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Zum Tag der Demokratie eine Wiener Utopie

Welchen Platz würde Wien einnehmen, wenn Demokratie ein wesentlicher Indikator für die Wahl zur „lebenswertesten Stadt“ wäre? Der heutige internationale Tag der Demokratie und die Gründung der Europäischen Demokratiehauptstadt am 18. September laden ein, darüber nachzudenken, was eine demokratische Stadt ausmacht.

von Tamara Ehs

Tamara Ehs:  Kolumnistin für „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE.“ (Foto: privat)

Diesen Freitag wird im Wiener Rathaus der Grundstein für die Europäische Demokratiehauptstadt gelegt. Ähnlich wie die seit 1985 jährlich ernannte Europäische Kulturhauptstadt wird ab 2021 eine Stadt im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit stehen, die sich besonders innovativ um die Stärkung und Verbesserung der Demokratie hervortut. Gemeinsam mit der Robert Bosch-Stiftung gehe ich im Forschungsprojekt EUtopia’s Democracy Cities der Frage nach, welche Demokratievisionen es für europäische Städte gibt. Den Auftakt machte Wien: In Gesprächsrunden diskutierte ich mit Wiener*innen unterschiedlichster Staatsbürgerschaft, was eine demokratische Stadt kennzeichnet.

Als wesentliches Merkmal wurde das Mitspracherecht aller Betroffenen in politischen Angelegenheiten genannt. Es ist nicht nur die Grundlage der Demokratie, sondern macht auch einen großen Teil der gesellschaftlichen Verbundenheit aus. In Wien wächst allerdings das Demokratiedefizit. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Prozentsatz der Wiener*innen, die nicht wahlberechtigt sind, verdoppelt. Mittlerweile ist rund ein Drittel der Bevölkerung von der Wahl des Landtags/Gemeinderats ausgeschlossen. Eine europäische Demokratiehauptstadt müsste sich laut meinen Gesprächspartner*innen darum bemühen, wenigstens (!) den EU-Bürger*innen das allgemeine Wahlrecht auf allen Ebenen zuzugestehen. Entsprechend erhielt die kürzlich gestartete Europäische Bürgerinitiative Voters without borders unter den Teilnehmer*innen große Unterstützung.

Die von mir vorgestellten bestehenden Möglichkeiten der Wiener Demokratie wie das Petitionsrecht, die Beteiligungsformate im Rahmen des Masterplan Partizipation oder das partizipative Budget im 5. Bezirk fanden in den Diskussionen zwar regen Anklang, waren den meisten aber unbekannt. Folglich erarbeiteten die Workshopteilnehmer*innen als Forderung an eine Demokratiehauptstadt, dass es mehr Information über die bestehenden Teilhabeinstrumente geben müsse. Ähnlich dem „Wiener Wickelrucksack“, den Babies bei der Geburt erhalten, sollten Neuankömmlinge bei der Anmeldung eines Hauptwohnsitzes einen „Demokratierucksack“ zugesandt bekommen. Außerdem solle es in den Schulen eine „Wiener Demokratiekunde“ geben, die mit Praxisbezug und in Exkursionen lehrt, wie Bezirks- und Landespolitik funktionieren und wo man sich einbringen kann.

Mit Blick auf die bevorstehenden Wienwahlen bemerkten die EU-Bürger*innen unter meinen Gesprächspartner*innen, die immerhin auf Bezirksebene wahlberechtigt sind, dass es zu wenig Aufklärung über die im Bezirk wahlwerbenden Parteien gäbe. Eine Demokratiestadt müsse gewährleisten, dass allen Parteien die gleiche Medienpräsenz zukomme, egal wieviel Budget einer Partei zur Verfügung stehe.

Implemented by members of the Bosch Alumni Network

Darüber hinaus wurde aufgrund der hohen Fluktuation, die in europäischen Großstädten wie Wien herrscht, eingebracht, ob es für eine Europäische Demokratiehauptstadt überlegenswert sei, die Legislaturperiode auf zwei Jahre zu verkürzen. Auf diese Weise könnten EU-Bürger*innen, die ihre Grundfreiheiten ausüben und für eine begrenzte Zeit in einer anderen als ihrer Heimatstadt studieren oder arbeiten, dennoch mitbestimmen. Und mit Blick auf Wien als Metropolregion wurde darüber nachgedacht, inwiefern auch für Menschen jenseits der Stadtgrenze eine thematische ad-hoc-Beteiligung aufgrund von Betroffenheit zu etablieren sei. Denn ein*e Niederösterreicher*in oder ein*e Ungar*in, der*die zur Arbeit nach Wien pendelt, habe wohl ein begründetes Interesse bei manchen Wiener Sachfragen mitzureden.

Tamara Ehs ist Wissensarbeiterin für Demokratie und politische Bildung, derzeit in Forschungskooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Außerdem berät sie Städte und Gemeinden in Fragen partizipativer Demokratie. Sie ist Trägerin des Wissenschaftspreises des österreichischen Parlaments. Soeben ist ihr neuestes Buch „Krisendemokratie“ (Wien: Mandelbaum Verlag 2020) erschienen, das aus der Coronakrise sieben Lektionen für die österreichische Demokratie zieht.


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Titelbild: Der Burgring in Wien (hier am 1. Mai 2013, Foto: Peter Gugerell; Lizenz: CC0 1.0)

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