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Von Bratislava nach Wien: Warum tausende Frauen in Europa für ihre Rechte reisen müssen

Tausende Frauen müssen in Europa über Grenzen reisen, um eine medizinische Leistung zu erhalten: einen Schwangerschaftsabbruch, belegt diese neue Recherche. Die unterschiedlichen Gesetze und Rechte machen es nötig. Österreich ist bei Abtreibung in Europa ein Sonderfall.

Von Mayya Chernobylskaya / MOMENT

An einem Freitag im vergangenen Jahr hält Tana (Name geändert) den positiven Schwangerschaftstest in den Händen. „Ich hatte mich bereits in dem Moment entschieden, als ich die beiden Linien auf dem Test sah. Ich wusste, dass ich nicht schwanger sein wollte, dass ich kein Kind austragen oder zur Welt bringen wollte“, erzählt sie. Sie wusste sofort, was zu tun war: „Sobald ich es erfuhr, suchte ich im Internet nach Möglichkeiten, die Schwangerschaft mit einer Pille abzubrechen“, erinnert sie sich. Tana ist 35 Jahre alt und lebt in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei.

Schwangerschaftsabbrüche sind in der Slowakei bis zur 12. Woche auf eigenen Wunsch und danach aus medizinischen Gründen legal. In der Praxis ist der Zugang jedoch stark eingeschränkt. Ganze Krankenhäuser führen keine Schwangerschaftsabbrüche durch und berufen sich dabei auf die gesetzlich verankerte „Gewissensverweigerung“. Hinzu kommen andere Hürden: die Stigmatisierung in der Gesellschaft; die obligatorische Beratung beim Arzt – die nach Ansicht einiger NGOs oft tendenziös zum Behalten des Kindes auffordert; und die zweitägige Wartezeit, die danach eingehalten werden muss. Und vor allem: Tana will einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, aber der ist hier illegal. Der chirurgische Eingriff die einzige Option.

Doch den hat Tana nie in Betracht gezogen. “Ich habe nach einem Schwangerschaftsabbruch mit Pillen gesucht, und eines der ersten Ergebnisse war eine Klinik in Wien”, erzählt sie. Die Fahrt von Bratislava nach Wien dauert nur etwa eine Stunde. Die Entscheidung war schnell gefallen. Sie rief die Klinik in Wien an, am darauffolgenden Montag hatte Tana einen Termin für den Schwangerschaftsabbruch. “Alle waren höflich und niemand hat mich verurteilt. Ein sehr professioneller und freundlicher Ansatz. Sie haben nicht versucht, mich zum Umdenken zu überreden”, erzählt sie.

Tausende Frauen auf Grenzreise

Was Tana erlebt hat, ist kein Einzelfall – es ist Teil eines europaweiten Trends. In den  vergangenen 5 Jahren haben mindestens etwa 41.000 Frauen europäische Grenzen überquert – trotz der erschwerten Bedingungen während der Corona-Pandemie, als viele Grenzen geschlossen waren.

Mindestens 7.900 Frauen aus aller Welt sind allein im Jahr 2023 für einen Schwangerschaftsabbruch in europäische Länder eingereist, davon mindestens 5.800 von ihnen kommen selbst aus europäischen Ländern. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist auch in Europa ungleich verteilt. Eine Recherche eines internationalen Teams von über 10 Journalist:innen „Exporting Abortion“ (koordiniert von Público, Spanien), in deren Rahmen auch dieser Bericht erscheint, hat diese Zahl erstmals belegt, indem nationale Statistiken zusammengeführt wurden. Die sind aber eine Untergrenze, denn das Material ist lückenhaft. Nicht alle der untersuchten Länder erheben detaillierte Daten über Schwangerschaftsabbrüche von Frauen aus dem Ausland, teilweise hinken die Veröffentlichungen Jahre hinterher.

Abtreibungspille als Ausweg

In Ländern wie Polen, Malta oder Andorra lassen Frauen Schwangerschaftsabbrüche nicht nur im Ausland vornehmen, sondern greifen häufig auch im eigenen Land – jedoch außerhalb des Gesundheitssystems – auf sogenannte Abtreibungspillen zurück. Diese beziehen sie über NGOs oder den Schwarzmarkt, oft online, um eine Reise zu vermeiden. Laut der niederländischen Organisation Supporting Abortions for Everyone (SAFE) nimmt diese Praxis zu, bleibt jedoch meist unsichtbar in offiziellen Statistiken. Sie ist besonders verbreitet in Ländern mit eingeschränktem Zugang, etwa Malta, oder dort, wo nur chirurgische Eingriffe erlaubt sind, wie in der Slowakei.

Die Gründe, warum Frauen in Europa für einen Schwangerschaftsabbruch ins Ausland reisen müssen, sind vielfältig. Viele tun dies, weil die Gesetze in ihrem Heimatland es ihnen nicht erlauben – sei es, weil Schwangerschaftsabbrüche gänzlich verboten sind, weil die Gesetze sehr restriktiv sind oder weil sie die gesetzliche Frist überschritten haben. Andere, wie Tana, reisen, weil sie eine andere Methode als die in ihrem Heimatland angebotene bevorzugen.

Gewissensverweigerung gegen Frauenrechte

Ein weiterer Grund, warum Frauen für Schwangerschaftsabbrüche oft ins Ausland reisen, ist, dass es in ihrer Region an Fachkräften oder Kliniken fehlt. Dies wird durch „Gewissenverweigerer“ verstärkt, da medizinisches Personal vielerorts den Eingriff aus moralischen oder religiösen Gründen ablehnen kann – teils auch wegen sozialem Druck. In manchen Regionen verweigern ganze Krankenhäuser den Abbruch, wodurch „Abtreibungswüsten“ entstehen.

Kurz gesagt: Wo immer das Gesetz oder medizinisches Fachpersonal Schwangerschaftsabbrüche einschränken, sind Frauen gezwungen zu reisen. Alle befragten Experten kommen zu demselben Schluss: Ein Verbot löst nichts. „Es führt lediglich zu Abtreibungstourismus und einem Kontrollverlust von Staat und Gesellschaft“, sagt etwa Jozef Záhumenský, Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in Bratislava-Ružinov.

Die Routen

Nahezu die Hälfte (48,15 %) aller von Exporting Abortion erfassten Schwangerschaftsabbrüche, für die europäische Frauen in ein anderes europäisches Land gereist sind, fanden in den Niederlanden statt. Dort ist der Abbruch bis zur 24. Schwangerschaftswoche gesetzlich erlaubt. In den vergangenen fünf Jahren haben dort 13.114 Frauen aus anderen europäischen Ländern einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Und das, obwohl die niederländischen Gesundheitszentren nur Daten von Patientinnen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland und Polen dokumentieren. Schwangerschaftsabbrüche z.B. von Frauen aus Österreich werden nicht erfasst.

Die häufigste Route führt von Deutschland in die Niederlande. Jedes Jahr kommen mehr als 1.000 Frauen nach Holland, um ihre Schwangerschaft abzubrechen. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland im Strafgesetzbuch geregelt und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Manchmal wird die Schwangerschaft erst nach der gesetzlichen Frist von 12 Wochen entdeckt, manchmal führen aber auch strenge Vorschriften und Versorgungsengpässe dazu, dass Frauen in Deutschland keinen Abbruch vor Ort vornehmen lassen können oder von vornherein den Weg ins Ausland vorziehen.

 

Unterschiedliche Fristen für Schwangerschaftsabbrüche

Ähnlich ist die Situation in Portugal, wo Abbrüche nur bis zur 10. Woche erlaubt sind, während Spanien sie bis zur 14. Woche ermöglicht – weshalb jährlich über 500 Portugiesinnen in ihrem Nachbarstaat medizinische Hilfe suchen.

Auch aus Frankreich reisten jährlich durchschnittlich 526 Frauen zum Schwangerschaftsabbruch in die Niederlande und weitere 454 nach Spanien. Bis Anfang 2022 war in Frankreich ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche erlaubt, danach wurde die Frist auf 14 Wochen verlängert, wodurch beide die Zahlen zurückgegangen sind.

Auch weite Reisen

Die einzige nicht grenznahe Route unter den zehn häufigsten führt Polinnen in die Niederlande: Trotz einer Entfernung von mehr als 1.000 Kilometern nahmen jährlich durchschnittlich 479 Frauen aus einem der restriktivsten EU-Länder diesen Weg auf sich.

Viele solcher Grenzübertritte lassen sich gar nicht in Zahlen ausdrücken – zumindest nicht mit vollständigen und offiziellen Daten –, da die Aufnahmeländer dieser Frauen diese Informationen nicht erheben. Dies gilt zum Beispiel auch für Personen aus Polen. Viele von ihnen entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch im benachbarten Deutschland oder Österreich, werden aber von beiden Ländern statistisch nicht abgebildet.

Sonderfall Österreich

Österreich stellt in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme dar: Zum einen, weil keinerlei Daten vorliegen. Zum anderen, weil Österreich mit seinen vergleichsweise einfachen rechtlichen Rahmenbedingungen Drehscheibe für viele Frauen aus dem Ausland ist.

Salah El-Najjar, Oberarzt und Gynäkologe bei Woman& Health in Wien berichtet: „Wir haben sicher ein multikulturelles Patientenkollektiv. Polinnen, Ungarinnen, Deutsche, Patientinnen aus der Slowakei, Tschechien, aber auch aus dem arabischen Raum, aus Dubai… im Grunde alle Länder“, berichtet er. Auch andere Ärzt:innen in Österreich erzählen ähnliches.

Über diese Frauen ist so gut wie nichts bekannt. In Österreich kann ein Schwangerschaftsabbruch vollkommen anonym erfolgen, erklärt El-Najjar. Eine vergleichbare Lücke in der Dokumentation fand Exporting Abortion sonst nur noch in Luxemburg vor, wo zwar Statistiken geführt, aber nicht veröffentlicht werden.

Versorgung auch in Österreich mit großen Lücken

Tana und viele andere Frauen aus dem Ausland finden in Österreich Hilfe in ihrer Notlage. Doch vor Ort ist der Schwangerschaftsabbruch hart umkämpft: Aufgrund von Stigmatisierung, Belästigungen und Übergriffen auf Ärzt:innen ist die Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen mancherorts lückenhaft: „Es sind oft Einzelpersonen, an denen das hängt, vor allem im Westen von Österreich“, sagt die Wiener Gynäkologin Mirijam Hall (Anm.: Links im Zitat durch die Redaktion gesetzt). Es gibt aber zum Beispiel auch im Burgenland keine offizielle Stelle, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt, während in Wien zahlreiche Angebote vorhanden sind.

Nach dem Gesetz sind in Österreich keine Ärzt:innen verpflichtet, eine Schwangerschaft abzubrechen – dürfen dies also ablehnen. Und sie dürfen wegen dieser Entscheidung auch nicht „diskriminiert“ werden. Das ergibt ein Problem: „In einer Klinik, wo regelhaft Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, kann die Versorgungssicherheit nur schwer hergestellt werden, wenn beim Vorstellungsgespräch gar nicht gefragt werden darf, ob der Bewerber oder die Bewerberin das überhaupt macht“, sagt Hall.

Denn Schwangerschaftsabbruch steht auch in Österreich im Strafgesetzbuch, bleibt aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Dies gilt in den ersten drei Monaten nach einer ärztlichen Beratung oder wenn die Gesundheit der Frau oder des Fötus schwerwiegend gefährdet ist. Zahlen müssen Betroffene selbst, die Sozialversicherung zahlt nicht dazu.

Das erklärt auch die fehlenden Zahlen: Weil sie eine Privatleistung sind, werden Schwangerschaftsabbrüche nicht erfasst. Und viele sehen dafür auch einen triftigen Grund. So erklärt zum Beispiel Mirijam Hall, dass die Pro-Choice-Bewegung in Österreich offizielle Statistiken ablehnt, da diese oft von Abtreibungsgegner:innen genutzt werden. Hall erklärt: „Sobald eine Statistik erhoben wird, ist der Schritt zur Pflichtberatung nicht mehr weit.“ Die Beratungseinrichtungen seien aber oft zu kirchennah und stünden Schwangerschaftsabbrüchen grundsätzlich eher ablehnend gegenüber.

Hohe Kosten für den Schwangerschaftsabbruch

Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch liegen in Österreich je nach Ort bei zwischen 300 und 1000 Euro. Für hierzulande lebende Personen gibt es mancherorts Unterstützung, wie zum Beispiel von der Stadt Wien, die in sozialen Notlagen die Kosten einmalig rückerstattet. Da diese Möglichkeiten aber nicht überall und nicht für alle gegeben sind, gibt es auch gesellschaftliche Initiativen, die versuchen zu unterstützen.

Der gemeinnützige Verein „Changes for Women“ mit Sitz in Wien unterstützt Menschen in finanziellen Notlagen bei der Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs in Österreich. Die Hilfe hängt jedoch von den verfügbaren Mitteln ab, da sich der Verein hauptsächlich durch Spenden finanziert. Doch der Bedarf ist groß: „In den Jahren zwischen 2021 und 2023 haben sich die Anfragen verdoppelt“, sagt Isabel Tanzer von CHANGES. „Auch im vergangenen Jahr verzeichneten wir einen leichten Anstieg auf über 450 Anfragen, von denen wir rund 280 finanziell unterstützen konnten“, berichtet sie.

Personen aus dem Ausland greift vor allem die Organisation Ciocia Wienia aus Wien unter die Arme. Die beiden Initiativen stehen im engen Austausch und versuchen so viele Menschen wie möglich in finanziellen Notlagen bei den Kosten für den Schwangerschaftsabbruch zu entlasten. Ciocia Wienia unterstützt außerdem vor allem polnische Frauen bei der Organisation eines Schwangerschaftsabbruchs in Wien.

Solidarität über Grenzen

Katrine (Name geändert) aus Polen wusste immer, dass eine Schwangerschaft für sie keine einfache Entscheidung wäre. In ihrer Familie gab es zwei Fälle von schwerer körperlicher und geistiger Behinderung – die Ursachen unbekannt. Die Angst, diese Geschichte könnte sich wiederholen, lastete schwer auf ihr.

Als sie im Jahr 2014 mit 38 Jahren erfuhr, dass sie schwanger war, überkam sie Panik. Sie suchte einen Arzt auf, hoffte auf Verständnis, auf eine gründliche pränatale Untersuchung. Doch stattdessen bekam sie Ablehnung: Der Arzt winkte ab, nahm ihre Sorgen nicht ernst. Er war auch grundsätzlich gegen Abbrüche. Und er ließ sie das auch spüren.

Verzweifelte Suche

Verzweifelt kehrte Katrine nach Hause zurück. „Ich schaltete das Internet ein, tippte etwas ein. Ich weiß nicht einmal mehr, was, um ehrlich zu sein. Dann tauchte die Website einer Klinik in Wien auf. Und eine Telefonnummer zum Anrufen. Ich rief an und eine Polin ging ran. Ich habe sofort viel Unterstützung und Verständnis bekommen.“

Wenige Tage später saß sie im Auto auf der achtstündigen Fahrt nach Wien. Die Reise war teuer – rund 500 Euro für den Eingriff, dazu Fahrtkosten, Hotel. Die Klinik war schlicht, sachlich. Kein Flüstern, kein verurteilender Blick. „Der Arzt war nicht sehr herzlich, aber er war sehr einfühlsam. Das ganze Personal in dieser Klinik war ganz normal, als wäre es eine normale Klinik, eine normale Behandlung, ein normales Verfahren, etwas, das passiert, und nicht irgendeine Art von Stigma oder etwas, wofür man sich schämen muss.“

Frage der Leistbarkeit

Katrine wusste, dass sie Glück gehabt hatte. Sie konnte sich den Eingriff leisten. Doch was, wenn nicht? „Wenn ich das Geld nicht hätte, würde ich es aus dem Untergrund ausgraben“, sagt sie. Ob sie die Schwangerschaft abgebrochen hätte, wenn ein Arzt ihr zugehört und ihre Bedenken Ernst genommen hätte, weiß sie bis heute nicht.

Die feministische Gruppe Ciocia Wienia hat seit ihrer Gründung im Herbst 2020 nach eigenen Angaben mindestens 330 Menschen in Wien zu einem Schwangerschaftsabbruch verholfen.

Die Initiative entstand aus einem großen Bedarf heraus. Unter der rechtsgerichteten PiS-Partei, die Polen von 2015 bis 2023 regierte, wurde der Schwangerschaftsabbruch fast vollständig verboten.  Bisher scheiterte die liberale Regierung von Donald Tusk an Reformen.

Strafen für Betroffene und Helfer:innen

Stand jetzt sind Abbrüche in Polen nur noch bei Vergewaltigung, Inzest oder Lebensgefahr der Frau erlaubt, nicht aber etwa bei Missbildungen des Fötus. Bestraft werden nicht die Frauen, sondern auch alle Helfer:innen. Selbst erlaubte Abbrüche werden den Frauen oft aus Angst vor Strafe verweigert.

Polen ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen mehr Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch ins Ausland reisen, als ihn im eigenen Gesundheitssystem vornehmen lassen. Offiziellen Zahlen zufolge gab es zwischen 2019 und 2023 landesweit 4.244 legale Abbrüche. Im selben Zeitraum dokumentierte Exporting Abortion mindestens 4.582 Schwangerschaftsabbrüche polnischer Frauen im Ausland – eine Zahl, die die Einschränkungen im eigenen Land deutlich macht.

Freiwillige Hilfe

„Die meisten Leute kontaktieren uns per E-Mail“, erzählt eine Aktivistin von Ciocia Wienia. Deshalb ist immer eines der Kollektivmitglieder als E-Mail-Beauftragte:r im Einsatz. „Wir haben Volontär:innen, die als Dolmetscher:innen agieren können“, berichtet sie weiter.  Nach einem Vorgespräch organisiert jemand aus dem Kollektiv einen Termin für den Schwangerschaftsabbruch in der Klinik und unterstützt die ankommende Person mit Informationen, beantwortet Fragen oder begleitet sie – wenn notwendig – zum Termin. Durch die Vernetzung kann das Ciocia Wienia auch je nach geografischer Lage der Schwangeren oder der Verfügbarkeit von Terminen an Schwesternorganisationen in Deutschland oder in Tschechien vermitteln.

„Manchmal melden sich auch Personen, zum Beispiel aus Ungarn oder Georgien“, erzählt die Aktivistin. Auch dann versucht das Kollektiv zu helfen. Geld bekommen die Volontär:innen für ihre Arbeit nicht. Mit den Spenden, die Ciocia Wienia sammelt, helfen sie in finanziellen Notlagen, einen Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen.

Häufig Abbruch in den Niederlanden

Je strenger die Gesetze eines Landes zum Schwangerschaftsabbruch sind, desto mehr Frauen überqueren dafür die Grenzen. Dies ist auch bei Frauen aus Andorra und Malta zu beobachten, die – wie Polinnen – mehr Schwangerschaftsabbrüche im Ausland vornehmen lassen als in ihrem eigenen Land.

Doch auch die gesetzliche Frist treibt die Frauen über die Landesgrenzen. Manche Österreicherinnen fallen selbst durch das Raster – etwa wenn die Schwangerschaft zu weit fortgeschritten ist und ein Abbruch gesetzlich nicht mehr erlaubt ist. Das Hauptziel ist in solchen Fällen Holland.

Hiobsbotschaft für Betroffene

„Wenn nach dem Ultraschall die Nachricht kam, wir können hier in Österreich keinen Abbruch mehr machen, das waren Momente, die wirklich krisenhaft waren. Es war auch für das ganze Personal schwer, das sagen zu müssen“, erzählt etwa Miriam Gertz, Psychologin, Familienplanungsberaterin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Sie hat in Wien als Beraterin für Schwangerschaftsabbruch und Verhütungsmedizin gearbeitet und dort auch ungewollt Schwangere beraten. Aktuell bietet sie in Wien systemische Psychotherapie und Beratung an.

„Da war dann Krisenintervention notwendig und wir konnten eben nur die Unterlagen für Kliniken in England oder Holland, wo Abbrüche bis zur 22. beziehungsweise bis 24. Woche möglich sind, weitergeben und den Kontakt vermitteln“, erzählt Gerz. Ob die Personen die Reise tatsächlich angetreten haben, weiß sie nicht. Aber es passiert: In einer anonymen Umfrage meldete sich eine Person bei uns, die als Begleitung bei einer solchen Reise dabei war.

„Gerade bei jüngeren Frauen kann es länger dauern, bis sie die Schwangerschaft entdecken, weil Verleugnung und Stigmatisierung stärker sind“, sagt Psychologin Gerz. „Deswegen finde ich diese Frist auch schwierig. Diejenigen, bei denen sich die Frage um die 14. Woche herum stellt, da gibt es in der Regel auch gute Gründe, warum es erst dann passiert.“

Ungleiche Gesetze und Lösungsansätze

Die aktuelle Gesetzgebung in Europa lässt die Länder in zwei große Gruppen einteilen. Einerseits jene, die Abbrüche weitgehend kriminalisieren, wie Andorra, der Vatikan, Polen, Malta, Liechtenstein und Monaco.

Andererseits gibt es Länder, die Schwangerschaftsabbrüche in der frühen Phase auf Wunsch erlauben – je nach Staat zwischen 10 und 24 Wochen. Danach sind Abbrüche meist nur bei schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken für die Frau oder den Fötus erlaubt.

Kampagne für europaweite Möglichkeiten

Eine Reise über nationale Grenzen für einen Schwangerschaftsabbruch ist umständlich, teuer und mitunter belastend. Doch eine Initiative aus Slowenien hat genau diese als auch einen Ausweg gesehen. Die Kampagne „My Voice My Choice“ fordert die EU auf, einen Finanzierungsmechanismus zu schaffen, um all jenen, die keinen Zugang haben, eine sichere Behandlung zu ermöglichen. „Wer genug Geld hat, kann für einen Schwangerschaftsabbruch reisen – für sie gibt es immer einen Weg. Doch es sind die marginalisierten Gruppen und jene, die es sich nicht leisten können, die am meisten leiden“, Veronika Povž, Kommunikationsleiterin von My Voice My Choice.

Indem Abbrüche als Teil der Gesundheitsversorgung betrachtet werden, kann ein Finanzierungsmechanismus geschaffen werden, der es EU-Bürgern ermöglicht, eine Behandlung in einem anderen Land zu erhalten, wenn es in ihrem Heimatland verweigert wird, erklärt sie. „Die EU kann Länder nicht zwingen, ihre Gesetze zu ändern, aber sie könnte ein Modell schaffen, das Frauen ermöglicht, für die beste Versorgung ins Ausland zu reisen“, so Povž. Die Initiative hat 1,2 Millionen Unterschriften von Menschen in über 20 Ländern – darunter Deutschland und Österreich – gesammelt und will den Vorschlag nun der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament vorlegen.

Stigma, Tabu und Widersprüche rund um Schwangerschaftsabbrüche

Während Menschen auf europäischer Ebene nach Lösungen suchen, bleibt die Realität vor Ort oft widersprüchlich. In Europa trifft oft eine professionelle und routinierte Versorgung auf starkes gesellschaftliches Stigma, politischen Gegenwind und massive Unterversorgung. Österreich ist eines der Länder, in denen beides besonders sichtbar wird: eine scheinbar liberale Regelung, die dennoch nur eingeschränkt zugänglich ist.

Das hat auch Auswirkungen auf die Psyche: „Das hab ich in Beratungen und in einer Studie sehr gemerkt, dass es viele Frauen sehr internalisiert haben dass sie für einen Abbruch irgendwie bestraft werden könnten – in Form von psychischen oder körperlichen Leiden“, berichtet Psychologin Miriam Gertz. „Man kann auch beobachten, dass wirklich alle, die einen Schwangerschaftsabbruch hatten, in irgendeiner Weise Stigma-Management betreiben müssen“, berichtet sie. Und: „In einem Umfeld in dem Schwangerschaftsabbruch an sich als etwas schlechtes gesehen wird, ist es auch sehr schwer differenzierter eigene Ambivalenzen, die bei jeder großen biografischen Entscheidung entstehen, zulassen zu können, darüber sprechen zu können. Das macht natürlich die Verarbeitung schwieriger.“

Geschichten wie die von Tana oder Katrina sind keine Einzelfälle, sondern Teil einer systematischen Lücke in der Gesundheitsversorgung. Ob in Österreich, der Slowakei oder anderswo: Für tausende Frauen ist der Weg zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch keine Selbstverständlichkeit, sondern eine oft mühsame und weite Reise.


Exporting Abortion ist eine länderübergreifende journalistische Recherche, die von Público (Spanien) in Zusammenarbeit mit europäischen Medien und Journalisten aus ganz Europa koordiniert wurde. Die Journalist:innen, die an dieser Untersuchung teilgenommen haben, sind, in alphabetischer Reihenfolge: Joana Ascensão (Portugal – Expresso), Kristina Böhmer (Slowakei), Magdalena Chrzczonowicz (Polen – OKO.press), Mayya Chernobylskaya (Deutschland), Nacho Calle (Spanien – Público), Maria Delaney (Irland – The Journal Investigates), Joanna Demarco (Malta), Armelle Desmaison (Frankreich), Emilia G. Morales (Spanien – Público), Bru Noya (Andorra), Apolena Rychlíková (Tschechische Republik), Órla Ryan (Irland – The Journal Investigates), Sergio Sangiao (Spanien – Público), Margot Smolenaars (Niederlande – Follow The Money).

Diese europaweite Recherche wurde mit Unterstützung von Journalismfund Europe durchgeführt. Dieser Bericht auf MOMENT.at fokussiert sich auf Österreich. Texte mit dem Fokus auf andere Länder erscheinen unter anderem in der taz (Deutschland), OKO (Polen), Follow the Money (Niederlande), The Journal (Irland), Público (Spanien), Altaveu (Andorra), Denník N (Slowakei), Amphora (Malta).

Text & Recherche: Mayya Chernobylskaya; Mitarbeit: Kristina Böhmer

Die Ergebnisse von Exporting Abortion basieren auf Statistiken über Schwangerschaftsabbrüche von Personen mit festem Wohnsitz in einem anderen Land als dem, in dem der Eingriff vorgenommen wurde. In einigen Fällen kann es jedoch sein, dass diese Personen z. B. aus beruflichen Gründen längere Zeit im Wohnsitzland gelebt haben, ohne ihren Wohnsitz offiziell zu verlegen. Eine zusätzliche Ungenauigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass die Tschechische Republik und die Schweiz die Daten nicht nach dem Wohnort, sondern nach der Staatsangehörigkeit erheben. Diese Zahlen wurden dennoch berücksichtigt, um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten.

Exporting Abortion hat die Situation des Schwangerschaftsabbruchs in 15 Ländern untersucht: Österreich, Deutschland, Andorra, Belgien, Frankreich, Irland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik und Vereinigtes Königreich


Dieser Beitrag wurde am 07.04.2025 auf moment.at veröffentlicht und unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: katyveldhorst / Pixabay

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