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Politische Heuchelei

Hierzulande halten es offenbar viele für selbstverständlich, dass sich politische und auch andere Organisationen auf eine aus dem Orient importierte Religion berufen.

Ein Gastbeitrag von Markus Auer

Diese Religion wurde ein paar Jahrhunderte vor einer anderen, derzeit in der Kritik stehenden Religion gegründet, und bereits im römischen Reich von einem Kaiser als Staatsreligion proklamiert. – Also gehört des so, und war scho immer so.

Von den Anhängern der anderen, kritisierten Religion aus dem Orient wird anscheinend erwartet, dass sie auf diese Selbstverständlichkeit der freien Selbstorganisierung für sich verzichten, und sich in die bereits bestehenden Strukturen integrieren, wie es so schön heißt. Dort tragen sie – manche sogar im Schaufenster – dann zur Vielfalt unserer bunten Gesellschaft bei, in der die hochgelobte Freiheit herrscht. Freiheit ja, aber bitte nur die persönliche Freiheit – die Idee, sich so zu organisieren wie sie wollen, sollen sie vergessen. Schließlich war und ist es schwer genug, den Arbeitenden anderer Glaubensrichtungen das Sich-Organisieren abzugewöhnen – und wie man am Gerede von einer bunten Gesellschaft merkt, ist es noch immer nicht gelungen alle davon zu überzeugen, dass es so etwas wie eine Gesellschaft nicht gibt. (Anm.: Wieso reden neoliberale Prediger, nach deren Dogma es keine Gesellschaft sondern nur Individuen gäbe, eigentlich von ‚dem Islam‘?) Also bitte schön einfügen – wohlgemerkt einzeln – und bloß nicht die Atomisierungsbestrebungen der Marktradikalen stören.

Apropos stören: Im Islam werden – wie schon von Aristoteles und auch der frühen christlichen Kirche – Zinsen aus ökonomischer, sozialer und ethischer Sicht als schädlich für die Gesellschaft betrachtet, und sind daher verboten. Ebenso untersagt sind jedwede Form von Spekulationsgeschäften, sowie Investitionen in Rüstungsproduktion. Mich wundert ’s nicht, dass die westliche Welt den Islam als Feind ausruft. Moslems (!*) stören bloß beim Tanz um das goldene Kalb. Genau wie Moses (*) damals, der übrigens wie auch Jesus im Islam als Prophet verehrt wird.

(* Ich habe die Bezeichnung ‚Moslems‘ nur wegen der sprachlichen Nähe zu Moses gewählt. Dies ist keinesfalls despektierlich gemeint.)

Begriffe werden nicht zufällig geprägt. Die dafür gewählten Worte sollen etwas bewirken. Was geschieht in Lesenden beim Anblick der Worte ‚politischer Islam‘? Und was bei ‚politisches Christentum‘? (*) Nun, zweiteren Begriff kennt man so nicht, da wird von christlichen Politikern oder christlichen Parteien gesprochen. Das wird landläufig als etwas Positives gesehen – sogar, wenn die Zuschreibung dieser Eigenschaft keinem Faktencheck standhalten würde. Es sei denn, man weiß, z.B. aus der eigenen Familiengeschichte, wozu christliche Politiker und deren gehorsame Anhänger fähig sind.

(* Politisches Judentum habe ich nicht erwähnt, weil ich hier nur die ‚christliche‘ Heuchelei behandle, und nicht weil ich jemand auslassen oder gar diskriminieren will. Das Fass mit der dritten – oder besser gesagt – ersten abrahamitischen Religion möchte ich an dieser Stelle nicht aufmachen, denn das würde den Rahmen sprengen. (Eine weitere Bilderbuchformulierung aus dem neoliberalen Framing-Lexikon.))

Wenn sich terroristische Mörder auf eine Religion berufen und damit ihre Schandtaten rechtfertigen wollen, – warum unterstützen wir sie dann in ihren Bemühungen, indem wir ihre Verbrechen als etwas der politischen Seite einer Religion Geschuldetes erklären? Ich kann verstehen, dass sich Muslime und Muslimas beklagen, wenn nach Terroranschlägen in der Berichterstattung der Zusatz islamistisch oder gar islamisch verwendet, und vom politischen Islam gesprochen wird. Von der akademischen Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus bleibt möglicherweise bei manchen Wahlberechtigten nur eines hängen: Islam. Dies ist nicht nur im Sinne der Attentäter, und wirkt diffamierend gegenüber den Gläubigen dieser Religion, sondern ist auch eine Verharmlosung – ähnlich wie wenn Rassisten und wiederbetätigende Neonazis einfach nur als ‚Rechte‘ bezeichnet werden.

Der Begriff ‚politischer Islam‘ ist meiner Meinung nach ein Auswuchs des neuinszenierten ‚Kampf der Kulturen‘, und soll es Muslimas & Muslimen erschweren, sich gleichberechtigt politisch zu organisieren. Die Verknüpfung dieses Ausdrucks mit fragwürdigen Organisationen oder gar Terror soll ‚den Islam'(?) aus der politischen Sphäre unserer Gesellschaft fernhalten, und damit auch dessen Gläubigen das Recht absprechen, sich politisch zu betätigen. Obwohl derzeit Identität in der Politik fast in aller Munde ist, – manche sich nur über das Identifizieren mit einer Gruppe definieren, viele trotz unterschiedlicher Identität identisch scheinen, sich einige für identitärer als andere halten, – ist diese islamische Identität scheints nicht in Mode. Besser wird dadurch nichts, denn dies dient nur der Spaltung, einer Strategie der Spannung, und eventuell der Radikalisierung weiterer von uns ausgegrenzten Menschen.

Glühende Europäer berufen sich gerne auf die Werte der Aufklärung. Wie säkular unser Staat wirklich ist, wird sich daran zeigen, ob wir dem Prinzip der Gleichheit und Gleichbehandlung folgen, und wie wir mit den politischen Aspekten des Islam und den Menschen dieses Glaubens umgehen. Im misstrauischen, ja fremdenfeindlichen Geiste eines paneuropäischen Nationalismus, oder entsprechend des Nicht-Textes von Friedrich Schiller zu Beethovens Neunter, unserer Europahymne: „Alle Menschen werden Brüder.“


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Titelbild: James on Unsplash/edited by Unsere Zeitung

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