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Die neue Bürgerallianz

„Eine soziale Handschrift sucht man vergeblich.“ – Kommentar von Hannes Hofbauer zur türkis-grünen Regierungsbildung in Österreich

„Mutig in die Zukunft“ – Der grüne Bundeskongress stimmte eindeutig für die Koalition mit der ÖVP.

Am vergangenen Wochenende geriet die viel zitierte grüne Basisdemokratie zur Farce. Nach monatelangen, geheim geführten Verhandlungen zwischen dem jungen Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und dem Grünen-Chef Werner Kogler hatten die 275 Delegierten der grünen Basis weniger als 48 Stunden Zeit, um das 326-seitige Ergebnis der Koalitionsgespräche zu beurteilen. Parallel dazu trommelten sämtliche staatlichen und privaten Medien dafür, den schwarz-grünen Versuch zu wagen. Sogar das auflagenstärkste Boulevardblatt, die Kronen Zeitung, verstreute Vorschusslorbeeren. In dieser Situation votierten 246 grüne Delegierte – bei 15 Gegenstimmen – in offener Abstimmung für das angebliche Wagnis. Damit war die letzte Hürde für die erste schwarz-grüne Koalition in Europa genommen. Die Angelobung am Dienstag, dem 7. Januar war dann nur noch Formsache.

„Das besten aus beiden Welten“. Mit diesen Worten charakterisierte Sebastian Kurz, der zuletzt eine rechts-rechte Regierung mit der FPÖ geführt hatte, das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Mit den zwei Welten meint er die christlich-soziale, konservative, alt eingesessene eigene Welt der ÖVP auf der einen und die neue grüne Kraft auf der anderen Seite. So weit auseinander liegen die beiden indes nicht, wie die Einigung auf eine gemeinsame Koalition gezeigt hat.

Das aus 15 MinisterInnen bestehende Regierungsteam zeigt, dass die alt-neu-Zuschreibung schon biografisch nicht stimmt: ein 33 Jahre junger, türkis-schwarzer ÖVP-Kanzler Kurz steht einem 58-jährigen grünen Vizekanzler Kogler gegenüber. Und die Ministerriege der Christkonservativen ist auch im Durchschnitt jünger als jene der Grünen. Wie überhaupt die junge Garde um Sebastian Kurz herum das Terrain bestimmt.

Inhaltlich wiederum sind die Gegensätze zwischen schwarz/türkis und grün nur oberflächlich betrachtet schwer miteinander kompatibel. In wesentlichen geopolitischen und Klassenfragen trennt sie wenig bis nichts. Da ist einmal ihr gemeinsamer unerschütterlicher Glaube in die Europäische Union als Heilsbringer. Konkurrenzfähigkeit, Menschenrechte, Frieden in Europa … all das garantieren – nach beider Meinung – die Brüsseler Institutionen. Kritik an der EU wird sowohl von ÖVP als auch von den Grünen nicht geduldet und mit Zuordnungen wie „europafeindlich“ oder „populistisch“ bedacht. Auch in der Politik gegenüber Russland, so sie überhaupt national eine Rolle spielen kann, wird man sich nicht in die Haare kriegen, allenfalls ein paar grüne Bemerkungen zum Umgang Moskaus mit Homosexuellen könnten die Eintracht kurzfristig stören.

Von wesentlicher Bedeutung für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen ÖVP und Grünen ist ihre beiderseitige bürgerliche Herkunft. Die Grünen sind oder besser: waren, wenn man so will, die unzufriedenen Kinder der Christkonservativen. Deren konservatives bis rückwärtsgewandtes Weltbild und deren Beharren auf autoritären Gesellschaftsstrukturen hat in den 1980er Jahren eine politische Opposition entstehen lassen, die sich teilweise noch aus der Aufbruchsstimmung der 68er speiste. Doch diese Post-68er sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie haben sich als neue Biedermenschen etabliert. Ihr Bild vom Fortschritt ist indes ein anderes. Ihnen geht es nicht mehr vordringlich um ökonomisches Wachstum, Villa, Zweitauto und Fernreisen, sondern um ökologisches, gesundes Essen, gute Luft und E-Mobilität. Die alte Bürgerlichkeit ist generationsbedingt im Aussterben, eine neue findet ihren Platz. Mit den Sorgen der Unterklassen, der Regal-Einräumerin im Supermarkt, dem Paketzusteller oder dem Schichtarbeiter haben sie keine Berührungspunkte.

An der Schnittstelle zwischen alter und neuer Bürgerlichkeit haben sich nun in Österreich ÖVP und Grüne gefunden. Ihr Regierungsprogramm ist kein Kompromiss zwischen zwei Positionen, sondern gleicht eher einer Verteilungsaktion von Pfründen. Dem Wahlausgang entsprechend, bei dem die ÖVP 37% und die Grünen 14% Zustimmung erfahren haben, teilen sich die Pfründe personell und inhaltlich auf. Sebastian Kurz konnte mit den Ressorts Finanz, Wirtschaft, Inneres und Äußeres die wichtigsten Positionen mit seinen Parteileuten besetzen, die Grünen müssen mit Umwelt & Infrastruktur vorlieb nehmen, das sie als großes Klimaressort preisen.

Beim Budget, landläufig zurecht als in Zahlen gegossene Politik bezeichnet, steht als oberstes Gebot das sogenannte Null-Defizit, wie vom EU-Fiskalpakt 2012 in Nachfolge der Maastricht-Kritikerin vorgesehen. Eine soziale Handschrift sucht man vergeblich. Stattdessen werden Steuersenkungen für die niedrigeren Steuerklassen geplant, die oberen bleiben mit Abgabenhöhen von 45% und 50% unverändert. Dafür wird den Unternehmern die Körperschaftssteuer von 25% auf 21% gesenkt.

In der Migrations- und Flüchtlingsfrage bleibt alles beim Alten. Zuwanderung soll dort stattfinden, wo Unternehmen billige Arbeitskräfte brauchen, dafür hat schon die ÖVP-FPÖ-Regierung in der Vergangenheit die sogenannte Mangelberufsliste ausgeweitet. Die Grünen wollen dazu eine Rot-Weiß-Rot-Karte wiederbeleben, die die Einwanderer transparent nach Brauchbarkeit klassifiziert, indem berufliche Erfahrung, Alter, Sprachkenntnisse etc. mit Punkten bewertet werden, die dann zur Ablehnung oder Aufnahme führen. Explizit wird im Regierungsübereinkommen eine EU-weite Aufteilung von Flüchtlingen abgelehnt. Damit sind die Grünen interessanterweise an jener Stelle angekommen, an der sie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán noch vor kurzem zur Weißglut getrieben hat.

Auffällig ist zudem die konsistent anti-islamische Schlagseite der künftigen Bundesregierung. Nicht nur, dass mit der ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab eine junge Frau zum Zug kommt, die das rassistische Islamgesetz 2015 mitverfasst hat. Dort ist unter anderem das Verbot der Auslandsfinanzierung von islamischen Glaubensgemeinschaften festgehalten inklusive der Abschiebung von ausländischen Imamen. Auch wird darin dem österreichischen Bundeskanzleramt die Oberhoheit über islamische Glaubensgemeinschaften zugesprochen, indem er sie mittels Erlass verbieten kann. Nun gehen ÖVP und Grüne noch einen Schritt weiter und beschließen ein Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahren in den Schulen, angeblich im Namen der Frauenemanzipation. Zudem sollen alle Moslems in Österreich unter Beobachtung gestellt werden, indem ein eigenes Dokumentationsarchiv eingerichtet wird. Nach dem Vorbild eines bereits bestehenden „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands“, das rechtsradikale und antisemitische Umtriebe sowohl historisch aufarbeitet als auch aktuell im Visier hat, wird es demnächst eines gegen den sogenannten „politischen Islam“ geben. Darunter kann dann alles verstanden werden, was sich moslemisch außerhalb der eigenen vier Wände äußert und dem vorherrschend westlichen Weltbild nicht passt.

Um das Misstrauen gegen islamische Immigranten noch zu verstärken, will die neue Koalitionsregierung eine Präventivhaft für eingewanderte „Gefährder“ einführen, also: für radikale Muslime oder solche, die dazu medial gemacht bzw. von aufmerksamen Mitbürgern als solche denunziert werden. Dagegen regt sich nicht nur in der Richterschaft Widerstand, weil in Österreich bereits drei Arten von Haft bestehen: die Untersuchungshaft, die Strafhaft und die Schubhaft. Damit, so meinen die Experten, müsste eigentlich ein Auslangen gefunden werden. Grüne Einwände dagegen fanden allerdings auf dem Bundeskongress der Partei keinen Widerhall.

Das „Beste aus der grünen Welt“ findet sich dann beim Thema Verkehr und Klima. Wie bereits in der Hauptstadt Wien soll es zukünftig auch für ganz Österreich – dem Schweizer Vorbild entsprechend – ein Jahresticket für den gesamten öffentlichen Verkehr geben, um 1095.- Euro bzw. um 375.- Euro für ein Bundesland. Die Frage der Finanzierung ist offen, das Projekt aber ein berechtigtes Herzensanliegen der Grünen.

Anders als bei der Stärkung des öffentlichen Verkehrs über den Anreiz des billigen Jahrestickets setzt man im Regierungspaket beim Thema Klimaschutz dann auch auf Verbote. So sollen Öl- und Gasheizungen in den kommenden Jahren verboten werden, was nicht nur in ländlichen Gebieten für viele Menschen, deren Häuser damit geheizt werden, technische, aber vor allem auch soziale Probleme schaffen dürfte. Der Bauwirtschaft und den Herstellern alternativer Heizsystem werden die Kassen klingeln.

Brüssel ist jedenfalls zufrieden damit, dass sich zwei angeblich so unterschiedliche Parteien gefunden haben. Bundesdeutsche Medien staunen ob der Wandlungsfähigkeit des jungen Sebastian Kurz. Manche nennen ihn ein politisches Chamäleon. Eine Durchsicht der Regierungspläne zeigt indes, dass das Grün ganz gut zu seinem ins Türkise verwandelten Schwarz passt. Kurz’ Botschaft an die EU-europäischen Partner lautet folgerichtig: macht es Österreich nach, Wirtschaft (gemeint ist Unternehmertum) und Klimaschutz sind vereinbar und bei der Migration suchen wir uns jene aus, die wir brauchen und stoppen jene, die uns zur Last fallen können; das alles notfalls auch mit autoritär verordneten Maßnahmen.

Der Beitrag erschien zuerst in der linken „Zeitung vom Letzeburger Vollek“ (Luxemburg). Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Titelbild: türkis-grün (pixabay.com; Pixabay License)

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