Science Fiction und Mauerfall
Rezensionen zu Dietmar Daths „Niegeschichte“ und Egon Krenz‘ „Wir und die Russen“ – Zwei Bücher, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und doch ein Thema: Der Kampf um eine bessere Zukunft – Sonntag ist Büchertag von Christian Kaserer
Dietmar Dath – Niegeschichte
Science Fiction ist der Versuch mit einem Bein in der Wissenschaft stehend, mit einem anderen über einem Abgrund schwebend, ein Bild der Zukunft zu malen. Eine solche Beschreibung freilich ist simplifizierend und dass man es auch sperriger und länger sagen kann, beweist Dietmar Dath. Seine „Niegeschichte“ ist der fulminante Versuch, eine Einführung in das mannigfaltige Themenfeld der Science Fiction zu bieten. So jedenfalls der Verlag. Liest man den tausendseitigen Ziegel, so verliert sich der Eindruck, es handle sich um eine Einführung, sehr schnell. Vielmehr zeigt sich Dath hier von seiner besten wie auch von seiner schlimmsten Seite: „Niegeschichte“ bietet eine umfassende Monographie zur Science Fiction, welche mit cleveren Beobachtungen und Querverweisen brilliert und – so jedenfalls in manchen Abschnitten – mit neuen Erkenntnisse am laufenden Band aufwartet. Ebenso jedoch nimmt sich Daths Liebeserklärung zur Science Fiction als tendenziöse Abhandlung auf höchstem akademischem Niveau aus, welche mit leeren Phrasen und Wortkonstruktionen um sich wirft und somit den sich soeben eingestellten Leseflow bis zum Versiegen hin abzuklemmen vermag. Ein typischer Dath eben.
Zugegeben: Das liest sich vernichtend, ist es aber nicht. Wer sich ein Propädeutikum erwartet, dem sei von „Niegeschichte“ aus ganzem Herzen abgeraten. Wer jedoch Grundlagenwissen in der Science Fiction, der Frankfurter Schule, bei Derrida und Co besitzt, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen, denn Dath wirft einen Blick auf das Genre, wie es ihn zuvor nicht einmal schemenhaft gab und zeigt, was Science Fiction ist: Der künstlerische Kampf um eine bessere Zukunft.
Dietmar Dath
Niegeschichte
Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine
942 Seiten, Gebunden
Erschienen: 2019
Matthes & Seitz Berlin
Egon Krenz – Wir und die Russen
Über den Mauerfall wurde viel geschrieben, sowohl von Ost- und Westdeutschen, als auch von Russen und Amerikanern. Man möchte meinen, das Thema sei – zumindest so lange entsprechende BND, CIA und KGB-Archive noch geschlossen sind – hinlänglich bekannt, ja eigentlich zur Gänze abgearbeitet. Egon Krenz, bekannt als Kronprinz Honeckers und zirka hunderttägiger Staatsratsvorsitzender der DDR, präsentiert mit „Wir und die Russen“ eine höchst persönliche Betrachtung seiner Zeit als wichtigster Mann der DDR. Der im Gegensatz etwa zu Hans Modrow völlig aus der Politik ausgeschiedene Krenz resümiert, bereits 1984 beginnend, die chaotischen Ereignisse des Jahres 1989 und zeigt dabei auf Basis seiner Erfahrungen auf, mit welcher geradezu dreisten Doppelzüngigkeit Gorbatschow und Co mit der DDR umgegangen sind. Sich selbst zeichnet Krenz in seinen Erinnerungen als naiven, ja eigentlich völlig ungeeigneten Staatsmann, der eigene Entscheidungen nur in Ausnahmesituationen trifft und lieber auf SED-Genossen oder den Großen Bruder setzt, was in letzter Konsequenz in die Katastrophe führte. Die faksimiliert wiedergegebenen SED-Dokumente stützen die im Buch präsentierte Lesart des Jahres 1989, welche von der traditionellen Geschichtsschreibung allerdings gar nicht so enorm abweicht, wie man es vielleicht erwarten würde. Geboten werden allerdings Details, welche es vermögen neue Akzente zu setzen. So war dem Autor dieser Zeilen zumindest bisher nicht bekannt, dass bereits 1986 und 1987 der nicht-registrierte Agenten des KGB in der DDR versucht hatten, Mitstreiter für eine Umgestaltung Ostdeutschlands im Sinne der sowjetischen Perestroika und somit gegen die SED-Führung zu gewinnen. Ein Unternehmen, welches nur dadurch aufflog, weil ein solcher Agent einen entsprechenden Tonbandmitschnitt verloren hatte und dieser in die Hände des MfS geriet. Flankiert wird die Narration nebst der Faksimiles von Gesprächsprotokollen und retrospektiven Gedanken Krenzens, mit welchen er manche Ereignisse nachträglich, mal mehr, mal weniger treffend, einzuordnen versucht.
Eine überaus spannende Lektüre von Egon Krenz, welche jedoch auf bedrückende Weise klar macht, mit welcher Chuzpe Politik gemacht wird und dass er Kampf um eine reformierte, bessere DDR, bereits von Anfang an verloren war. Kein Wunder, dass das Buch zum Spiegel-Bestseller avancierte und in kürzester Zeit drei Auflagen nötig machte.
Egon Krenz
Wir und die Russen
Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau im Herbst ’89
304 Seiten, 12,5 x 21 cm, brosch.
edition ost
Titelbild: Hintergrundtisch: Michael Schwarzenberger auf Pixabay; Buchcover: Matthes & Seitz Berlin und edition ost