Von Staat bis Privat – die Eigentumsfrage
In der Corona-Krise wird die Verstaatlichung von Unternehmen wieder ernsthaft diskutiert. Es zeigt sich, dass „der Markt“ keineswegs überall die notwendigen Leistungen sichert.
Von Sepp Zuckerstätter (A&W-Blog)
Angeblich überzählige Krankenhausbetten werden plötzlich zur wichtigen Krisenreserve, und die stets staatskritische jungkonservative Regierungsspitze schwenkt von „schwarzer Null“ auf „Whatever it takes“ – in erster Linie in Form öffentlicher Transfers an Privatunternehmen. Grund genug, neu darüber nachzudenken, ob durch öffentliches Eigentum die in Unternehmen gebündelte Macht zugunsten der Allgemeinheit gelenkt und kontrolliert werden kann.
Was heißt Eigentum?
Laut Allgemeinem Bürgerlichem Gesetzbuch (ABGB) „ist Eigenthum das Befugniß, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkühr zu schalten, und jeden Andern davon auszuschließen“. Doch im ABGB und in vielen anderen Gesetzen folgen Einschränkungen und Detaillierungen, wie dieses Recht ausgeübt, erworben und weitergegeben werden kann und wo die Willkür der EigentümerInnen endet.
Nicht jede Form von Eigentum ist dabei gleichbedeutend. Zentral ist das, wie Marx es so schön nannte, Eigentum an Produktionsmitteln. Wer nämlich das Recht hat, über die Produktionsmittel zu bestimmen, hat damit auch das Recht und die Möglichkeit zu bestimmen, was produziert und angeboten wird. Die klassische Debatte in Politik und Ökonomie lautet: Staat oder privat? Auch wenn spätestens mit dem Nobelpreis an Elinor Ostrom selbst in der Ökonomie klar geworden ist, dass es dazwischen noch viele Alternativen gibt. Es geht darum, ob Produktionsentscheidungen über politische Entscheidungsmechanismen – im günstigen Fall also mit einer Stimme pro Person – oder über Märkte – also „eine Stimme pro Euro“ – koordiniert werden sollten.
Kein Ende der Geschichte
Bitter ist das neuerliche Nachdenken über Verstaatlichungen für die Neoliberalen. Nach Thatcher und Reagan und dem Fall des Eisernen Vorhangs sahen sie schon das Ende der Geschichte und den ewigen Sieg der privaten Marktwirtschaft. Die Geschichte ging aber weiter. Ökonomisch scheiterten die radikal neoliberalen Politiken in der Finanzkrise und der großen Rezession. Politisch bewirkte die neoliberale Reformpolitik den Aufstieg der PopulistInnen; von Berlusconi über Orban bis Trump. Es zeigt sich, dass die Gefahr, von der Geschichte für zu spätes Erkennen der eigenen Fehler bestraft zu werden, nach wie vor und für alle IdeologInnen besteht.
Ein guter Zeitpunkt also, einige Aspekte zusammenzufassen, die wir bereits zu den Tücken der Eigentumsfrage aus der Geschichte gelernt haben.
Verstaatlichung der Industrie nach 1945
Neu ist die Idee der Verstaatlichung nicht, und es gibt gerade in Österreich einige Erfahrungen mit staatlichem Unternehmenseigentum. Nach 1945 wurden Großbanken einschließlich ihrer Industriebeteiligungen sowie die Unternehmen der Schwerindustrie und viele Versorgungsbetriebe verstaatlicht.
Bis in die achtziger Jahre hieß die Faustformel der Eigentumsverhältnisse in der Industrie: ein Drittel Staat, ein Drittel privat, ein Drittel Ausland. Die Verstaatlichung erfolgte damals einerseits, um (vormals) deutsches Eigentum vor den Sowjets zu retten (deshalb auch mit Zustimmung der ÖVP), andererseits, weil Privatkapital für den Wiederaufbau in Österreich fehlte. Nur der Staat konnte damals eine Wiederbelebung wichtiger Unternehmen von der Strom- über die Eisen- bis zur Düngererzeugung bewerkstelligen.
Die verstaatlichte Industrie war ein wesentlicher Teil des österreichischen Wiederaufbaus, und sie trug durch günstige Rohstoffe, stabile Beschäftigungsverhältnisse und (zwangsweise) Zurückhaltung im Konkurrenzkampf mit heimischen Unternehmen wesentlich zu dessen Erfolg bei. Auffallend ist auch die überproportionale Beteiligung an Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
Gerade für Länder im Aufholprozess, wie Österreich damals, ist es wichtig, nicht nur zur verlängerten Werkbank ausländischer Konzerne zu werden, sondern auch eigenständige Entwicklungen voranzutreiben. Der Staat agierte dabei also durchaus als strategischer Eigentümer, auch wenn diese Rolle nicht immer und nicht offiziell so definiert wurde.
Ab den achtziger Jahren verhalfen die Folgen der – für damalige Verhältnisse – krisenhaften Entwicklung der zweiten Hälfte der siebziger Jahre der international dominanten neoliberalen Privatisierungsagenda auch in Österreich zum Durchbruch. Verstärkt wurde der Privatisierungsdruck durch zunehmende Verluste der verstaatlichten Unternehmen infolge der weltweiten Stahlkrise.
Politisch verlor die Verstaatlichte an Zustimmung, da sie nicht als Instrument demokratischer oder gemeinwohlorientierter Wirtschaftspolitik wahrgenommen wurde, sondern als Spielwiese für wenig kompetentes Management und parteipolitisch motivierte Postenbesetzungen. Letztlich führten erhebliche Spekulationsverluste der Voest-Handelsfirma Intertrading und der Chemie-Linz-Tochter Merx sowie illegale Waffengeschäfte der Noricum zum Verlust der Unterstützung für staatliche Industriebeteiligungen. Sie führten zur sukzessiven Privatisierung vieler Bereiche. Während nach 1986 noch versucht wurde, die verstaatlichten Unternehmen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu führen, aber strategische Beteiligungen zu halten, schwenkte die Politik unter Schwarz-Blau I auf eine reine Verwertungs- bzw. Ausverkaufslogik um.
Staatliche Banken und Bankkonzerne
Neben den großen Industriebetrieben kam auch den staatlichen Banken nach 1945 und ihren Industriekonzernen eine wesentliche Rolle zu. Der österreichische Bankensektor war bis zum Beginn der 2000er-Jahre überwiegend staatlich (Creditanstalt [CA], Länderbank, P.S.K.), durch Länder (Hypobanken), kommunal (Sparkassen, Zentralsparkasse), genossenschaftlich (Raiffeisen, Volksbanken) oder von Sparkassen- oder anderen Vereinen dominiert (Erste Bank, Girocredit, BAWAG). Die zum Ende des Jahrhunderts einsetzenden Privatisierungen im Finanzsektor zeigen ebenfalls die zu beachtenden Voraussetzungen erfolgreicher öffentlicher Unternehmensführung auf.
Die Bereitschaft, die Risiken zu tragen
Bei der Länderbank führten massive Verluste zur Fusion mit der Zentralsparkasse. Der öffentliche Eigentümer war nicht bereit, weiteres Kapital nachzuschießen.
Die Privatisierung der zur Gemeinde Wien gehörenden Bank Austria ging einerseits auf den politischen Druck der ÖVP in der ersten rot-schwarzen Koalition in Wien zurück, vor allem aber auf den Unwillen der Gemeinde Wien, für die Verpflichtungen eines für eine Gemeindesparkasse deutlich zu groß gewordenen Finanzkonzerns zu haften. Das Beispiel der Hypo Alpe Adria zeigte später, dass eine gewisse Vorsicht der öffentlichen Hand beim Übernehmen der von diversen Bankmanagern eingegangenen Risiken durchaus gerechtfertigt ist.
Die Möglichkeit, langfristig zu investieren …
Beim Verkauf der CA an die damals meistbietende Bank Austria spielte der mit dem bevorstehenden EU-Beitritt verbundene Druck, die (Brutto-)Staatsschuldenquote zu senken, eine Rolle. Öffentliches Eigentum, gerade im Finanzsektor, braucht aber die Möglichkeit, die Fähigkeiten der öffentlichen Hand, insbesondere bei der Refinanzierung, einzusetzen. So führten etwa sinnlose Fiskalregeln wie die Bruttoschuldenstandsbegrenzung der Maastricht-Regeln dazu, dass der Staat Vermögenswerte unter ihrem Wert verkaufen musste, um Schulden abzubauen. Solche ökonomisch unsinnigen Regeln behindern ohne Not eine konstruktive Eigentümerpolitik des Staates im Finanzsektor.
… und den Willen und die Fähigkeit, das Management zu kontrollieren
Für die allgemeine Meinung über die Sinnhaftigkeit von öffentlichem Eigentum an Banken war auch der Verlust der BAWAG von Bedeutung. Die BAWAG stand im Eigentum des ÖGB und machte Anfang der 2000er-Jahre massive Verluste bei spekulativen Geschäften mit dem Sohn eines früheren Generaldirektors der Bank. Die BAWAG wurde letztlich ohne öffentliches Geld vom ÖGB gerettet, indem er seine Anteile verkaufte und den Erlös zur Abdeckung der Verluste in der Bank beließ. Doch obwohl es sich bei der BAWAG um Privateigentum handelte, nährte dieser Verlust dennoch die Zweifel an der Fähigkeit politischer FunktionärInnen bei der Unternehmensführung.
In der Finanzkrise 2008 zeigte sich dann, dass alle drei genannten Voraussetzungen gegeben sein müssen, um im Sinne der breiten Bevölkerung staatliches Eigentum anzustreben: Denn während die Republik damals bereit war, das Risiko für die gefährdeten Banken zu übernehmen, und, wie sich zeigte, dazu auch finanziell in der Lage war, fehlte der politische Wille, das Management der Banken zu kontrollieren.
Im Gegensatz zur US-amerikanischen Regierung war die österreichische Regierung nicht bereit, Eigenkapitalbeteiligungen und somit Mitspracherechte von den geretteten Banken zu verlangen. Während die öffentliche Hand also das volle Risiko trug, war sie am Ertrag und der Gestaltung nur beschränkt beteiligt.
Grenzen politischer Gestaltungsmöglichkeiten
Als letzte historische Erfahrung sei die Konsum-Pleite 1995 (eigentlich ein Ausgleichsverfahren) angeführt, denn sie zeigte ebenfalls Grenzen der politischen Gestaltungsmöglichkeiten in Unternehmen auf. Sie wurde zum Teil verursacht durch die erzwungene Rücksicht auf regionalpolitische Anliegen. Der Konsum konnte etwa unrentable Filialen in Abwanderungsgebieten nicht einfach schließen, da ihn regionale FunktionärInnen auf seinen ursprünglichen Gründungszweck als Versorgungsgemeinschaft der Genossenschaftsmitglieder verpflichteten. Auch konnte er konzerneigene Zulieferer nicht demselben Preisdruck aussetzen, wie dies die großen Konkurrenten Spar, Hofer oder Billa durch Ausnutzen ihrer Nachfragemacht taten. Und letztlich hatte er das Problem, genossenschaftliche Entscheidungsstrukturen gegen reine Kundenorientierungen zu definieren, wie etwa Brazda und Schediwy schon Ende der 80er-Jahre ausführten.
Staatlich oder privat: nicht der entscheidende Punkt für Erfolg
Private Großkonkurse wie jener des Alpine Baukonzerns 2013, der Handelskette Baumax 2014, von Zielpunkt 2016, der Fluglinie Niki 2018 oder der Schlecker-Drogeriekette 2012 führten im Gegensatz zu BAWAG, Verstaatlichter und Konsum nicht zu ähnlichen Debatten über die Legitimation privater Unternehmensführungen. Neben einer gewissen Asymmetrie in der medialen Beurteilung liegt das vor allem daran, dass üblicherweise jene, die die Konkurse durch ihre Entscheidungen verursachen und für ihr Risiko durch hohe erwartete Renditen belohnt wurden – nämlich die EigentümerInnen –, auch die Konsequenzen tragen. Berechtigten Unmut lösen private Konkurse immer dann aus, wenn sie auf Kosten der Allgemeinheit gehen – sei es durch öffentliche Rettungsgelder oder hohe soziale Folgekosten.
Beim Abverkauf der Verstaatlichten ab 2000 zeigte sich noch einmal, dass staatliche oder private Eigentümerschaft keineswegs der entscheidende Punkt für den Erfolg ist. So stehen etwa den positiven Erfahrungen der GBI (Gesellschaft des Bundes für Industriepolitische Maßnahmen) bei Unternehmenssanierungen, die wider besseres Wissen von Schwarz-Blau geschlossen wurde, die für die öffentliche Hand verlustreichen Abverkäufe bei der ÖIAG (Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft) gegenüber.
Lehren aus der Geschichte
Sobald man beginnt, Unternehmen aus den Zwängen des Wettbewerbs herauszunehmen, muss man darauf achten, andere Mechanismen einzuführen, um das Management dieser Unternehmen zu kontrollieren. Wenn andere als Profitziele in profitorientierten Strukturen verfolgt werden, muss darauf geachtet werden, dass die Erreichung dieser Ziele genauso rigoros überwacht wird, wie KapitaleignerInnen ihre Profitziele durchsetzen würden. Und nicht zuletzt muss man stets bedenken, dass nach politischen Kriterien gewählte Unternehmensstrategien davon abhängen, wer die politische Macht hat.
Wenn man allerdings bereit ist, öffentliches Eigentum mit der notwendigen Verantwortung zu gestalten, Risiken zu übernehmen und bei aller Mühsal Ziele in einer demokratischen Auseinandersetzung zu definieren, dann stellt öffentliches Eigentum eine politische Gestaltungsmöglichkeit dar, auf die nicht leichtfertig verzichtet werden sollte.
Titelbild: MustangJoe auf Pixabay