Sonntag ist Büchertag: Allseitige Verwirrung, aber mit großem Spaß
Paul Theodard gelingt in seinem neuen Roman „Unternehmen Brünhild“ ein literarisches Spiel mit Action, Irrwitz und einem Tanz zwischen Zeiten und Personen. – Sonntag ist Büchertag
Von Urs Heinz Aerni
Urs Heinz Aerni: Herr Theodard, also ich muss schon zugeben, dass man gleich beim Start der Lektüre sich in filmreifen Action-Szenen wähnt und fast vergisst zu atmen. Wussten Sie von Anfang an, wie Sie in die Geschichte einsteigen werden?

Paul Theodard: Es freut mich, dass mir offenbar ein spannender Text gelungen ist. Und ja, ich habe beim Schreiben versucht, mir die einzelnen Szenen im Kopf sozusagen als Schnitte eines Films vorzustellen und der überragenden Suggestionskraft jenes Mediums nachzueifern. Gleich zu Beginn wird der Protagonist in eine für ihn zunächst nicht verständliche, ja bedrohliche Situation hineingeworfen. Das sollten die Leserinnen und Leser ein Stück weit nachempfinden können. Die konkrete Ausgestaltung der Einstiegsszene ergab sich aber erst im Lauf des Schreibens.
Aerni: Ihre Idee, einen Zeitreisenden in die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges nach Berlin zu schicken, hat ihren Reiz. Was war der Anlass für diese Idee?
Theodard: Mit eine Inspiration für mich waren die gar nicht so wenigen Werke anderer Autoren, die von der gleichen Idee ausgehen. Ich wollte die Sache aber ein bisschen anders angehen. Mich interessierte weniger, einen alternativen Geschichtsverlauf auszumalen: Wie würde unsere Welt aussehen, wenn diese oder jene weltgeschichtliche Weiche anders gestellt worden wäre?
Aerni: Sondern…?
Theodard: Eher ging es mir darum, die Leserinnen und Leser zum Nachdenken über die mehr grundsätzliche Frage anzuregen: Inwieweit wäre ein historischer Konjunktiv überhaupt möglich oder wünschenswert? Am weltgeschichtlichen Extremfall des Nationalsozialismus lässt sich dieses Gedankenexperiment gut durchführen.
Aerni: Ihre Figur ist zudem ein Doppelgänger eines Gestapomannes, als der er sich recht schnell und geistesgegenwärtig zurechtfindet. Was ist das für ein Charaktertyp?
Theodard: Der Held verfügt über Schläue und Gerissenheit, aber auch Mut in ungewöhnlich starker Ausprägung. Er ist nicht jemand, und kann es aufgrund der Umstände auch nicht sein, der sich methodisch, Schritt für Schritt, an ein bestimmtes Ziel annähert. Er fokussiert seine Kräfte vollständig auf die Notwendigkeit, in der jeweiligen Situation zu bestehen. Ich sehe eine Verwandtschaft beispielsweise mit den Protagonisten der sogenannten Schelmenromane.
Aerni: Die Geschichte dreht sich um den 20. Juli 1944, also den Tag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler, und dabei wird der besagte Protagonist aus der Zukunft von den Nazis festgenommen. Wie gingen Sie bei der Recherche und beim Einbetten Ihrer Figur im historischen Kontext vor?
Theodard: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat mich schon interessiert, lange bevor ich auf die Idee für mein Buch kam. Viele der grundlegenden historischen Tatsachen waren mir daher von Anfang an vertraut. Wobei sich beim Schreiben klarerweise Anlass ergab, das eine oder andere historische Detail nachzurecherchieren. Jedenfalls habe ich versucht, den geschichtlichen Hintergrund so akkurat wie möglich zu reflektieren. Wenn mein Text daher nicht nur als spannende Geschichte, sondern auch als bescheidene Bezeugung von Respekt gegenüber den Männern des 20. Juli 1944 und überhaupt der Widerstandsbewegung aufgefasst wird, so wird mich das ehrlich freuen.
Aerni: Es gibt skurrile Szenen, wie zum Beispiel die, in der der Todgeweihte seiner eigenen Hinrichtung zusieht und sich dann fragt, ob er tot sei. Was fasziniert Sie an der Surrealität?
Theodard: Das Faszinierende daran ist, glaube ich, die Ambivalenz zwischen fantastischem Inhalt und realistischer Form. Ganz augenfällig ist das bei surrealistischen Gemälden, aber das Verfahren lässt sich auch gut auf literarische Texte übertragen. Das Publikum weiß nicht so recht, ob es glauben soll, was es mit eigenen Augen sieht. Ob ihm eine Wahrheit offenbart oder eine Lüge aufgetischt wird. Oder vielleicht irgendetwas dazwischen…
Aerni: Sie treiben ein Verwirrspiel mit den Sinnen durch zwischenmenschliche Verknüpfungen in der Vergangenheit, über die Ihre Figur auch direkt mit der Leserschaft berichtet, mit Blick direkt in die Kamera, wenn man das so sagen kann. Irgendwie hat man beim Lesen das Gefühl, dass das Schreiben Ihnen großen Spaß machte, oder?
Theodard: Gleich mehrere handelnde Personen befinden sich im Irrtum über die Identität des Protagonisten, während auch dieser zunächst nicht weiß, mit wem er es bei den beiden anderen Hauptfiguren zu tun hat. Die Verwirrung ist also zunächst sozusagen allseitig. Und ja, den Text zu schreiben hat mir großen Spaß gemacht. Dass sich das beim Lesen auf Sie übertragen hat, freut mich sehr.
Aerni: Nachdem sich Ihre Figur aus der Zukunft fragt, wie viel Wirkung sein Tun auf das weitere Weltgeschehen hat, ist im Buch auch noch ein interessanter Wissensteil zu finden, in dem Sie zu jedem Kapitel quasi einen Faktencheck machen. Was war Ihre Motivation, dies zu tun?
Theodard: Ich habe mich einerseits bemüht, einen Text zu schreiben, der für das Publikum ohne weiteres verständlich ist. Andererseits nahm ich an, dass manche Leserinnen und Leser gerne ein bisschen mehr über den historischen Hintergrund der Geschichte erfahren würden. Daher meine Entscheidung, zwar nicht den Lesefluss durch Hinzufügung weiterführender Erklärungen zu hemmen, solche aber für den interessierten Teil des Publikums kurz und bequem in einem Anhang bereitzustellen.
Aerni: Zu guter Letzt, in welcher Zeit würden Sie als Zeitreisender gerne landen?
Theodard: Ganz bestimmt nicht in der Zeit des Nationalsozialismus, wie es dem Protagonisten meines Buches ergangen ist. Aber wenn es nicht gerade jene Epoche sein muss, male ich mir schon manchmal, vermutlich wie viele andere Menschen, nicht ohne Behagen aus, Augenzeuge dieses oder jenes vergangenen großartigen Ereignisses zu sein, das sich aber für die Zeitgenossen wohl weitaus weniger großartig anfühlte, als es im verklärenden Blick zurück erscheint. Das sollten wir uns vielleicht bewusst machen, wenn wir uns aus den Bedrängnissen der Gegenwart fort in eine scheinbar schönere Vergangenheit wünschen.
Das Buch: „Unternehmen Brünhild“ von Paul Theodard, Bucher Verlag, 2025, ISBN 978-3-99018-732-6, 232 Seiten
Paul Theodard wurde im Jahr 1971 in Linz an der Donau geboren. In Wien und Oxford studierte er Altphilologie, Slawistik und Sprachwissenschaft. Er lebt glücklich mit Frau und Kindern in seiner Heimat Österreich, sowie zur Erweiterung des Horizonts zwischendurch auch immer wieder länger im Ausland, darunter in England, Russland und Georgien. Die Lektüre vieler Bücher weckt seine Neugierde darauf, was in ihnen nicht zu finden ist. Der Drang, es vielleicht doch noch zu entdecken, veranlasst ihn, selbst welche zu schreiben.
Titelbild: Cover „Unternehmen Brünhild“ (c) Bucher Verlag
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