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Versorgungssicherheit in Krisenzeiten – Möglichkeiten und Grenzen

Frühjahr 2020: Medizinische Handschuhe, Gesichtsmasken, Beatmungsgeräte werden zur heiß begehrten Mangelware. Die COVID-19-Krise zeigt, wie schnell globale Lieferketten unterbrochen werden können und dass die Versorgung mit essenziellen Gütern auch in wohlhabenden Staaten wie Österreich keine Selbstverständlichkeit ist. Dies, obwohl unser Land schon bereits seit den 1980er-Jahren über ein Gesetz verfügt, das die Versorgung mit wichtigen Gütern im Krisenfall sichern soll. Wie soll dieses Versorgungssicherungsgesetz zur Vermeidung bzw. Bewältigung kritischer Versorgungsengpässe beitragen? Und wo stößt es in der COVID-19-Krise an seine Grenzen?

Von Verena Madner, Stefan Mayr und Iryna Sauca (A&W-Blog)

Das österreichische Versorgungssicherungsgesetz

Die Vorläuferregelung zum heutigen Versorgungssicherungsgesetz trat bereits im Jahr 1980 in Kraft. Anlass für die Erlassung ­– und auch für die Neufassung von 1992 – waren unter anderem die Ölpreiskrise der 1970er, die Katastrophe von Tschernobyl und die Golfkrise. Ziel war es, der Verwaltung Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, um rasch und effizient auf allfällige Versorgungskrisen reagieren zu können. Mit Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995 änderten sich die Rahmenbedingungen. Im Jahr 1998 wurde im Wirtschaftsausschuss des Nationalrates erwogen, das Versorgungssicherungsgesetz auslaufen zu lassen. Unter anderem wurde damals argumentiert, dass sich die Versorgungslage seit dem EU-Beitritt durch den erleichterten Zugang zu europäischen Märkten – auch in Krisenzeiten – verbessert habe. Allerdings verfolgte der Ausschuss diese Linie letztlich nicht weiter. Die Beibehaltung des Versorgungssicherungsgesetzes wurde auch damit begründet, dass nach wie vor von der Möglichkeit europaweiter bzw. weltweiter Verknappungserscheinungen ausgegangen werden muss. Dass dies auch mehr als 20 Jahre später noch der Fall ist, verdeutlicht aktuell die COVID-19-Krise.

Unionsrechtliche Rahmenbedingungen

Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit kritischen Gütern fällt grundsätzlich in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten. Doch aus dem Unionsrecht können sich Schranken für die nationale Gesetzgebung ergeben – etwa aus den Grundfreiheiten (bzw. Marktfreiheiten) oder dem Wettbewerbsrecht. Darüber hinaus kann auch die EU selbst Maßnahmen zur Versorgungssicherung treffen. Art. 122 Abs. 1 AEUV bestimmt, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission der Wirtschaftslage entsprechend angemessene Maßnahmen beschließen kann, „insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten“. Die Bestimmung ist durch einen hohen Grad an Flexibilität gekennzeichnet. Denn sie lässt weitgehend offen, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen in diesem Zusammenhang zulässig sind. Im Zuge der COVID-19-Krise hat EU-Ratspräsident Charles Michel diese Rechtsgrundlage hinsichtlich der Engpässe in der Impfstoffproduktion ins Spiel gebracht: Er schlug vor, über Art. 122 AEUV die Freigabe von Impfstoffpatenten und -lizenzen zu erwirken. In der Folge wurde dieser Ansatz jedoch nicht weiter verfolgt.

Darüber hinaus wird die EU mit Art. 122 AEUV auch ermächtigt, längerfristige Maßnahmen zur Krisenprävention zu ergreifen. In diesem Fall dürfen nationale Versorgungssicherungsmaßnahmen den vom Rat getroffenen Maßnahmen nicht widersprechen. Ein Beispiel dafür ist die Richtlinie zur Erdölbevorratung. Diese wurde in Österreich im Erdölbevorratungsgesetz 2012 umgesetzt. Abseits des Energiebereichs bestehen derzeit keine entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen. Und es bleibt weiter Sache der Mitgliedstaaten, Fragen der Versorgungssicherheit zu regeln.

So funktioniert das Versorgungssicherungsgesetz

Versorgungskrisen sind logistische Krisen, die grundlegende Güter wie Lebensmittel, Wasser, Energie oder – wie in Zeiten der COVID-19-Krise – medizinische Schutzausrüstung und Medikamente betreffen können.

Im Fall einer unmittelbar drohenden Versorgungsstörung oder zur Behebung einer bereits eingetretenen Versorgungsstörung ermächtigt das Versorgungssicherungsgesetz den Wirtschaftsminister bzw. die Wirtschaftsministerin mit Zustimmung des Nationalrats, Lenkungsmaßnahmen in Form von Verordnungen zu ergreifen. Diese sind an private Wirtschaftsteilnehmer*innen adressiert. Dabei kann es sich um Gebote, Verbote und die Anordnung von Bewilligungspflichten hinsichtlich der Produktion, des Transportes, der Lagerung, der Verteilung, der Abgabe, des Bezuges, der Verbringung, der Ein- und Ausfuhr sowie der Verwendung von Waren sowie um spezifische Auskunfts- und Meldepflichten handeln.

Sind Schutzmasken vom Gesetz erfasst?

Ein wichtiger Punkt ist allerdings zu beachten: Das Versorgungssicherungsgesetz erfasst nur bestimmte, in einer Anlage zum Gesetz abschließend aufgezählte Güter. In der COVID-19-Krise relevante erfasste Produkte sind etwa pharmazeutische Erzeugnisse einschließlich Impfstoffen und Desinfektionsmitteln. Gebrauchsfertige Schutzmasken dürften hingegen nicht vom Versorgungssicherungsgesetz erfasst sein. Denn sofern es sich um Schutzmasken ohne mechanische Teile und ohne auswechselbares Filterelement handelt, sind diese von der infrage kommenden Kategorie „Atmungsapparate und -geräte und Gasmasken“ ausgenommen. Erfasst sind jedoch die einzelnen Bestandteile der Schutzmasken, wie das Baumwollgewebe und andere Spinnstoffe für Masken sowie die elastischen Maskenbänder.

Nur unbedingt erforderliche Maßnahmen

Lenkungsmaßnahmen nach dem Versorgungssicherungsgesetz greifen meist intensiv in die individuellen (Grund-)Rechtspositionen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer*innen ein.Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs stellt „Versorgungssicherung“ zwar ein legitimes wirtschaftspolitisches Ziel im öffentlichen Interesse dar – doch letztlich hängt die Verfassungskonformität konkreter Lenkungsmaßnahmen vor allem auch von ihrer Verhältnismäßigkeit ab.

Daher sind nur unbedingt erforderliche Maßnahmen erlaubt, wenn eine Versorgungsstörung durch marktkonforme Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln abgewendet oder behoben werden könnte. Dies stellt auch eine Herausforderung dar – und zwar im Rahmen der langfristigen Krisenprävention.

Krisenabwehr, aber keine Krisenprävention

Das Versorgungssicherungsgesetz ermöglicht eine schnelle staatliche Krisenreaktion. Doch es bietet keine Grundlage für eine weitergehende Verpflichtung privater Wirtschaftsteilnehmer*innen zur strategischen Lagerhaltung zwecks längerfristiger Krisenprävention. Angesichts ihrer hohen Eingriffsintensität in individuelle Rechtspositionen sind Lenkungsmaßnahmen explizit nur im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer drohenden oder bereits eingetretenen Versorgungsstörung vorgesehen. Strategische Lagerhaltung bedeutet demgegenüber: die vorsorgliche Vermeidung der Gefahr einer Versorgungsstörung.

Strategische Lagerhaltung durch den Staat

Der Staat kann natürlich selbst im Sinne der Krisenprävention bestimmte Güter strategisch bevorraten. Im Zuge der COVID-19-Krise hat etwa das Land Burgenland Schutzmasken, Schutzmäntel, Desinfektionsmittel und Einmalhandschuhe eingelagert. Die Vorräte wurden für mehrere Monate angelegt und waren für Gesundheitseinrichtungen und nachgelagerte Dienststellen des Landes vorgesehen. Die Anschaffung solcher Vorräte erfolgt im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung. Aus einer rechtlichen Perspektive sind dabei unter anderem die Vorgaben des Vergaberechts zu beachten.

Auf Bundesebene wurde 2020 zudem das COVID-19-Lagergesetz erlassen. Darin wird die Bundesministerin für Landesverteidigung ermächtigt, einen Notvorrat an Schutzausrüstung und sonstigen notwendigen medizinischen Materialien zu beschaffen, zu lagern, zu bewirtschaften und zu verteilen. Die anfallenden Kosten für die Beschaffung, Lagerhaltung, Bewirtschaftung und Verteilung in den Finanzjahren 2020 und 2021 werden über den COVID-19-Krisenbewältigungsfonds gedeckt. Darüber hinaus wird die Bundesministerin für Landesverteidigung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die eingelagerten Schutzausrüstungen etc. unentgeltlich an die Länder, andere Bundesministerien und sonstige Bundeseinrichtungen zu verteilen, soweit dies im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Krise erforderlich ist.

Krisenprävention ­– eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse?

Für die Zukunft wäre es auch denkbar, die Bevorratung kritischer Güter als „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ auszugestalten – wie etwa Dienstleistungen im Bereich öffentlicher Verkehr, Postdienste oder der Gesundheitsversorgung. Einerseits könnte dies im Vergleich zur Bevorratung durch den Staat selbst Kosten und Logistikaufwand reduzieren; andererseits könnte ein potenzieller Grundrechtskonflikt und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit vermieden werden.

Was hat uns COVID-19 gelehrt?

Die COVID-19-Krise hat deutlich gemacht, wie fragil die globalen Lieferketten sind und dass die Versorgung mit essenziellen Gütern auch in wohlhabenden Staaten keine Selbstverständlichkeit ist. Das österreichische Versorgungssicherungsgesetz sieht zwar die Möglichkeit vor, im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer drohenden oder bereits eingetretenen Versorgungsstörung zu reagieren. Für präventive Maßnahmen, die auf die Vermeidung von Versorgungsstörungen abzielen – etwa durch die strategische Bevorratung kritischer Güter – stellt es derzeit keine geeignete Grundlage dar. Dass Krisenprävention allerdings wünschenswert, ja notwendig ist, hat uns vor allem das letzte Frühjahr deutlich gezeigt.

Dieser Blogartikel basiert auf einer Studie des Instituts für Recht und Governance an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Die Studie wurde von Verena Madner, Stefan Mayr und Iryna Sauca verfasst und ist Anfang 2021 erschienen. Sie wurde im Rahmen des von der AK Wien geförderten Forschungsprojekts „Increasing resilience and security of supply of production post-COVID-19: From global to regional value chains?“ erstellt. Das Forschungsprojekt wird vom Institut für Recht und Governance in Kooperation mit der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) durchgeführt.


Titelbild: Mika Baumeister on Unsplash

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