Parallelgesellschaften vor dem Altar
Thomas Schmidinger: „Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist“. Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich. Bei religiösem Extremismus sollte man auch die Mehrheitsreligion im Auge behalten. Drei Fragen an Thomas Schmidinger mit Blick nach Österreich. – Sonntag ist Büchertag
Von Johanna Bröse (kritisch-lesen.de)
Hallo Thomas, danke, dass du dir Zeit für ein kurzes Gespräch genommen hast. Wenn du zentrale Thesen deines Buchs herausstellen müsstest, welche wären es?
Zentral wäre, dass überhaupt einmal ein Augenmerk auf diese extremistischen Ränder des Katholizismus geworfen wird. Diese sind zwar klein, aber relativ erfolgreich, weil sie zwar von niedrigem Ausgangsniveau aber doch Zulauf erhalten, während die breite Mitte der katholischen Kirche immer stärker an gesellschaftlichem Boden verliert. Diese Gruppen denken in Jahrhunderten und hoffen, irgendwann die sturmreif gewordene Kirche dann selbst übernehmen zu können.
Welche Formen reaktionärer Einflussnahmen siehst du in Österreich, lassen sich hier auch Entwicklungen und Intensivierungen in den letzten Jahren ausmachen?
Innerhalb der Kirche geht es hier den meisten Gruppen vor allem darum, Parallelstrukturen aufzubauen und dafür zu sorgen, dass Kinder aus deren Familien nicht den Einflüssen der Gesellschaft ausgesetzt sind. Diese Gruppen bauen eigene Schulen und Internate auf und haben eigene Jugendorganisationen. Oder nutzen die Gelegenheit des in Österreich erlaubten häuslichen Unterrichts, um ihre Kinder von Evolutionstheorie und Sexualkundeunterricht fernzuhalten. Auf politischer Ebene haben diese Kreise versucht, mittels Vorzugsstimmenwahlkampf einzelne Kandidatinnen und Kandidaten im Rahmen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zu unterstützen, wobei da eher Leute aus einem breiteren konservativen Spektrum erfolgreicher waren als klassische katholische Traditionalisten. Diese neigen für erfolgreiche politische Arbeit doch zu sehr zur Sektenbildung.
Für wen bedeuten die Anstrengungen, eine (ja nie wirklich verschwundene) Einheit von Religion und Staat zu stärken, real die größten Gefahren?
Diese Gruppen sind noch zu klein, um ein politisches Problem für die Demokratie darzustellen. Für Kinder und Jugendliche, die in solchen Familien heranwachsen, ist es aber extrem schwer, sich von diesem Milieu zu lösen und ein eigenständiges Leben zu führen. Politisch problematischer wird es dort, wo neue Bündnisse mit der extremen Rechten geknüpft werden. In Frankreich ist das schon länger der Fall. In Österreich, wo die extreme Rechte traditionell antiklerikal war, ist es etwas Neues, dass sich nun etwa auch bekannte Aktivisten der rechtsextremen Identitären bei den Piusbrüdern taufen lassen. Die Frage des Umgangs damit stellt sich einerseits für den Staat – aber der wird derzeit in Österreich ja ohnehin von den Rechtsextremen übernommen –, andererseits aber auch für die Kirche, die sich zu diesen Randerscheinungen positionieren muss. Einige dieser Gruppen, wie die Petrusbruderschaft, agieren ja im Rahmen von normalen Pfarren verschiedener Diözesen und sind damit auch im pfarrlichen Alltag verankert.
Blick ins Buch
„Allen christlich-extremistischen Strömungen, also Gruppierungen aus dem katholischen, evangelischen und orthodoxen Bereich, ist eine extrem rigide Sexualmoral gemein sowie eine stark ausgeprägte Angstpädagogik zur Erziehung der nächsten Generation. Feminismus, sexuelle Freiheiten oder Homosexualität, politischer Liberalismus und Sozialismus werden strikt abgelehnt und konfessionsübergreifend als Feindbilder ausgemacht“ (S. 13).
Thomas Schmidingers Buch „Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist“ bietet eine kenntnisreiche – und im Übrigen auch sehr kurzweilig geschriebene – Analyse des katholischen Traditionalismus und Fundamentalismus in Österreich sowie darüber hinaus. Der Autor beleuchtet die historischen und ideologischen Wurzeln dieser Bewegungen und unterfüttert diese mit Interviews aus einer aktuellen Feldforschung. Er zeigt, wie verschiedene Gruppierungen – von der Piusbruderschaft bis zu kleineren, extremistischen Gemeinschaften – politische und/oder gesellschaftliche Einflussnahme anstreben, etwa durch die Schaffung von autoritären Parallelstrukturen im Bildungsbereich oder durch Bündnisse mit der extremen Rechten. Schmidinger stellt neben dem Kulturkampf und dem Antimodernismus insbesondere den Antisemitismus heraus, der tief in der Ideologie des katholischen Traditionalismus verankert ist. Er beschreibt, wie alte antisemitische Narrative – etwa in der Karfreitagsfürbitte für den „perfidis Judaeis“ (den „treulosen Juden“) – weiterhin in traditionalistischen Kreisen und darüber hinaus verbreitet sind. Ebenso thematisiert er den antimuslimischen Rassismus, der den Islam als „Erzfeind“ des Christentums stilisiert und Verschwörungstheorien mit politischer Hetze gegen muslimische Menschen verbindet. Auch diese Haltung ist nicht nur in katholischen, sondern auch in orthodoxen und evangelikalen Strömungen zu finden, oft eng verwoben mit nationalistischen Ideologien. Schmidinger zeigt eindrücklich, wie diese Gruppen versuchen, Parallelstrukturen aufzubauen, etwa durch eigene Schulen und Bildungsnetzwerke, um Kinder vor der „säkularen Gesellschaft“ zu schützen. Besonders im Blick zu behalten sind die enge Verbindung mit der extremen Rechten, wie etwa die Taufe rechtsextremer Identitärer bei den Piusbrüdern, sowie politische Netzwerke, die bis in konservative Parteien wie die Österreichische Volkspartei (ÖVP) reichen.
Thomas Schmidinger: „Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist“. Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich, Mandelbaum Verlag, Wien. ISBN: 978399136-025-4, 208 Seiten, 20,00 Euro
Dieser Beitrag wurde am 21.01.2025 auf kritisch-lesen.de, Kooperationspartner von Unsere Zeitung, unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer_innen eine Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen zu nicht kommerziellen Zwecken.
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