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Gedicht: Das neuerliche erblühen unserer Erinnerungen

Liebe Leser:innen,

ich möchte an dieser Stelle und in Anbetracht der Zeiten, denen sich hingewendet werden soll, ein paar nachdenkliche Worte niederlegen.

“Die im Dunklen sieht man kaum“, ist ein Satz, der mich, seit mir das Schicksal meiner Uroma bewusst wurde, von klein auf begleitet. Wenn aber Menschen abseits des grellen machtvollen Lichts weniger wahrgenommen werden, was ist dann mit ihren Sorgen, mit ihren Ängsten und vor allem mit ihren Erinnerungen? 

Können diese vom prekären Dunkel des da unten nach oben ins Licht der Aufmerksamkeit dringen und eine Auswirkung auf die erzählende Erinnerung haben?

Eine Antwort auf diese Fragen maße ich mir an dieser Stelle nicht an. Es ist mir aber wichtig, auf den 19. April hinzuweisen. Dann jährt sich zum achtzigsten Mal der von überlebenden KommunistInnen, SozialdemokratInnen und ChristInnen erstellte Schwur von Buchenwald, der bis zum heutigen Tag die gültige Aufforderung eines “Nie Wieder!” an die Lebenden in sich trägt. 

In diesem Kontext möchte ich mein folgendes Gedicht auch all jenen guten Seelen im Dunklen widmen, die im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten und in der bewussten Gefahr ihres eigenen Lebens dem Hass zu trotzen wagten. 

Benjamin Lapp


Das neuerliche erblühen unserer Erinnerungen

(Präludium)

Die anerkannte Erzählung über unsere eigenen Erinnerungen ist eine unerreichbare Frucht in blühenden Gärten, verborgen hinter den Mauern der Macht.

Es muss uns doch gelingen…

Hier nun! Hier ist der Ort, an dem ich bin und sogleich so sehr begehre nicht sein zu wollen. Genau hier streife ich, geschröpft von aller Zuversicht und entfremdet von der eigenen Erzählung meiner Herkunft, die sowohl verketzert wie auch schon mehrfach zu Grabe getragen wurde, durch verdorrende Landschaften, so unendlich weit, dass die Verlorenheit gedenkt schreiend in der Seele wild um sich zu schlagen, und gleichzeitig bar jeglicher Form von Perspektive ist, an dem ein flackerndes Herz der Überforderung könnte irgendwie wurzeln.

Und obgleich sich in dieser Einsamkeit die Selbstvergewisserung meiner selbst, jenseits des Randes aller gewünschter Wahrnehmung, zu verdeutlichen sucht, ist es unglaublich schwer den eigenen Gedanken zu lauschen, wenn die Wiedergänger des krakeelenden Zeitgeistes auf ätzend-niederträchtige Weise an der Atemluft zerren, und so wenig Freiraum lassen, sich der prägenden Einformungen einer melancholischen Identität zu entziehen.

Es muss uns doch gelingen…

Hier also, wo die Hoffnung so rotzig laut stirbt, trotzen nur noch die faulenden Keimlinge eines wild ausschlagenden Hass diesem mit aller Akribie dafür vorbereiteten rissigen Boden, und ich bekenne offen meine Furcht, vor dieser gezüchteten Saat des Bösen in biedermanns Gewand.

Und schon trägt die eiseskälte Wendung des Windes aufs neue einen Ascheregen zu mir, welcher so beängstigend beiläufig hinab fällt, und sich wie ein Malus eingräbt auf meine Haut, und zu einer chronischen Wunde meiner Schuld der lebenden Tatenlosigkeit anschwillt.

Noch benommen taumelnd von einer mit so viel Angst erfüllten Verlorenheit, blicke ich auf dem gerissenen Teer des Pfades zu meinen Füßen, um dort ein rot gemaltes Herz, schwach aber doch leuchtend, wahrzunehmen, mit dem Satz darin: ,Du bist nicht allein‘.

Es muss uns doch gelingen, dass die Sonne so schön wie einst wieder über unsere eigenen blühenden Erinnerungen scheint.


TitelbildPublicDomainPictures / Pixabay

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