Revolution 1848: Eine „neue Zeit“ ohne Gedächtnis?
Ein Bündnis aus Studenten, Bürger_innen, Bauern und Arbeiter_innen sagte 1848 den Habsburgern den Kampf an. Ihren radikaldemokratischen Forderungen wird heute kaum mehr erinnert. Warum eigentlich?
Von Johannes Greß
Im Oktober 1848 steht Wien in Flammen. Kaiserlichen Truppen bereiten dem Aufbegehren der Monate zuvor ein blutiges, kompromissloses Ende. Letzter Akt: Die standrechtliche Erschießung der Revolutionsführer am 9. November. Doch die Ideen der Revolutionär_innen wirkten und wirken auch nach deren Tod fort, in Form von bürgerlichen Freiheitsidealen – und in Form eines übersteigerten Nationalismus.
Die Revolution von 1848 ist eines der zentralen Ereignisse der europäischen und österreichischen Moderne. Nur: Im kollektiven Gedächtnis ist die Revolution hierzulande kaum präsent. Vor allem für emanzipatorische und progressive Kräfte fänden sich in den Ereignissen von 1848 Kämpfe und Forderungen, an die es sich lohnen würde anzuknüpfen. Erinnert wird indes von FPÖ und Burschenschaften.
Habsburger contra „Dampf“
Dem vorausgegangen waren heftige Kämpfe, spektakuläre Auseinandersetzungen und ein so nie dagewesenes klassenübergreifendes Bündnis von Bauern, Arbeiter_innen, Studenten und Bürger_innen. Wien, zentraler, aber bei weitem nicht einziger Schauplatz der 48er-Revolution in Österreich, befindet sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts inmitten eines ökonomischen und gesellschaftspolitischen Umbruchs: Der „Dampf“ der industriellen Revolution, wie es Friedrich Engels am 27. Jänner 1848 in der Deutsch-Brüsseler-Zeitung formuliert, „hat die österreichische Barbarei zu Fetzen gerissen und damit dem Hause Habsburg den Boden unter den Füßen weggezogen“.
Es sind einerseits die verheerenden Arbeitsbedingungen in den Fabriken und die sozial prekäre Lage, die die außerhalb des Wiener „Gürtels“ angesiedelten Arbeiter_innen auf die Barrikaden treibt. Stein des Anstoßes sind allerdings Bürger_innen und Studenten, die sich gegen den Absolutismus und die restriktive Zensur in der Habsburgermonarchie auflehnen. Sie kommen am 13. März 1848 zu einer Demonstration vor das Niederösterreichische Landhaus in der innerstädtischen Herrengasse, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Lage eskaliert, als Soldaten das Feuer eröffnen. Das erste Opfer heißt Karl Heinrich Spitzer, ein jüdischer Student aus Mähren. Ihm sollten viele weitere folgen. Im Neuen Wiener Journal ist vom 13. März als „der merkwürdigste Tag der österreichischen Geschichte“ die Rede: „Es beginnt eine neue Zeit…“.
Revolutionärer „Funken“
Diese „neue Zeit“ beginnt tags darauf mit der Erstürmung der Fabriken durch die Arbeiter_innen außerhalb des Gürtels (wobei penibel darauf geachtet wird, dass auch nur die „ausbeuterischen“ Fabriken zu Schaden kommen). In spektakulärer Erinnerung bleibt das Entzünden der Gasleitungsrohre am Glacis durch das aufbegehrende Proletariat, woraufhin ein Feuerwall Wien umringt, ein revolutionärer Funken der ganz besonderen Art. Reichskanzler Metternich setzt sich angesichts des revoltierenden Pöbels indes selbst ein unintendiertes Denkmal, indem er verdutzt fragt: „Ja dürfen‘s denn des?“. Ohne die Antwort abzuwarten, flüchtet sich Metternich ins Exil. Auch Kaiser Ferdinand I. bekommt kalte Füße und gibt am 15. März ein Verfassungsversprechen ab.
Der Zusammenschluss aus Bauern, Bürger_innen, Studenten und Arbeiter_innen fordert umfassende bürgerliche Freiheiten, freie und allgemeine Wahlen (für Männer), die Befreiung der Bauern, soziale Sicherheiten und die Abschaffung der Zensur in Presse und Wissenschaft. Im April legt Ferdinand wie geheißen eine Verfassung vor, allerdings nicht gerade zur Besänftigung der Massen. Viele der Forderungen wurden verwässert, „Freiheiten“ mussten die Revolutionär_innen darin stellenweise mit der Lupe suchen.
„Jakobinische“ Phase und „Praterschlacht“
So kommt es im Mai zu einem erneuten Aufbäumen: Die „jakobinische“ Phase der 1848er-Revolution zieht einerseits die Flucht des kaiserlichen Hofes nach sich und lässt andererseits Forderungen nach radikaler Demokratie laut werden. Die Revolutionär_innen, viele von ihnen bewaffnet, errichten Barrikaden in der gesamten Innenstadt, mit dem Abzug des Militärs kommt es zu großen Zugeständnissen für die demokratische Volksbewegung.
Auch wenn spätestens mit der im August stattfindenden „Praterschlacht“ das revolutionäre Pendel in die Gegenrichtung schlägt und die Zerschlagung der Revolution im Oktober dem Aufbegehren ein definitives Ende bereitet, sollten die Forderungen und Errungenschaften der „48er“ Österreich bis heute prägen.
Nur: So richtig erinnern will sich daran niemand. Quellen dazu gebe es genug, auch dank der damals erkämpften Pressefreiheit, erklärt Gabriella Hauch, Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien. Seit Anfang der 1980er recherchiert Hauch in den (damals noch nicht digitalisierten) Archiven, verfasste sowohl ihre Diplomarbeit als auch ihre Dissertation zum Thema. „Die Erinnerung an die Revolution von 1848 ist ein umkämpftes Gebiet“, erläutert Hauch. Auch weil in den vergangenen Jahren vor allem die FPÖ und Burschenschaften geschichtspolitisch daran anzuknüpfen versuchen und die Tradition der Sozialdemokratie von vor 1933, die Märzrevolution mit Feiern zu begehen, nicht mehr gepflegt wird.
Unpassende Ergebnisse
Insgesamt sei die Revolution heute erinnerungspolitisch kaum mehr präsent, „weil es für keine Partei vorteilhaft ist, sich die Erinnerung an die Ereignisse auf die Fahnen zu schreiben“, erklärt Brigitte Mazohl, emeritierte Professorin für Österreichische Geschichte an der Universität Innsbruck: Im Verständnis der Linken war die 1848er-Revolution gescheitert, für Konservative ist ein Rütteln an der bestehenden Ordnung erinnerungspolitisch ohnehin nicht besonders attraktiv. Nur die Freiheitlichen könnten sich heutzutage „immerhin etwas positiv“ auf 1848 berufen, weil die Studenten, die sich später in Burschenschaften organisierten, eine maßgebliche Rolle darin spielten, erklärt Mazohl. Schon damals trugen die Studenten schwarz-rot-goldene Kokarden und forderten eine „deutschnationale“ Lösung.
Doch „die Erinnerung an 1848“ diene „den Schlagenden als Feigenblatt, um damit die wichtige Rolle der deutsch-nationalen Burschenschaften auf Österreichs Weg in den Nationalsozialismus zu überdecken“, kritisiert Soziologe und Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer in einem Standard-Beitrag. Nachsatz: „Jene Burschenschaften, die im Mai ein ‚Fest der Freiheit‘ feiern wollen, wurden nach 1848 gegründet: Die organisierende Olympia 1859, die Libertas 1860, die Germania 1861, die Albia 1870 oder die Nibelungia 1904.“
Verquere Erinnerungskultur
Die Anknüpfungsversuche der extremen Rechten an 1848 nehmen „mitunter skurrile Formen an“, heißt es in einem Beitrag des Dokumentationsarchivs für Österreichischen Widerstand (DÖW). Meist gehe es darum, das eigene, deutschnationale Gedankengut in Erinnerung an 1848 gegen eine angebliche Meinungsdiktatur und Zensur von links zu verteidigen, sich selbst zum obersten Verteidiger der Demokratie hochzustilisieren.
Doch auch der „fatale Nationalismus“, wie es in der Ausstellung „1848 – die vergessene Revolution“ heißt, der in der 1848er-Revolution seinen Ausgang fand, trug etwas zum stillen Vergessen der demokratischen Auf- und Umbrüche bei. Im historischen Gedächtnis der Österreicher_innen, so Mazohl, „ist die Zeit vor dem Nationalsozialismus quasi abgeschnitten“. Austrofaschismus, 2. Weltkrieg und Holocaust waren derart einschneidende Katastrophen, dass sich die Erinnerungskultur hierzulande größtenteils auf diesen Abschnitt fokussiert – „alles vorher ist leider nicht mehr wirklich präsent und eigentlich nur noch was für Historiker“.
Zurück bleibt der fade Beigeschmack einer verqueren Erinnerungskultur: Weil „1848“ nicht nur als Ausgangspunkt für eine radikale Demokratisierung der Gesellschaft, sondern auch eines übersteigerten Nationalismus gelesen werden kann und wird, ist die Revolution für progressive Kräfte in ihrem Erinnern wenig attraktiv. Erinnert wird von jenen Akteuren, die genau diesem Nationalismus am nächsten stehen – indem sie sich zum obersten Verfechter der „Demokratie“ erklären und vom „fatalen Nationalismus“ schweigen.
Titelbild: public domain/Unsere Zeitung
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