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Der Kampf um Grönland

Die größte Insel der Welt war schon vor hundert Jahren heiß umstritten. Damals streckte Norwegen seine Hand nach dem grünen Land aus – und ließ den Drohungen sogar Taten folgen.

Von Andreas Pittler

I.

Grönland zählt, wie schon der Name andeutet, zu jenen Gebieten, die im Mittelalter von den Wikingern „entdeckt“ und anschließend besiedelt wurden. Erik der Rote (Eirik Raude) war 985 aus Island verbannt worden, weil er dort im Streit jemanden erschlagen hatte. Da er nicht nach Norwegen, seiner ursprünglichen Heimat, zurück konnte, da er auch dort wegen eines Mordes ausgewiesen worden war, segelte er mit wenigen Getreuen Richtung Westen und landete schließlich auf der größten Insel der Welt, wo er eine Siedlung errichtete. Als die Verbannungszeit vorbei war, kehrte er nach Island zurück und warb dort Siedler für seine neue Heimat an, ein Unterfangen, das nicht sonderlich schwer war, da „Island“ (Eisland) seinen Namen durchaus zurecht trug, weshalb sich viele der dort Wohnenden nach einem „grünen Land“ sehnten.

Und Erik hatte nicht einmal sonderlich übertrieben. Um die Wende zum zweiten Jahrtausend war das Klima noch wesentlich milder als heutzutage, sodass Landwirtschaft auf Grönland kein Ding der Unmöglichkeit war. Es entwickelten sich mehrere Dörfer, deren Bewohner auch die weitere Umgebung erkundeten. Eriks Sohn Leif etwa erreichte um das Jahr 1000 den amerikanischen Kontinent und errichtete mit „Leifsbudir“ (etwa „Leifs Hütten“) die erste europäische Siedlung in Nordamerika. Die Entdeckungsreisen überzeugten die Wikinger jedoch auch davon, dass sie in der „neuen Welt“ nicht alleine waren. In Kanada trafen sie auf „Indianer“, im Norden Grönlands auf „Eskimos“. Mit beiden Volksgruppen wurden sie nicht wirklich warm – und umgekehrt. In guten Zeiten beschränkte man sich auf Güteraustausch, in schlechten Zeiten griff man zu den Waffen.

Dass die Wikinger auf Grönland lebten, war damals übrigens beileibe kein Geheimnis. Sie trieben mit Europa regen Handel, das begierig Grönlands Hauptexportartikel bezog: Tran und Elfenbein, das die Wikinger als Nebenprodukt ihrer Jagden auf Wale und Walrösser gewannen. Der Schiffsverkehr mit Island und Norwegen verlief so regelmäßig, dass man von einer regulären Handelsroute sprechen konnte. Die Europäer waren erpicht auf grönländische Waren, dort leben wollte allerdings kaum wer.

Weshalb die grönländische Bevölkerung ab etwa 1200 zunehmend in die Krise kam. Hatten zu Hochzeiten bis zu 3.000 Menschen auf der Insel gelebt, so trug ausbleibender Zuzug und eine ab diesem Zeitpunkt immer mehr spürbare Klimaveränderung dazu bei, dass das Leben auf Grönland an Perspektive verlor. Die Wikinger, ehedem stolz auf ihre „Unabhängigkeit“, erkannten, dass sie Hilfe brauchten, wenn sie auf Grönland überleben wollten. Schon seit längerem waren sie nicht mehr in der Lage, Reisen nach „Vinland“ (das heutige Grenzgebiet zwischen Kanada und den USA) auszustatten, die bislang ihren Bedarf an (Bau)Holz und anderen Gütern, die in Grönland nicht produziert werden konnten, gedeckt hatten, auch rückten ihnen die „Eskimos“ ab etwa 1150 durch das harscher werdende Klima immer näher.

Unter den „Inuit“ (wie sich die Eskimos selbst nennen) war es nämlich zwischenzeitlich zu einem grundlegenden Wandel gekommen. Aus Alaska waren neue Stämme in Grönland zugewandert, die man ethnologisch der Thule-Kultur zuordnet. Sie verdrängten mit kriegerischen Mitteln die alteingesessenen Ureinwohner, die der eher friedlichen Dorset-Kultur angehört hatten. Und war es den Wikingern gelungen, mit den Dorset-Inuit mehr oder weniger harmonisch zu koexistieren, schickten sich die Thule-Inuit an, auch die Nordmänner aus ihrem neu erkämpften Territorium zu vertreiben.

Die waren mittlerweile auf wenige hundert Personen zusammengeschrumpft und suchten Hilfe in ihrer alten Heimat. Sie schrieben dem norwegischen König Hakon IV. 1261 eine Ergebenheitsadresse und unterwarfen sich seiner Herrschaft. Das unabhängige Grönland war eine norwegische Kolonie geworden.

II.

Das freilich rettete die Wikinger auch nicht mehr. Es wurde für sie immer schwieriger, sich selbst zu erhalten, wobei nicht nur das eisige Klima, sondern auch die immer öfter praktizierte Inzucht (mangels Alternative) dazu beitrugen, dass die Wikingersiedlungen im Wortsinne degenerierten. Schon um 1400 musste die „Westsiedlung“ mit ihrer vorteilhaften Nähe zu Nordamerika aufgegeben werden, einige Jahrzehnte später starben auch in der „Ostsiedlung“, die weitaus näher an Norwegen denn an Amerika lag, die letzten Wikinger aus, just zu der Zeit, da weiter südlich, die ersten Europäer an Land gingen, die von sich behaupteten, Amerika entdeckt zu haben. Norwegen besaß eine Kolonie, in der um 1500 niemand mehr lebte.

Wobei, technisch gesehen stimmte das nicht mehr. In Norwegen war das Herrschergeschlecht 1319 mit Hakon V. im sogenannten Mannesstamm ausgestorben. Hakons Tochter war mit dem König von Schweden verheiratet worden, der nun, den mittelalterlichen Gesetzen folgend, auch den Thron von Norwegen übernahm. Dessen Sohn Hakon VI. starb vor der Zeit, sodass seine Ehefrau Margarethe für den minderjährigen Sprößling die Regierung übernahm. Als dieser jedoch bereits im Alter von 17 Jahren das Zeitliche segnete, wurde Norwegen zum begehrten Objekt für die anderen nordischen Staaten. In dem Ringen um das verwaiste Königreich setzte sich 1450, just um die Zeit, als auf Grönland die letzten Wikinger dahinsiechten, Dänemark durch, das eine Personalunion mit Norwegen einging, die bis 1814 Bestand haben sollte. Und mit der Herrschaft über Norwegen erwarben die Dänen auch jene über Island und Grönland, die nach wie vor als norwegische Kolonien galten.

Das freilich beeindruckte die Dänen vorerst nicht weiter. Erst das (wieder) steigende Interesse an Wal-Produkten rief den Dänen in Erinnerung, dass sie hoch im Norden Land besaßen, von dem aus der Walfang eine leichte Übung war. In der für das mittlerweile etablierte kapitalistische System üblichen Bigotterie wurde das ökonomische Profitstreben religiös verbrämt. Den Dänen fiel nämlich ein, dass sie von den Wikingern seit hunderten von Jahren nichts mehr gehört hatten, weshalb, so ihre Überlegung, die wahrscheinlich noch immer böse Katholiken waren, weil die Reformation buchstäblich an ihnen vorbeigegangen sein musste. Also fuhr prompt ein protestantischer Prediger mit den Walfängern aus, die Grönländer zum wahren Glauben zu bekehren. Allein, er fand nur noch Ruinen vor.

Ruinen allerdings, die zur Basis für eine Wiederansiedlung der Europäer werden sollten. Aus kleinen Stützpunkten für den Walfang entwickelten sich wieder Siedlungen, und in Napoleonischen Tagen wohnten bereits wieder 6.000 Menschen auf Grönland, die nun zum politischen Spielball wurden. Die Dänen hatten nämlich im Gegensatz zu anderen Nationen die entscheidende Zeitspanne zu lange dem Franzosenkaiser die Treue gehalten, weshalb sie vom Wiener Kongress als Verlierer behandelt wurden. Norwegen wurde Schweden zugeschlagen. Doch weil man die Dänen nicht völlig erniedrigen wollte, fand man in einem eigenen „Kieler Vertrag“ 1814 eine Kompromiss-Lösung: die norwegischen Kolonien Island und Grönland blieben bei Dänemark.

III.

Und da die Dänen Norwegen für immer verloren hatten, kümmerten sie sich umso mehr um die verbliebenen Kolonien. In Grönland wuchsen die Stützpunkte zu netten kleinen Städtchen an, die dänische Namen wie „Julianahab“ oder „Godhab“ (Julianes Hafen und Guter Hafen) trugen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten schon wieder an die 15.000 Menschen auf Grönland, die nach wie vor vom Wal- und Robbenfang lebten.

1905 gelang es den Norwegern, nach viereinhalb Jahrhunderten wieder unabhängig zu werden. Sie wählten den jüngeren Bruder des dänischen Königs zu ihrem König, der brav den Namen Hakon VII. annahm, womit er eine Art norwegischer Kontinuität signalisieren wollte. Und Hakon VII. warf bald ein Thema auf, das für hundert Jahre keines gewesen zu sein schien. Nun, da Norwegen wieder ein eigener Staat sei, verkündete er, müsse es auch wieder seine Kolonien zurückbekommen, die ja von Alters her zum Königreich gehört hatten. Er legte sich mit seinem Bruder in Kopenhagen an und forderte von diesem nicht weniger als die Rückgabe Grönlands.

Natürlich ging es dabei wieder um handfeste wirtschaftliche Interessen. Die Norweger wollten auch vom Walfang profitieren und sich überdies Zugriff auf die unter Grönlands Eis vermuteten Bodenschätze sichern. Zwar boten die Dänen den Norwegern an, ihnen gleiche Rechte in Fragen der Fischerei zuzugestehen, doch die Oberhoheit sollte bei Dänemark bleiben. Eine Ansicht, der sich die Norweger nicht beugen wollten.

Der Streit, einige Jahre ausschließlich verbal ausgetragen, schien diplomatisch nicht lösbar, und so ließ Hakon den Worten Taten folgen. Am 27. Juni 1931 landete eine Handvoll Norweger an der Ostküste Grönlands, benannte den Landstrich vollmundig „Eirik Raudes Land“ und nahm es für Norwegen in Besitz. Hakon nahm den Bericht seiner Männer huldvoll entgegen und ernannte den Archäologen Helge Ingstad, der 1961 in L´Anse aux Meadows auf Neufundland die Überreiste von Leifsbudir und damit von Vinland entdecken sollte, zum ersten norwegischen Gouverneur von Grönland.

Der freilich war mehr an Geschichte als an Politik interessiert und beschränkte sich während seiner „Amtszeit“ darauf, mit seinem Schiff „Polarbjörn“ (Eisbär) Grönland weitläufig zu erkunden, was viele neue Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Insel und ihre Geschichte brachte. Für die Dänen wäre es mutmaßlich ein Leichtes gewesen, die Norweger einfach mit kriegerischen Mitteln zu vertreiben, denn ihr Stützpunkt wies zu keiner Zeit mehr als ein paar Dutzend Bewohner auf, doch Dänemark beschloss, die „Grönlandsache“ vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Der gab nach langen Beratungen 1933 Dänemark recht. Es sei, so die Richter, erwiesen, dass die norwegische Kolonisierung der Insel schon vor einem halben Jahrtausend zu einem Ende gekommen sei, weshalb Norwegen seine Rechte auf Grönland verwirkt habe. In der Tat war die mittlerweile auf über 20.000 Menschen angewachsene Bevölkerung Grönlands fast ausschließlich dänischer Abkunft, wobei, dem Geist der damaligen Zeit folgend, die Inuit gar nicht erst gefragt wurden, ob sie vielleicht lieber Kanadier als Dänen oder Norweger sein wollten. Norwegen nahm den Schiedsspruch zähneknirschend an und zog sich im April 1933 aus Grönland zurück.

IV.

Ganz gaben einzelne Norweger den Anspruch auf Grönland freilich nicht auf. Vidkun Quisling, dessen Name sprichwörtlich für die Kollaboration mit den Nazis wurde, unternahm 1941 als NS-Statthalter in Norwegen einen letzten Versuch, Eirik Raudes Land für Norwegen zurückzugewinnen. Auch bemühte er sich darum, von Hitler die Zusicherung zu bekommen, dass Grönland nach einem deutschen Sieg wieder unter norwegische Oberhoheit kommen sollte. Die Nazis freilich waren an der Eiswüste nicht interessiert, zumal die USA prompt reagiert und Grönland nach der Eroberung Dänemarks durch die Nazis vorsorglich besetzt hatten.

Aus dieser Zeit resultierten die militärischen Stützpunkte der USA bis zum heutigen Tag, unter denen die „Thule Air Base“ herausragt, die, der gegenwärtigen Bigotterie Rechnung tragend, 2023 in „Pittufik Air Base“ umbenannt wurde, um solcherart die imperialistischen Aktivitäten der USA in Grönland politically correct zu camouflieren. Von diesem Stützpunkt aus horchten die Amis bis 1991 die Sowjets und danach die Russen aus, wobei die Yankees nicht davor zurückschreckten, die dort siedelnden Inuit mit Gewalt zu vertreiben. Deren Aussiedlung wurde ebenfalls gerichtsanhängig, und 1999 – fast ein halbes Jahrhundert nach dem Verbrechen – bekamen die Inuit ihr Recht. Ihnen wurden Entschädigungszahlungen zugesprochen, die allerdings Dänemark zahlen musste, weil sich die USA wieder einmal weigerten, sich einem internationalen Urteil zu beugen.

Und war das amerikanische Interesse an Grönland lange Jahre primär strategischer Natur, so erwecken nun auch die auf grönländischem Gebiet vermuteten Bodenschätze das wirtschaftliche Begehren der USA. Einerseits ist Grönland reich an Gold, Platin, Kupfer, Zink, Nickel, Molybdän und Eisen, andererseits aber, und an dieser Stelle wurden Trumps Unterstützer hellhörig, befinden sich bedeutende Mengen von Uran und Seltenen Erden auf Grönland. Diese Vorkommen sind so groß, dass erwartet wird, dass sie die Dominanz Chinas auf dem Weltmarkt brechen könnten.

V.

Und genau da haken nun die Befürworter einer grönländischen Unabhängigkeit ein. Würden diese Bodenschätze wirtschaftlich genutzt, so wäre Grönland auch allein lebensfähig. Zwar legte sich die linkssozialistische Regierung unter Kuupik Kleist (2009-2013 Regierungschef Grönlands) aus Gründen des Umweltschutzes quer, doch die ihm 2013 folgende sozialdemokratische Regierung beschloss den kommerziellen Abbau der radioaktiven Stoffe, was das bereits erwähnte Interesse der USA zusätzlich befeuert. Zu befürchten steht freilich, dass die dafür zu schaffenden Minen Grönlands Grundwässer radioaktiv verseuchen und Grönlands einzig landwirtschaftlich nutzbare Gebiete unbrauchbar machen würden.

Grönlands Bevölkerung scheint dies ebenfalls so zu sehen, weshalb die Sozialdemokraten bei den jüngsten Wahlen abgewählt wurden. Die seit 2021 amtierende Linksregierung unter Mute B. Egede hat versprochen, alle Projekte in Richtung ökonomischer Ausbeutung besagter Bodenschätze zu stoppen und damit wohl den erkennbaren Unmut der USA erweckt. Wie immer in der westlichen Welt geht es um handfeste wirtschaftliche Interessen und damit aber auch um die ökologische Zukunft der größten Insel der Welt.


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Titelbild: Visit Greenland / Unsplash

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