Einfach mal nichts tun
Hygge und Lagom, die Lifestyle-Trends aus Dänemark und Schweden, waren gestern. Heute niksen wir, wenn wir am Puls der Zeit leben wollen. Dafür braucht es weder Decken noch Kerzen. Wir müssen auch keine Ratgeber lesen oder Apps herunterladen. Nein, wir können dabei einfach aus dem Fenster schauen. Die Autorin übte sich im Selbstversuch.
Von Eva Daspelgruber
Was machen Sie, wenn Sie im Wartezimmer eines Arztes sitzen? Ich sehe mich normalerweise nach interessanten Zeitungen und Zeitschriften um oder nehme mein Smartphone zur Hand. Auf die Idee, einfach nur dazusitzen, wäre ich gar nicht gekommen. Doch diesmal probiere ich es aus. Weil ich von der entspannenden Wirkung von Niksen gelesen habe. Dieses niederländische Wort gibt einem neuen Trend seinen Namen: der “Kunst des Nichtstuns”.
Von Hygge, der dänischen Gemütlichkeit in Wollsocken bei Kakao und Kerzenschein, habe ich bereits gelesen. Das mag vielleicht für die glücklichen Däninnen und Dänen passen, aber für mich ist das nichts. Dem schwedischen Trend Lagom hingegen, wo es um die ideale Balance zwischen zu viel und zu wenig in allen Lebensbereichen geht, kann ich als grundsätzliche Einstellung einiges abgewinnen. Seit allerdings Ratgeber in Buchform, Möbel und Beauty-Produkte auf den Trend aufgesprungen sind, geht sein eigentlicher Sinn verloren. Aber zurück zu den Niederländern.
Anstatt also die vor mir liegende Tageszeitung durchzublättern oder dem inneren Drang nachzugeben, mein Handy aus der Tasche zu nehmen, blicke ich mich um. Ein älterer Herr betritt den Raum und beginnt gleich zu lesen. Genau wie ich sonst, denke ich, nichts tuend. Mir fallen seine blank polierten Schuhe auf. Kurz darauf wird er als “Herr Doktor” aufgerufen und verschwindet hinter der Glastür. Bevor auch ich dran bin, habe ich mangels Alternativen Zeit, die Garderobe zu mustern, die aus halbierten Birkenstämmen gebaut wurde.
Obwohl das Ganze nur ein paar Minuten gedauert hat, war es ungewohnt und anstrengend. Normalerweise habe ich immer etwas zu tun, sitze nie einfach herum. Dabei wäre das so wichtig, kann Depressionen und Burn-out vorbeugen, meinen Forscher*innen. Einfach runterkommen in dieser hektischen Welt, einmal nicht produktiv sein, sich eine Pause gönnen. Genau darum geht es bei Niksen.
Das nächste Mal nikse ich zu Hause. Eine Empfehlung lautet, einfach aus dem Fenster zu starren. Ich werfe wegen der Uhrzeit einen Blick aufs Display und schalte das Handy ab. Dann setze ich mich auf den Balkon und blicke in den Himmel. Verschiedene Gedanken kommen und gehen. Dinge, die heute auf dem Plan stehen, aber auch Blitzlichter von vergangenen Ereignissen. Nach einer Weile wird mir unwohl und ich beende die heutige Einheit. Der ungläubige Blick aufs Handy zeigt mir, dass es fünf Minuten waren, die mir eben wie eine Ewigkeit vorgekommen sind.
Was mir an diesem Konzept gefällt, ist, dass man seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Es ist nur der Körper, der in dieser Zeit nichts tut, der Geist darf wandern und das bringt Entspannung. Für den Anfang kann auch neben Routinetätigkeiten genikst werden. Wichtig dabei ist, dass sie monoton sind und die Gedanken wenig bis gar nicht beanspruchen. Den Abwasch erledigen oder Stricken zum Beispiel.
Das nächste Niksen versuche ich im Bett – mit Blick aus dem Fenster. Ich komme dahinter, dass ich als Kind wesentlich phantasievoller darin war, in den Wolkenformationen Tiere oder Menschen zu erkennen. Meine Gedanken schweifen ab, ich entspanne mich etwas und denke über Ereignisse der letzten Tage nach. Dann stehe ich wieder auf. Zehn Minuten sind vergangen. Ein Fortschritt.
Es ist wirklich sehr ungewohnt und schwierig, sich nicht abzulenken. Das fanden auch Forscher*innen in einer Studie in den USA heraus. Männer und Frauen wurden dort in einen Raum gesetzt, in dem es keinerlei Ablenkungsmöglichkeit gab. Nur ein Knopf, der Elektroschocks auslöste, war verfügbar. Sie sollten dort 15 Minuten auf einem Stuhl sitzend verbringen. Zwei von drei Männern und jede vierte weibliche Versuchsperson drückten auf den Knopf. Lieber Elektroschock als Nichtstun.
Mein nächster Selbstversuch findet draußen statt. Ich sitze in der Sonne auf einer Bank und habe das Glück, dass auf einem Baum nicht unweit meines Platzes rund 50 Vögel sitzen. Sie machen mit ihrem Gezwitscher richtig Lärm und ich höre ihnen in den nächsten zehn Minuten zu. Versuche, Muster in ihren Lauten zu erkennen. Hier vergeht die Zeit wie im Flug.
Das Schöne am Niksen ist, dass man es jederzeit und überall machen kann. Denn man braucht dazu nur sich selbst. Zehn Minuten am Stück sind ausreichend, um zu entspannen. Klingt einfach, ist es aber nicht – für mich. Aber ich bleibe dran.
Titelbild: Robert Manoutschehri