Grünes Wachstum reicht für Klimaziele nicht aus. Anderes Wirtschaften und Arbeiten ist nötig.
Die aktuelle Umwelt- und Klimapolitik basiert auf grünem Wachstum: Während das BIP weiterhin wächst, sollen gleichzeitig Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen absolut gesenkt werden. Eine neue Studie zeigt jedoch, dass tatsächliche Entkopplungen von Wirtschaftswachstum, Ressourcen-Verbrauch und Emissionen viel zu langsam und viel zu gering sind, um beschlossene Klima- und Umweltziele zu erreichen. Arbeitszeitverkürzung kann Teil des notwendigen Maßnahmenbündels sein, um aus der Klimakrise keine Klimakatastrophe werden zu lassen.
Von Melanie Pichler und Dominik Wiedenhofer (A&W-Blog)
Studie zur Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltauswirkungen
In einer jüngst veröffentlichten Studie haben wir das Wissen über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum (BIP), Ressourcenverbrauch (Rohstoffe und Energie) und CO2-Emissionen systematisiert und zusammengefasst. Mit einem internationalen Team sichteten wir 11.000 wissenschaftliche Arbeiten und identifizierten 835 empirische Studien, die wir im Detail analysiert und bewertet haben. Daraus wird klar: Bisherige Maßnahmen, die nur auf gesteigerte Effizienz und bessere Technologien setzten, können Ressourcenverbrauch und Emissionen weder ausreichend schnell noch stark genug reduzieren.
Effizienz und Auslagerung ermöglichen relative Entkopplung
Die aktuelle Umwelt- und Klimapolitik setzt auf grünes Wachstum und basiert dabei auf dem Konzept der Entkopplung: Während die Wirtschaft weiterhin wächst, sollen gleichzeitig Ressourcenverbrauch und Emissionen sinken. Wächst das BIP, während Ressourcenverbrauch und Emissionen sinken, wird das als absolute Entkopplung bezeichnet. Bei einer relativen Entkopplung steigen Ressourcenverbrauch oder Emissionen weiterhin an, aber weniger stark als das BIP. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist es notwendig, die globalen Emissionen bis 2050 auf null zu senken. Österreich will diese Dekarbonisierung dem aktuellen Regierungsprogramm zufolge bereits 2040 erreichen.
Unsere Studie zeigt, dass eine relative Entkopplung sehr häufig vorkommt. Diese gelingt meist durch effizientere Produktionsprozesse und den Ausbau von erneuerbaren Energieträgern. Länder mit einem niedrigen Wirtschaftswachstum von etwa ein bis zwei Prozent pro Jahr sind eher in der Lage, durch Effizienzgewinne ihren Ressourcenverbrauch zu verlangsamen, aber eben nicht zu senken.
Teilweise „gelingt“ diese relative Entkopplung auch, indem umwelt- und klimaschädliche Produktionsprozesse in andere Länder ausgelagert werden. Ressourcenverbrauch und Emissionen bleiben so zwar national stabil oder sinken sogar, sie werden aber in andere, meist ärmere Länder verlagert. Dieser Prozess findet in einer globalisierten Wirtschaft häufig statt und kann dank wissenschaftlicher Fortschritte inzwischen gut analysiert werden. Wir zeigen, dass diese Analysen noch wenig genutzt werden, obwohl sie wichtig sind, um Entkopplung systematisch zu bewerten.
Absolute Entkoppelung ist selten und reicht nicht aus
Beispiele absoluter Entkopplung von Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Emissionen gibt es selten. Diese finden sich meist in Ländern, in denen Konsum und Emissionen viel zu hoch sind und eher niedriges Wirtschaftswachstum vorherrscht. Auslagerung ist oft ein Teil der Erklärung. In der Vergangenheit waren absolute Entkoppelungen oft auch ein Ergebnis großer sozialer und ökonomischer Umwälzungen, wie z. B. die deutsche Wiedervereinigung oder der Kollaps der Sowjetunion.
Seit etwa 2005 zeigt sich in einigen wenigen, hauptsächlich europäischen Ländern eine leichte absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen. Die Emissionen sinken von einem sehr hohen Niveau leicht ab, während der Ressourcenverbrauch relativ stabil bleibt. Die Gründe dafür sind gezielte politische Maßnahmen, ein reduzierter Energieverbrauch, ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien und ein niedriges Wirtschaftswachstum. Allerdings sind die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Reduktion bisher nicht einmal annähernd ausreichend, um national und international beschlossene Klimaziele zu erreichen. Breite Maßnahmenbündel werden notwendig sein.
Österreich hinkt hinterher
Österreich hatte 2018 leicht höhere Emissionen als 1990, dem ursprünglichen Basisjahr für klimapolitische Ziele. Seit 1990 konnten zwar Fortschritte in der Energieeffizienz und beim Ausbau der Erneuerbaren gemacht werden. 2005 wurde trotzdem der bisherige Höchststand an Emissionen gemessen. Seitdem sinken die Emissionen leicht. In Summe konnten alle Fortschritte aber nur das Wirtschaftswachstum der letzten 30 Jahre kompensieren, jedoch nicht Ressourcenverbrauch und Emissionen absolut und im notwendigen Ausmaß reduzieren.
Diese nicht ausreichende Entkopplung in Österreich steht in völligem Widerspruch zu den völkerrechtlich, europäisch und national beschlossenen Klimazielen. Die empirischen Belege zeigen, dass bestehende Maßnahmen, die fast ausschließlich auf Effizienz, zaghafte Steuern (z. B. höhere Steuern für Kurzstreckenflüge) sowie technologische Innovationen setzen, bei Weitem nicht ausreichen, um die bereits beschlossenen Klimaziele zu erreichen (siehe Abbildung). Es braucht breitere, gesamtgesellschaftliche Maßnahmen, um ein gutes Leben für alle und ein klimafreundliches Wirtschaften zu ermöglichen.
Arbeitszeitverkürzung als Klimaschutzmaßnahme?
Wie viel und was wir arbeiten, spielt dafür eine wichtige Rolle. Arbeitszeitverkürzung wird daher als wichtige Maßnahme diskutiert, um sowohl klima- als auch arbeitsmarktpolitische Ziele zu erreichen. Für die Klimafrage werden zwei Wirkungspfade genannt, die vereinfacht zusammengefasst Folgendes sagen: Arbeitszeitverkürzung wirkt erstens über die Veränderung der Produktivität und Kosten von Arbeit auf das Wirtschaftswachstum und dadurch auf die Emissionen. Zweitens wirkt Arbeitszeit auf das Einkommen und die Zeitverwendung und somit auf den Konsum, welcher ein zentraler Faktor für Ressourcenverbrauch und Emissionen ist. In der Literatur werden entlang dieser Wirkungspfade zwei Effekte beschrieben, wie sich Arbeitszeitverkürzung auf Ressourcenverbrauch und Emissionen auswirken kann: der Mengeneffekt (scale effect) und der Zusammensetzungseffekt (compositional effect).
Der Mengeneffekt besagt, dass durch eine kürzere Arbeitszeit die produzierte Gesamtmenge in der Wirtschaft sinken kann, dadurch also auch Ressourcenverbrauch und Emissionen. Dieser Effekt hängt freilich davon ab, ob und durch wie viele zusätzliche Beschäftigte die verkürzte Arbeitszeit der/des Einzelnen kompensiert wird. Und davon, ob durch andere Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität im Endeffekt trotzdem gleich viel oder auch mehr produziert, verbraucht und emittiert wird. Der Mengeneffekt beschreibt auch, dass Ressourcenverbrauch und Emissionen durch die Menge des Konsums mitbestimmt werden. Das heißt, weniger Arbeiten bei gleichzeitig weniger Konsum kann Umweltschäden vermindern, weil weniger nachgefragt wird.
Der Zusammensetzungseffekt beschreibt, dass sich kürzere Arbeitszeit auch über die relativen Kosten der Arbeit in den verschiedenen Sektoren auswirkt. Wenn Arbeit in den Sektoren also unterschiedlich teuer wird, hat das Auswirkungen darauf, wie die Produktionsfaktoren zusammengesetzt sind, welche Teile der Wirtschaft wachsen, und damit auf Ressourcenverbrauch und Emissionen. Diese fallen in den einzelnen Sektoren unterschiedlich aus, je nachdem, ob z. B. die metallverarbeitende Industrie oder der Pflege- und Bildungssektor betroffen sind.
Zusätzlich beschreibt der Zusammensetzungseffekt, dass kürzere Arbeitszeit, stabiles oder weniger Einkommen und mehr freie Zeit auch das Konsumverhalten beeinflussen. Im Idealfall bleibt mehr Zeit, um klimafreundlich tätig zu sein. Klimaschädlicher Konsum, der durch Zeitdruck entsteht (z. B. Fertigprodukte) oder durch das tägliche Pendeln zur Arbeit, könnte dadurch reduziert werden. Im schlechtesten Fall bleibt aber auch mehr Zeit für klimaschädliches Verhalten, z. B. Kurzstreckenflüge für Wochenendtrips.
Kürzere Arbeitszeit als Teil eines Maßnahmenbündels
Damit Arbeitszeitverkürzung zu weniger Ressourcenverbrauch und Emissionen führt, muss diese in ein breites Bündel an Maßnahmen eingebettet sein. Diskutiert werden hier z. B. eine radikale öko-soziale Steuerreform oder effiziente öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen, d. h. eine Daseinsvorsorge, die allen zur Verfügung steht und ein gutes Leben für alle ermöglicht. Maximalgrenzen für Einkommen und Vermögen sowie Verbote für besonders klimaschädliche Aktivitäten (z. B. Kurzstreckenflüge, SUVs) wären weitere Maßnahmen. Positive Effekte für das Klima und das Wohlergehen durch kürzere Arbeitszeit dürfen nicht vollständig durch zusätzlichen Konsum kompensiert werden. Mit einem Wort braucht es strukturelle Voraussetzungen und Bedingungen, damit ein klimafreundliches und gutes Leben für alle der einfachere Weg ist, der nicht vom Einkommen abhängt.
Auch eine Arbeitsplatzgarantie kann ein wichtiges Instrument sein, um den notwendigen Strukturwandel der Wirtschaft zu begleiten. Da klimaschädliche Sektoren und damit auch Arbeitsplätze umgebaut werden oder wegfallen müssen, braucht es ökonomische und soziale Sicherheit für die Beschäftigten, aber auch industriepolitische Weichenstellungen. Das könnte z. B. ein staatlich geplantes Auslaufen fossiler Sektoren bei gleichzeitiger Förderung erneuerbarer Sektoren sein. Frühpensionierungen, Umschulungen sowie eine hochwertige öffentliche Daseinsvorsorge können dabei wichtige Instrumente sein, um den Strukturwandel hin zu einer dekarbonisierten und ressourcenschonenden Wirtschaft gerecht zu gestalten.
Titelbild: ejaugsburg auf Pixabay