Prinzipien der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft
Nichts ist verkehrter als die Auffassung, wir bräuchten uns um die Grundstrukturen der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft keine Gedanken zu machen. Im Gegenteil, erst die Attraktivität der kapitalistischen Alternative schafft neben anderen Bedingungen die Voraussetzung für eine Überwindung des Kapitalismus.
Ein Gastbeitrag von Alfred Müller
Die kapitalistische Herrschaftsform und Produktionsweise schafften es trotz ihrer enormen Zerstörungswirkungen auf vielfältige Weise die Bevölkerungsmehrheit an sich zu binden. Bei vielen abhängig Beschäftigten dominiert heute die Auffassung, der Kapitalismus habe etliche Schwächen, aber es gäbe angesichts der negativen Erfahrungen mit dem Realsozialismus zu ihm keine wünschenswerte Alternative. Es gelte daher mit allen Kräften das kapitalistische System zu zähmen und es sozial und nachhaltig zu gestalten.
Diese prokapitalistische Bewusstseinsprägung, die dem Kapitalismus eigen ist, lässt sich nur aufheben, wenn neben der vorhandenen Unzufriedenheit und den damit verbundenen Alltagskämpfen ein fundiertes und überzeugendes Konzept einer kommunistischen Zukunft vorhanden ist.
Der Kapitalismus enthält endogene Hebel, die auf eine nachkapitalistische Gesellschaft hinweisen. Hierzu gehören u.a. seine Wirtschafts-, Finanz-, Hunger-, Armuts-, Flüchtlings-, Agrar- und Staatskrisen, seine Klima- und Umweltkatastrophen, seine Verschwendungen, seine Ausbeutung und unwürdigen Arbeitsbedingungen, sein dauerhafter Lohndruck, seine Massenarbeitslosigkeit, seine Pandemien, seine fehlende Nachhaltigkeit und Resssourcenplünderung, seine riesige Kluft zwischen Arm und Reich, seine regionale Ungleichheit, seine technologischen Entwicklungen, seine erdrückende Macht der Konzerne, seine Ellbogenmentalität und seine sozialen Ausgrenzungen und Vereinsamungen. Doch diese Hebel bewirken keinen Systemwechsel, wenn die Lohnabhängigen nicht als Totengräber des Kapitalismus auf-treten und sich von ihren Fesseln befreien. Eine Überwindung des Kapitalismus ist nur möglich, wenn die Bevölkerungsmehrheit das Vertrauen in die kapitalistische Produktionsweise verliert und sich trotz aller Widerstände das kommunistische System erkämpft und aufbaut. Es sind die Emanzipationskämpfe der lohnabhängigen Bevölkerung, die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bewirken, ihr Machtbewusst-sein und ihren Kampfesmut stärken und die die kapitalistischen Fesseln sprengen.
Diese Totengräberfunktion entsteht (1)
- durch die eigene unerträgliche Notlage,
- der daraus resultierenden Unzufriedenheit und Protestbewegung,
- durch die Einsicht in die Reformunfähigkeit des Kapitalismus,
- durch die Einsicht in die Überlegenheit einer nachkapitalistischen Gesellschaft,
- durch die Existenz einer revolutionären Arbeiterpartei und
- durch die folgenden systemüberwindenden politökonomischen Kämpfe der Lohnabhängigen.
Die Arbeiterpartei hat dabei die Aufgabe, aufzuklären, zu überzeugen, zu koordinieren, Lösungswege aufzuzeigen und die revolutionären Kämpfe zu unterstützen.
Angesichts der negativen Erfahrungen mi dem Realsozialismus setzt das Vertrauen in die kommunistische Zukunftsgesellschaft die Kenntnis ihrer Grundsätze voraus. Marx und Engels selbst haben den Kommunismus nicht in den Einzelheiten beschrieben, aber folgende Prinzipien festgehalten (2):
- Die Produktionsmittel gehören der Gemeinschaft.
- Es besteht eine räte(direkt)demokratische Gesellschaft.
- Die Wirtschaft wird planmäßig und demokratisch organisiert.
- Das Einkommen besteht lediglich aus dem Arbeits- und Sozialeinkommen.
- Die Erwerbsarbeit wird Schritt für Schritt auf ein Minimum reduziert.
- Das Geld wird langfristig abgeschafft und jeder kann zunehmend nach seinen Bedürfnissen konsumieren.
- In der Übergangsperiode wird auf dem Konsumgütermarkt das Geld durch Arbeitsscheine ersetzt, wobei sich der Warenwert und das Einkommen nach der angefallenen Arbeitszeit richten.
Diese Grundsätze sind heute durch weitere, wie das Nullwachstum und die Kreislaufwirtschaft, zu ergänzen, bleiben aber nach wie vor die entscheidenden Maßnahmen, mit denen die kapitalistischen Zerstörungskräfte überwunden werden können.
Sie gelten nicht nur in ferner Zukunft, sondern sind schon innerhalb des Kapitalismus einzuführen und weiterzuentwickeln. Es ist nicht der Sturm auf den Bundestag oder das Warten auf die ferne Zukunft, es sind direktdemokratische Transformationsschritte, die den Kapitalismus überwinden und in die kommunistische Produktionsweise führen.
Was heißt dies konkret?
Erstens ist in allen Lebensbereichen die Direktdemokratie einzuführen und bis zur Machtübernahme auszudehnen. Sowohl in den Betrieben, in den Unternehmen, in den Kitas, in den Schulen und Hochschulen, beim Militär bis zu den Altersheimen sind direktdemokratische Strukturen herzustellen und die Fremd- durch die individuelle und kollektive Selbstbestimmung der Bevölkerung zu ersetzen.
Der direktdemokratische Transformationspfad verlangt den Abschied von der parlamentarischen Demokratie und den Kampf für umfassende direktdemokratische Arbeits- und Lebensformen. Im Gegensatz zu linksradikalen (3) und anarchistischen (4) Vorstellungen bedeutet der direktdemokratische Weg keinen Ausstieg aus der Parlamentsarbeit. Parlamentarische Tätigkeiten dienen der Aufklärung, der Durchsetzung von geringfügigen Verbesserungen für die breite Bevölkerung und zur Unterstützung außerparlamentarischer Kämpfe. Allerdings schließt die Mitarbeit in den Parlamenten die Regierungsbeteiligung aus, weil den revolutionären Linken in der Regierung aufgrund der Sachzwänge nichts anders übrig-bleibt, als den Kapitalismus zu verteidigen und somit die Systemüberwindung aufzugeben.
Zweitens ist nicht der grüne Marktsozialismus anzustreben, sondern die Zurückdrängung des Marktes durch ein steigendes Angebot an freien Gütern und durch die Ausdehnung der volkswirtschaftlichen Planung. Nach der Devise: Planung soweit wie möglich und Markt soweit wie nötig, sind digitale Planungssysteme zu fördern, in der Praxis zu erproben und einzusetzen. Der Markt lässt sich nicht sofort im Hauruckverfahren abschaffen. Er ist im Ausmaß der freien Güter- und der gesamtwirtschaftlichen Planausweitung zurückzudrängen.
In Anlehnung an die bürgerliche Ökonomie kritisieren viele Linke die Planwirtschaft. Sie sei ineffizient, führe in die Mangelwirtschaft und zur Zentralisierung. Unter den heutigen technischen und politischen Möglichkeiten ist eine demokratisch organisierte Makroplanung jedoch effizienter als der anarchistische Marktmechanismus. Er verbessert die Versorgung und führt zur Ausdehnung demokratischer Entscheidungsabläufe. Erst die demokratische Planwirtschaft ermöglicht alle an der Gestaltung der Wirtschaft zu beteiligen, die Krisen und die Arbeitslosigkeit aufzuheben, die Klimakatastrophen zu vermeiden und die Arbeits- und Lebensweise nachhaltig, friedlich und gerecht zu gestalten.
Wer weiterhin an die Heilkräfte des Marktes (wie die Neoklassiker) und/oder an die Heilkräfte des kapitalistischen Staates (wie die Keynesianer) glaubt, befindet sich auf einem Irrweg, der nicht imstande ist, die Zerstörungswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise aufzuheben.
Drittens bewirkt eine fortschreitende Arbeitszeitverkürzung, dass die Werktätigen ihre Freizeit ausdehnen und so zunehmend ihr Leben nach den eigenen Bedürfnissen gestalten und ein erfülltes Leben führen können. Wenn diese Freizeitausdehnung zunehmend mit freien Güterangeboten gekoppelt wird, entwickelt sich eine Gesellschaft, in der nicht mehr das Geld, sondern solidarisch die individuelle Freiheit über das Wohlergehen entscheidet.
Viertens führt die Abschaffung von Vermögens- und Machteinkommen dazu, dass sich die Einkommensunterschiede auf einen geringen Abstand reduzieren und die Einkommensentwicklung durch den Produktivitätsfortschritt und die Einkommensverteilung durch jeweilige Flächentarife bestimmt werden. Wer gesundheitlich nicht arbeiten kann und sein Erwerbsleben beendet hat, erhält ein ausreichendes Sozialeinkommen.
Fünftens erfordern die Klima- und Umweltkatastrophen, dass wir uns vom Wirtschaftswachstum verabschieden und die Wirtschaft klima- und umweltverträglich gestalten müssen. Da beides im Kapitalismus nicht möglich ist, setzt eine wirksame Klima- und Umweltpolitik eine kommunistische Gesellschaft voraus.
Für Marx und Engels ist der Kommunismus ein gesellschaftliches Ziel (5) und zugleich eine gesellschaftliche Bewegung (6). Die dargestellten Grundsätze formulieren das Zielpaket und die Bewegungen ergeben sich aus den Kämpfen, die den kapitalistischen Zustand aufheben. Marx und Engels stellten die zukünftige nachkapitalistische Gesellschaft nicht wie die utopischen Sozialisten detailliert dar. Die Einzelheiten ergeben sich im Transformationsprozess und werden sich mit den historischen und regionalen Rahmenbedingungen verändern. Aber wer auf die Anerkennung und Durchsetzung der Prinzipien der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft verzichtet, verharrt im kapitalistischen Sumpf und die Kämpfe kommen über die Kapitalismuskritik nicht hinaus.
Der Prozess der Direktdemokratisierung wird nicht am Widerstand des Kapitals scheitern, solange er von der breiten Bevölkerung getragen wird. Er ist ein notwendiger und erfolgreicher Weg, um die Kapital- durch die Volksherrschaft (die Diktatur der Arbeiterklasse) zu ersetzen. Wer heute auf den direktdemokratischen Pfad verzichtet und in der Parlamentsarbeit sein Heil sucht, landet unweigerlich bei Bernstein und seiner Politik der Fortentwicklung des Kapitalismus (7).
Erst in der praktischen Durchsetzung der kommunistischen Grundsätze besteht die Chance, den Kapitalismus aufzulösen und eine neue friedliche, gerechte, störungsfreie, umweltfreundliche und bedürfnisorientierte Gesellschaft aufzubauen.
Literatur/Anmerkungen
(1) vgl. Müller, Alfred: Eine Wirtschaft, die tötet. Über den Kapitalismus, seine Überwindung und die Zeit danach, PapyRossa Verlag 2019, S.302ff
(2) vgl. MEW 4/370,375f,475f; MEW17/319ff, 493ff; MEW 1920ff; MEW 25/828; MEW EGB1/553ff; GR/593
(3) vgl. Bock, Hans Manfred: Geschichte des ‚linken Radikalismus‘ in Deutsch-land. Ein Versuch, Suhrkamp Verlag 1976
(4) vgl. Burnicki, Ralf: Anarchie als Direktdemokratie. Syndikat Medienvertrieb, 2. Auflage, 2009
(5) vgl. MEW 3/74; MEW 4/474; MEW 19/19f; 17/339ff, MEW 42/92,395,447, 104f; MEW 23,92f; MEW 25/269,784,828,883
(6) Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. (Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 35)
(7) Bernstein, Eduard: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, 8. Auflage 1984, Dietz Verlag, S.169
Das Proletariat wird […] einmal eine Stufe der Macht und Einsicht erreichen, bei der es sich dem Druck des ganzen sozialen Gebäudes, der fortwährend auf seinen Schultern ruht nicht mehr gefallen lassen […] wird; und dann wird […] eine soziale Revolution nicht zu vermeiden sein (Engels, MEW 2/550)
Es gilt, hebt Rosa Luxemburg hervor, „sämtliche tatsächliche(n) Machtpositionen (zu) ergreifen […] sie[…] fest(zu)halten und (zu) gebrauchen“ GW4/520).
Titelbild: Communism by Nick Youngson CC BY-SA 3.0 Alpha Stock Images