AktuellDemokratieEuropaÖsterreichRubrik

Wahltag, wenn die Corona-Ampel auf Rot steht

Am 13. September finden in Vorarlberg Wahlen statt, am 11. Oktober in Wien. Die Vorarlberger Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen waren eigentlich bereits für den 15. März anberaumt gewesen, allerdings wegen der Ausbreitung des Coronavirus verschoben worden. Was passiert, wenn am Wahltag die Coronaampel auf Rot steht?

Von Tamara Ehs

Tamara Ehs: Kolumnistin für „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE.“ (Foto: privat)

Vorab eine Entwarnung für Vorarlberger*innen: Die Ampel steht diese Woche in allen Bezirken auf Grün und es gibt keine Veranlassung, abermals den Artikel 14 Abs 3 der Landesverfassung zu bemühen, der bei außerordentlichen Verhältnissen die Verschiebung von Gemeindevertretungswahlen um „bis zu neun Monate nach Beendigung dieser Verhältnisse“ erlaubt. Außerdem entbehrt die Coronampel noch der gesetzlichen Grundlage und der Bundesrat droht mit einem Veto. In diesem Fall wären auch die Wahlen in Wien, wo derzeit Gelb leuchtet, rechtlich aus dem Schneider.

Wie wir im März in Vorarlberg und in der Steiermark gesehen haben, benötigt man aber keine Ampel, um Wahlen zu verschieben. Und da uns die Pandemie noch länger begleiten wird, die „Beendigung dieser Verhältnisse“ (Vorarlberger Landesverfassung) also noch nicht in Aussicht ist, lohnen sich Überlegungen, wie man auch bei Alarmstufe rot einen Wahltag abhalten könnte. Denn die Verschiebung von Wahlen bedeutet stets einen immensen Eingriff in die Rechte des Souveräns.

Gewiss würde ein gewöhnlich organisierter Wahltag in Zeiten der Pandemie Menschen, die um ihre Gesundheit besorgt sind, abschrecken wählen zu gehen; bestimmte Risikogruppen wie ältere Menschen wären als Wählerschicht unterdrückt. Dass Entscheidungen zur Wahlverschiebung aber nicht alternativlos sind, bewies Südkorea, wo am 15. April unter Schutzvorkehrungen Wahlen stattfanden: Um Menschenansammlungen zu vermeiden, hatte man den Wahltag auf drei Tage gestreckt, zudem mussten die Wähler*innen Abstand zueinander halten, Maske tragen und beim Ausfüllen des Wahlzettels Einmalhandschuhe überziehen. All diese wurde von unzähligen Ordner*innen begleitet, die zudem am Eingang zum Wahllokal Fieber maßen. Die Wahlbeteiligung lag trotz Coronakrise höher als vier Jahre zuvor.

In Österreich kommt die Möglichkeit der Briefwahl hinzu, um physischen Kontakt im Wahllokal zu vermeiden. In dieser Hinsicht wäre eine Wahlrechtsänderung zu diskutieren, die im Falle der nächsten Akutphase – und nur dann, wenn die Organisation eines physischen Wahlgangs tatsächlich über Wochen hinaus unmöglich ist – eine generelle Briefwahl vorsieht. Die Wahlkarte würde dann ohne Antrag gemeinsam mit der Wahlinformation zugesandt.

Dass dies keine Utopie ist, zeigte der schweizerische Kanton Genf vor: Der Genfer Staatsrat hatte kurzerhand entschieden, den Wahlgang am 5. April trotz Coronakrise durchzuführen, dafür aber die bestmöglichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Folglich durfte nur brieflich gewählt werden und die Anzahl der Personen, welche die Wahlzettel auszählten, war stark reduziert. Die Resultate konnten deshalb nicht wie üblicherweise im Verlauf des Wahlsonntags, sondern erst am Dienstagabend kommuniziert werden. Um möglichst allen wahlberechtigten Bürger*innen, also auch den Risikogruppen, denen sogar vom Gang zum Briefkasten abgeraten war, die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichten, schickten die Genfer Gemeinden außerdem Polizist*innen aus, um bei den Risikopersonen die Wahlzettel persönlich abzuholen.

Mit größerem Bemühen seitens der staatlichen Organe sind Wahlen auch bei Rot durchführbar. Solch ein Aufwand, eine Wahl und die Teilhabe an ihr auch in Ausnahmesituationen zu arrangieren, ist nicht nur möglich, sondern in der Demokratie geboten.

Tamara Ehs ist Wissensarbeiterin für Demokratie und politische Bildung, derzeit in Forschungskooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Außerdem berät sie Städte und Gemeinden in Fragen partizipativer Demokratie. Sie ist Trägerin des Wissenschaftspreises des österreichischen Parlaments. Soeben ist ihr neuestes Buch „Krisendemokratie“ (Wien: Mandelbaum Verlag 2020) erschienen, das aus der Coronakrise sieben Lektionen für die österreichische Demokratie zieht.


Die Kolumne wird aus Spenden und den regelmäßigen Beiträgen unserer Mitglieder via steady finanziert. Werde Teil von Unsere Zeitung, ob als Aktivist/inHerausgeber/in oder als Mäzen/in, in dem du uns mit einem monatlichen Beitrag unterstützt.

Titelbild: Wahlbenachrichtigung in Deutschland (Bild von Andreas Lischka auf Pixabay)

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.