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Arbeitsplatzgarantie statt Langzeitarbeitslosigkeit

Im niederösterreichischen Marienthal wurde die international diskutierte Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose erfolgreich in die Praxis umgesetzt.

Von Hannah Quinz  / Marie Jahoda – Otto Bauer Institut

Langzeitarbeitslosigkeit bleibt ein anhaltendes Problem im österreichischen Arbeitsmarkt. Im September 2024 waren über 80.000 Menschen seit einem Jahr und länger auf Arbeitssuche. Das ist ein gutes Drittel aller Menschen, die arbeitslos gemeldet sind. Vulnerable Personen, wie ältere Menschen und Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen sind besonders betroffen. Das hat sowohl individuell als auch gesellschaftlich schwerwiegende negative Konsequenzen. Als neuer Lösungsansatz wird aktuell international eine Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose diskutiert. Dabei soll der Staat neue Arbeitsplätze mit gesellschaftlich nützlicher Arbeit für jene schaffen, die im allgemeinen Arbeitsmarkt keine Beschäftigung finden. Im niederösterreichischen Marienthal wurde ein solches Pilotprojekt dreieinhalb Jahre lang mit vielfältigen positiven Veränderungen erfolgreich in die Praxis umgesetzt.

 

Hohe Langzeitarbeitslosigkeit mit allen negativen Konsequenzen

Erwerbsarbeit hat für Menschen eine hohe Bedeutung, da sie wichtige materielle und soziale Funktionen erfüllt. Um den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, erhalten Menschen ein Einkommen durch Lohnarbeit. Wer keinen Arbeitsplatz hat, verliert aber nicht nur das Einkommen, sondern auch bestehende Tagesstrukturen und die Möglichkeit, über Erwerbsarbeit zu einem kollektiven Ziel beizutragen und dabei eigene Kompetenzen einzusetzen. Menschen verlieren auch soziale Kontakte und Anerkennung, die ein positives Selbstwertgefühl ermöglicht. Erwerbsarbeit ist für Menschen im erwerbsfähigen Alter zudem eine wesentliche Voraussetzung für soziale Teilhabe. Erwerbsarbeitslose Menschen werden gesellschaftlich oft ausgeschlossen und abgewertet. Daher wirkt sich insbesondere längere Erwerbsarbeitslosigkeit auf vielfältige Weise negativ für Betroffene aus. Sie verschlechtert Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden und den Gesundheitszustand. Und, je länger Menschen auf Arbeitsuche sind, umso häufiger und stärker sind sie auch von Armut betroffen.

Arbeitsplatzgarantie als Lösungsvorschlag

Aufgrund der hohen Langzeitarbeitslosigkeit, die auch in anderen europäischen Ländern ein Problem darstellt, wird in jüngster Zeit eine Arbeitsplatzgarantie als möglicher Lösungsansatz diskutiert. Der Staat soll dabei als Arbeitgeber in letzter Instanz („employer of the last resort“) neue Arbeitsplätze schaffen und so das Recht auf Arbeit garantieren. Die Idee ist, dass der Staat in der Verantwortung ist, allen Menschen Zugang zu einem Arbeitsplatz zu ermöglichen und so Vollbeschäftigung zu erreichen. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze sollen öffentlichen Bedarf an Arbeit decken, also für die Allgemeinheit nützlich sein und langzeitarbeitslosen Personen einen Zugang zu Erwerbsarbeit und deren wichtigen Funktionen ermöglichen.

Arbeitsplatzgarantie in Marienthal

Ausgehend von der Idee einer Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose setzte das Arbeitsmarktservice Niederösterreich von Oktober 2020 bis April 2024 im Ort Gramatneusiedl das Projekt MAGMA (Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal) um. Gramatneusiedl liegt im Bezirk Bruck an der Leitha, südlich von Wien, und enthält den Ortsteil Marienthal, in dem einst die international bekannte „Marienthal-Studie“ durchgeführt wurde. Für dreieinhalb Jahre erhielten alle Menschen mit Hauptwohnsitz in Gramatneusiedl, die länger als ein Jahr arbeitslos gemeldet waren, einen staatlich finanzierten und garantierten Arbeitsplatz.
Die Arbeit der Teilnehmer:innen orientierte sich dabei vor allem am lokalen Bedarf und wurde von der Gemeinde in Auftrag gegeben, die Arbeitsbedingungen wurden an die arbeitenden Personen angepasst (beispielsweise durch kürzere Arbeitszeiten oder mehrere Pausenmöglichkeiten). Die meisten Teilnehmer:innen arbeiteten in einem gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt wo sie, unterwiesen von Arbeitsanleiter:innen, in der Renovierung, der Holzwerkstatt, der Kreativ-/Textilwerkstatt oder der Grünraumpflege tätig waren und zwischen diesen Tätigkeiten nach Belieben wechseln konnten. Einzelne Projektteilnehmer: innen hatten darüber hinaus eigene Ideen und konnten diese umsetzen (z.B. die Topothek Marienthal, eine Plattform zur Archivierung von historischem Material).

Positive Veränderungen durch die Arbeitsplatzgarantie

Das Pilotprojekt wurde in zwei parallel laufenden Evaluierungsstudien von der Universität Oxford und von der Universität Wien, wissenschaftlich begleitet. Beide Begleitstudien zeigen vielfache positive Auswirkungen der Arbeitsplatzgarantie auf die vormals langzeitarbeitslosen Personen. Die Integration in Erwerbsarbeit förderte nicht nur die psychische Gesundheit der Teilnehmenden, sondern unterstützte auch die Überwindung von Einkommensarmut und materieller Deprivation, da sie kollektivvertraglich entlohnt wurden. Die finanzielle Verbesserung, zusammen mit sozialpädagogischer Unterstützung, geregelten Tagesabläufen und neuen sozialen Kontakten, trug zu einer Stabilisierung der Lebensführung bei. Bei der Arbeitstätigkeit selbst konnten die Teilnehmenden ihre Fähigkeiten und Kompetenzen einsetzen, Erfolgserlebnisse erleben und neue Perspektiven entwickeln, was ihr Selbstvertrauen stärkte und ihnen neue berufliche und private Zukunftsaussichten eröffnete.
Besonders hervorzuheben ist darüber hinaus der Aspekt der Selbstwirksamkeit: Viele der Teilnehmenden berichteten, dass sie durch die Arbeit das Gefühl hatten, wieder Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen und Herausforderungen selbstständig bewältigen zu können. Die tägliche Arbeit führte auch zu einer Zunahme sozialer Kontakte und trug zur Verbesserung des Selbstwertgefühls bei. Teilnehmende fühlten sich wertgeschätzt, sowohl durch ihre Arbeit selbst als auch durch die zunehmende positive Resonanz der Gemeinschaft. Auch das Sicherheitsgefühl nahm zu, da die Sorge um die eigene Existenz verringert wurde.

Lehren aus dem Modellprojekt

Das Modellprojekt in Marienthal zeigte, dass eine Arbeitsplatzgarantie in Österreich erfolgreich umsetzbar ist. Die Arbeitsplatzgarantie bietet eine Möglichkeit, Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen und den Betroffenen sinnvolle Tätigkeiten und soziale Teilhabe zu ermöglichen sowie Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden der Teilnehmenden zu verbessern. Auch für die Gesellschaft als Ganzes bringt eine Arbeitsplatzgarantie Vorteile, da sie nicht nur zur Verringerung von Arbeitslosigkeit und Armut beiträgt, sondern auch den sozialen Zusammenhalt stärkt.
Voraussetzung für das Gelingen der Arbeitsplatzgarantie ist, dass die Teilnahme freiwillig bleibt und die Teilnehmer:innen gut auf den Übergang vorbereitet werden. Auch die Anpassung der Arbeitsplätze an die individuellen Bedürfnisse, wie gesundheitliche Einschränkungen oder Betreuungspflichten, ist von zentraler Bedeutung. Wichtig ist außerdem, dass die Tätigkeiten als sinnvoll und nützlich wahrgenommen werden – sowohl von den Beschäftigten selbst als auch von der Gemeinschaft. Dafür ist es notwendig, unterschiedliche Tätigkeiten anbieten zu können, die den verschiedenen Ansprüchen der Beschäftigten entsprechen. Denn die Teilnehmer:innen weisen eine große Heterogenität in ihren Lebenssituationen, ihren Qualifikationen und ihrer Arbeitserfahrung auf und möchten als Arbeitende ernst genommen werden. Eine angemessene Entlohnung, auch bei Teilzeitarbeit, sollte gewährleistet sein, um die Beschäftigten vor Armut zu schützen. Da in etwa ein Drittel der Teilnehmer:innen bis zuletzt im gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt angestellt blieb, muss die Arbeitsplatzgarantie unbefristet angeboten werden, um dauerhaft wirksam zu sein.
Die Arbeitsplatzgarantie eröffnet jenen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, den Zugang zu sinnvollen und gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten. Individuelle Begleitung und Betreuung ermöglichen es, gezielt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden einzugehen. Für einige erleichtert dies den Einstieg in eine ungeförderte Beschäftigung, während für andere die Jobgarantie eine wichtige Grundlage für den Zugang zu Arbeit und sozialer Teilhabe bleibt. Die positiven Effekte – sowohl für die Teilnehmenden als auch für die Gesellschaft – verstärken sich besonders bei einer längeren Laufzeit des Projekts. Die Ergebnisse sprechen dafür, eine dauerhafte Arbeitsplatzgarantie für Menschen in Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit landesweit auszurollen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass die Arbeitsplatzgarantie in ein umfassenderes sozialstaatliches System eingebettet ist, das weitere Unterstützungsleistungen und arbeitsmarktpolitische Angebote umfasst.

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Dieser Beitrag erschien am 19.11.2024 auf Marie Jahoda – Otto Bauer Institut unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY Attibution 4.0 International veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Gerd Altmann / Pixabay

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