Liedes deutsches Wesen und deutsches Empfinden zu bewahren sich bemüht. […]
In einer vertraulichen Mitteilung für die Fachgruppe Sortiment zeigt sich der Präsident der Reichsschrifttumskammer besorgt über die Tatsache, dass in einigen Buchhandlungen, Exemplare von »Mein Kampf« als antiquarisch angeboten werden. Und bittet zu veranlassen, dass dies umgehend unterbunden wird:
11.10.1938 – Ich habe festgestellt, dass das Werk Adolf Hitler: Mein Kampf in den Auslagen von Buchhandlungen antiquarisch angeboten wird. Dieses Angebot ist in seiner kaufmännischen Grundlage in Ordnung. Dagegen berührt es jeden nationalsozialistisch denkenden Deutschen äußerst empfindlich, das Werk unseres Führers in unseren Tagen als „antiquarisch“ bezeichnet zu sehen. Es wäre erfreulich, wenn dieser Hinweis genügen würde, jeden Sortimenter zu veranlassen, dass die antiquarisch angebotenen Exemplare aus den Auslagen verschwinden. So politisch antiquiert dürfte heute wohl kein Sortimenter mehr sein, um diesem Hinweis nicht innerlich zuzustimmen.
Schließlich soll hier noch der Kriminaloberassistent Hugo Spesche zitiert werden, der strengstes Stillschweigen in einer geheimen Sache fordert:
28.2.1944 – Bei einem Kontrollgang durch die Reichskanzlei am 28.2.1944 stellte ich fest, dass die Tür von einem Abstellraum im Verbindungsgang von der Reichskanzlei (Voßstr. 6) zur Marmorgalerie mit einem Tintenstift mit folgenden Worten beschriftet war: „Adolf Hitler, auch Du wirst sterben müssen“! Der direkt vor der beschriebenen Tür stehende Posten der SS-Wachkompanie (Posten 5) SS-Schütze Vogler, welcher bei meinen Feststellungen zugegen war, wurde von mir aus taktischen Gründen angewiesen, strengstes Schweigen über die Sache zu bewahren.
Dokumente von erschütternder Trivialität und Banalität. Authentische Belege von devotem Gehorsam und peinlichen Demutsbekundungen.
Dem Herausgeber geht es – so schreibt er in seinem Vorwort – keineswegs darum, »irgendetwas zu entschuldigen oder zu verharmlosen«. Die Auswahl zeige, es gibt sie nicht: die Mythen »vom Bösen und Dämonischen der Nazis« einerseits und dem »schuldlos-makellosen Volk« andererseits. Die Herrschaft des Terrors und des Grauens integrierte beide Seiten: die Vorderseite aggressiver Macht – und die Rückseite schweigsamer Komplizenschaft.
Schweigsamer Gehorsam und folgsame Verblendung machten Unrecht, Verfolgung, Ausgrenzung und Vernichtung erst möglich. Es brauchte – so Helmut Heiber – nicht allein die willfährigen Zuträger und treuen Beamten, ohne deren Verwaltungsarbeit und die Übersetzung in die Wirklichkeit, ohne ihre vorbereitenden Direktiven und Anordnungen, hätten die Nationalsozialisten keine Angriffskriege planen und durchführen können, hätten sechs Millionen Juden und andere Opfer von NS-Gewalt auslöschen können. Es brauchte auch das kollektive Einverständnis des »Führer-Volks«. Heibers Sammlung zeigt eindrucksvoll: der nationalsozialistische Wahn war von nahezu einem ganzen Volk mitgetragen und bejubelt worden – bis zum bitteren Ende.
Deutschland 1945: aus einem Volk von Jublern war ein Volk von Stummen geworden. Die Mehrheit der Deutschen fühlte sich nicht schuldig, sie sah sich eher vom Schicksal entschuldigt. Verleugnen, Verdrängen, Vergessen – die Lebenslüge als Lebensmotto der jungen Republik. Der alte braune Geist, jetzt sanft gewendet und demokratisch legitimiert. Alte Seilschaften halfen über bräunliche Vorgeschichten hinweg und Konrad Adenauer ließ alsbald verlautbaren, man solle mit der »Nazi-Riecherei« jetzt doch endlich einmal Schluss machen.
»Dokumente von erschütternder Trivialität und Banalität. Authentische Belege von devotem Gehorsam und peinlichen Demutsbekundungen«
Sicher: Am Tag Null nach Hitler gab es auch hierzulande Menschen, die Scham und Trauer empfanden über das, was in den Jahren zuvor geschehen war. Doch Tatsache ist, dass es schon damals weit mehr Menschen gab, die, gerade der Katastrophe entkommen, das Erlebte und Geschehene verdrängten, statt es im Bewusstsein der Verantwortung als eigene Geschichte anzunehmen. Verdrängen, Vergessen, Verleugnen – das fragile Geflecht der Lebenslüge vieler Deutschen in der Adenauer-Republik.
Im Jahr 1948 warb das Waschmittel Persil mit einer Zeichentrick-Reklame, in der ein Marine-Matrose verdreckten Pinguinen die Bäuche wieder strahlend rein wäscht. Immer mehr Pinguine springen daraufhin an Bord und rufen im Chor PERSIL – PERSIL- PERSIL! Dabei recken sie die Flügel wie weit ausgestreckte Arme. Mit stolzgeschwellter Brust defilieren sie schließlich in Reih und Glied an Land, zu Marschmusik singend: Ja, unsere weiße Weste verdanken wir PERSIL … ! Die Deutschen hatten ihren Humor nicht verloren, oder schon wiedergefunden. Der Reklame-Streifen als filmische Metapher, wie das Adenauer‘sche Persilschein-Wesen funktionierte.
Die Täter, sie fühlten sich nicht schuldig , sie sahen sich eher vom Schicksal entschuldigt. Und die Mehrzahl der Deutschen tat es ihnen gleich. Ein »ent-nazifiziertes« Volk mühte sich, das zu vergessen, was es verschwieg: ihre Bereitschaft der Teilnahme an einem System der Barbarei.
Buchhinweise/ Quellen:
– Helmut Heiber: Die Rückseite des Hakenkreuzes. Absonderliches aus den Akten des »Dritten Reiches«. Stuttgart 1993
– Die Persil-Reklame findet sich bei: Fridolin Schley, Die Verteidigung, Berlin 2021 (S. 197)
Titelbild: Mediamodifier auf Unsplash/Bearbeitung (Text): Unsere Zeitung
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