Gemeinderatswahlen in NÖ: Wahlthemen und Herausforderungen für die Gemeinden
Nach fünf Jahren ist es am Sonntag wieder so weit: 1,46 Mio. Wahlberechtigte in Niederösterreich sind aufgerufen, in insgesamt 567 von 573 Gemeinden ihren Gemeinderat zu wählen. Aber was sind die Themen, welche den Wahlkampf prägen? Was sind die größten Herausforderungen für die Gemeinden?
Von Jürgen Figerl, Gerald Fröhlich und Thomas Kronister (AK Niederösterreich)
Kleinste Gemeinde, die wählt, hat 98 EinwohnerInnen, die größte knapp 45.000 EinwohnerInnen
573 der insgesamt 2.095 Gemeinden in Österreich liegen in Niederösterreich, das ist ein Anteil von über 27 Prozent. Viele der Gemeinden sind ländliche Gebiete mit weiten Distanzen zu größeren Städten, ein nicht unerheblicher Teil befindet sich im Einzugsbereich von größeren Städten – vor allem von Wien –, und darüber hinaus gibt es größere Gemeinden/Städte, wie Wiener Neustadt, St. Pölten und Krems.
Die Unterschiedlichkeit der Herausforderungen der Wahlgemeinden erkennt man, wenn man sich ein paar wesentliche Indikatoren ansieht: Beispielsweise sind die Gemeinden von 1,47 km2 (Hirtenberg im Bezirk Baden) bis 256 km2 (Zwettl im Waldviertel) groß und haben von 98 (Großhofen im Bezirk Gänserndorf) bis 45.000 EinwohnerInnen (Wiener Neustadt) (als eine von sechs Gemeinden wird in St. Pölten mit knapp 55.000 EinwohnerInnen nicht am 26. Jänner gewählt). Diese hatten mit (starken) Bevölkerungszuwächsen oder -rückgängen zu kämpfen (von minus 20 Prozent vor allem in ländlich abgelegenen Gemeinden bis + 40 Prozent vor allem im Umland von Wien in den letzten 10 Jahren). Gerade diese unterschiedlichen Voraussetzungen stellen die Gemeinden vor verschiedene Herausforderungen, welche wir hier kurz umreißen wollen.
Herausforderung 1: Gemeindefinanzen
Die finanzielle Situation in den niederösterreichischen Gemeinden ist sehr unterschiedlich, hat sich aber seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 im Großen und Ganzen stabilisiert. In Summe hatten im Jahr 2018 – laut Statistik Austria – alle Gemeinden in Niederösterreich einen Maastricht-Überschuss von ca. 71 Mio. Euro. Hierbei ist zu beachten, dass ca. 40 Prozent der Gemeinden (insgesamt 230 von 573) ein Maastricht-Defizit aufwiesen – das ist ein leicht höherer Anteil als im Österreich-Schnitt von ca. 38 Prozent. Viele Gemeinden kämpfen damit, dass die finanziellen Belastungen aufgrund von gesetzlichen Änderungen auf Bundes- und Landesebene immer größer werden (beispielsweise durch Kofinanzierung zur Kinderbetreuung, Pflege und Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe neu). Laut KDZ (Zentrum für Verwaltungsforschung) reduziert sich die Finanzkraft pro EinwohnerIn der niederösterreichischen Gemeinden durch empfangene und gegebene Transfers um ca. 20 Prozent, das ist nach Oberösterreich und Kärnten die dritthöchste Reduktion im Bundesländervergleich. Trotz kontinuierlicher Verbesserung der finanziellen Lage der Gemeinden in den letzten Jahren, ist der Schuldenstand pro EinwohnerIn (Stand Ende 2018) in den niederösterreichischen Gemeinden mit knapp 2.100 Euro der höchste im Österreichvergleich (1.681 Euro). Und auch hier ist die Situation zwischen den Gemeinden sehr unterschiedlich: Der niedrigste Schuldenstand pro EinwohnerIn liegt bei 20 Euro, der höchste bei knapp 8.800 Euro!
Herausforderung 2: Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur
Vor allem in flächenmäßig großen Gemeinden ist die Bereitstellung und Erhaltung von hochwertiger Infrastruktur im Verkehrsbereich sowie vor allem bei der Wasserver- und Abwasserentsorgung zu einer großen finanziellen Herausforderung geworden. Mangelnde räumliche Verdichtung der Wohneinheiten in den Gemeinden sowie die immer stärkere Verlagerung von Arbeitsplätzen in regionale bzw. überregionale Zentren haben zu einem massiven Ausbau der Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur geführt. Beispielsweise nahm der Anteil der Menschen, die ihre Gemeinde auf dem Weg zur Arbeit verlassen mussten, in den letzten 30 Jahren kontinuierlich zu. Lediglich 21 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Niederösterreich arbeiten in ihrer Wohnortgemeinde. Der durchschnittliche Arbeitsweg in Niederösterreich beträgt 21 Kilometer, und die Erwerbstätigen benötigen dafür 32 Minuten (am kürzesten ist der Arbeitsweg im Mostviertel [15 km] und am längsten im Weinviertel [28 km]). Rund 42 Prozent aller Wege von Erwerbstätigen in NÖ sind Arbeitswege. Die Arbeitswege werden in Niederösterreich zu 65 Prozent im motorisierten Individualverkehr zurückgelegt (davon 5 Prozent als BeifahrerInnen). 21 Prozent nutzen den öffentlichen Verkehr, 8 Prozent das Rad, und 5 Prozent gehen zu Fuß in die Arbeit. Unter diesen Rahmenbedingungen sind für die Gemeinden unterschiedliche Strategien gefragt. In den Orten und für die kurzen Wege sollten mehr attraktive und sichere Fuß- und Radwege geschaffen werden, ebenso in den Räumen um Wien und zwischen den großen Städten in Niederösterreich ein dichteres Angebot im öffentlichen Verkehr. Alternative Konzepte für Regionen und Gemeinden ohne Erschließung mit öffentlichen Verkehr müssen einen Verzicht oder Ersatz des Pkw überhaupt erst möglich machen.
Herausforderung 3: Kinder- und Altenbetreuung/Pflege
Die Veränderungen der Altersstrukturen innerhalb der Gemeinden hinterlässt vor allem Spuren bei der Versorgung der Menschen in den einzelnen Altersstufen. Beispielsweise ist der Anteil der Bevölkerung, welche 65 und mehr Jahre alt ist, im Bezirk Amstetten mit 17,8 Prozent am niedrigsten, im Bezirk Gmünd mit 24,8 Prozent am höchsten. Dieser Trend wird sich laut den letzten Bevölkerungsprognosen nochmals verstärken. In Gemeinden (vor allem rund um Wien) mit starkem Zuzug von Jungfamilien werden vor allem zusätzliche Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulplätze benötigt (z. B. bei Kindertagesheimen haben die Gemeinden laut Statistik Austria einen Kostenanteil von über 50 Prozent). Ländlichere Gebiete, wie der Großteil des Waldviertels, nördlichen Weinviertels sowie des alpinen Raums, kämpfen mit der starken Abwanderung von jungen Menschen (vor allem Frauen), was zu niedrigeren Geburtenraten führt sowie zu einer Überalterung der dort lebenden Bevölkerung. Hier werden vermehrt Plätze in Pflegeeinrichtungen bzw. Konzepte der häuslichen/mobilen Pflege benötigt. Außerdem stehen diese Gemeinden oftmals vor der Herausforderung, trotz starken Rückgangs der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen Betreuungs- und Schulplätze zu erhalten (z. B. haben fast 90 Prozent aller Kindertagesheime in Niederösterreich einen öffentlichen Erhalter, das ist nach dem Burgenland der zweithöchste Anteil im Bundesländervergleich). Dazu kommt, dass in den einzelnen Gemeinden die Betreuungsmöglichkeiten (und somit die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit von erziehenden Eltern) für Kinder sehr unterschiedlich sind: Lediglich knapp 4 Prozent der Kindertagesheime sind das ganze Jahr geöffnet (in Wien 77 Prozent), mehr als die Hälfte der Kindertagesheime haben 36 und mehr Schließtage im ganzen Jahr.
Herausforderung 4: Grund und Boden/Wohnen
Die niederösterreichischen Gemeinden stehen in diesem Bereich vor unterschiedlichen Herausforderungen. Je ländlicher eine Gemeinde, desto eher steht leistbarer Grund und Boden zur Verfügung. Entlang der West- und Südachse sowie rund um Wien werden die steigenden Grundstückspreise für immer mehr Gemeinden zum Problem. Die Verstädterung in den Wiener Umlandgemeinden entspricht häufig nicht der Selbstwahrnehmung der ansässigen Bevölkerung, die sich nach wie vor im ländlichen Raum wähnt. Auf der anderen Seite gibt es Regionen, wie das Waldviertel, das nördliche Weinviertel oder das südliche Mostviertel, wo Grund und Boden relativ günstig zu haben sind. Die effiziente Nutzung – insbesondere eine kompakte Siedlungsstruktur – hat mehrerlei Vorteile, auch für diese Gemeinden. Ortschaften mit klaren Konturen und einer klaren Abgrenzung zum umliegenden Grünland und einem funktionalen Zentrum sparen letztendlich auch Kosten für die technische Infrastruktur (beispielsweise Straßenbau, Kanalbau etc.). Innerorts gilt es, das zur Verfügung stehende Bauland zu mobilisieren – insbesondere Baulücken sollen geschlossen werden.