Sonntag ist Büchertag: Wenn eine Plastiktüte auf Reisen geht
Eleni Migliavacca legt mit „Die silberne Plastiktüte“ ein Kinderbuch vor, das die Verantwortung gegenüber der Umwelt veranschaulicht, denn es bestünde Handlungsbedarf, nicht nur bei den Kindern. – Sonntag ist Büchertag
Urs Heinz Aerni stellte ihr dazu Fragen
Urs Heinz Aerni: Frau Migliavacca, Sie unterrichten in der Grundschule, sind leidenschaftliche Tänzerin, schreiben und zeichnen und nun liegt Ihr erstes Kinderbuch vor, das sich mit einer Plastiktüte – genauer, mit deren Reise befasst. Ein Buch, das zeigt, was mit unserem Müll geschehen kann. Was war der Anlass für dieses Buch?
Eleni Migliavacca: Während der Pausenaufsicht sehe ich auf dem Schulhausplatz immer mehr Kinder, die ihre Pausenbrot-Abfälle nicht richtig entsorgen. Manchmal sind ihre Hände einfach zu klein, dann fallen Mandarinenschalen, Farmerverpackungen oder eben Plastiktüten schnell mal auf den Boden. Aber es gibt auch viele Kinder, die den Müll ganz bewusst auf den Boden schmeißen, weil ihnen der Weg zum Abfalleimer zu weit ist und sie es bei Erwachsenen nicht anders sehen oder nicht besser gelernt haben.
Aerni: Ein Umstand, der zu einem Kinderbuch führt…
Migliavacca: Richtig. Deshalb wollte ich die Kinder dafür sensibilisieren und ihnen vor Augen führen, was passiert, wenn sie ihren Abfall eben nicht richtig entsorgen. Sie sollen lernen, Verantwortung für ihr Handeln in einem kleinen, aber dennoch alltäglichen Setting zu übernehmen. Durch Bilder sind Situationen für Kinder oft greifbarer, daher habe ich das Buch geschrieben.
Aerni: Sie zeigen eigentlich mit dem Kinderbuch die verheerende Wirkung von Abfall auf. Wie erleben Sie als Lehrerin die Sensibilität der Kinder und ihrer Eltern in Sachen Umwelt?
Migliavacca: Sehr unterschiedlich. Gewisse Kinder wissen ganz genau, was passiert, wenn man den Müll nicht richtig entsorgt, wissen teilweise bereits, was Recycling bedeutet oder was man wie trennen soll. Andere wissen nur, dass man nichts auf den Boden werfen soll, ohne eine Begründung dafür zu kennen und wieder andere werfen Dinge bewusst auf den Boden. Ich denke, so ist es auch bei den Eltern.
Aerni: Also Handlungsbedarf?
Migliavacca: Die Schere geht stark auseinander, was die Themen Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit angeht. Ich hatte mal ein Kind in der Klasse, das einen Kaugummi vor mir auf den Boden geworfen hat. Als ich es darauf aufmerksam machte, dass wir das nicht so machen, entschuldigte sie sich und meinte, dass sie dies von ihrem Papa gelernt hätte, dieser hätte gesagt, sie dürfe das und werfe die Kaugummis auch selbst immer auf den Boden. Es gibt aber auch sehr viele Eltern, die auf Nachhaltigkeit großen Wert legen und ihre Kinder diesbezüglich auch aufklären.
Aerni: Das Buch haben Sie geschrieben und gestaltet. Wie dürfen wir uns die Arbeit daran vorstellen?
Migliavacca: Puh, das ist schwierig zu sagen. Einerseits war es sehr schön, denn ich konnte den Text so illustrieren, wie ich es mir auch vorgestellt habe. Andererseits war es echt eine Menge Arbeit. Für das Verfassen des Textes habe ich gar nicht mal so lange gebraucht. Ich musste mir überlegen, wie die Plastiktüte von Zürich im Meer landen könnte, ohne dass es dabei repetitiv wird und man nur immer Windböen für die Fortbewegung verantwortlich macht. Da musste ich kreativ sein. Zum Beispiel habe ich die Plastiktüte extra silbern gemacht, damit die Elster diese auch attraktiv findet und mitnimmt.
Aerni: Die Geschichtsentwicklung ist das eine, wie ging die Kombination zwischen Text und Bildern?
Magliavacca: Das Schreiben fiel mir nicht besonders schwer. Aber das Gestalten der Bilder, das ging lang. Ich wollte viele Details einbauen, Sachen, welche die Kinder auf den einzelnen Buchseiten suchen können. Mir war es wichtig, dass die Illustrationen einen Bezug zur Realität haben. Aber Zeichnen und Malen waren schon immer meine Leidenschaft. Es gab Freitagabende, da begann ich nach dem Tanzunterricht also kurz vor Mitternacht zu illustrieren und ging bei Sonnenaufgang ins Bett. Illustrieren hat auch eine sehr meditative und beruhigende Seite.
Aerni: Erfüllen Schulen ihre Vorbildfunktion im Bereich Naturschutz oder gäbe es noch Handlungsbedarf?
Migliavacca: Der Lehrplan 21 hat im Fach Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) einen Bereich, den sie «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» nennen. Da werden Schülerinnen und Schüler in Bereichen wie Recycling, Umweltverschmutzung, Konsum, Werte und vielen anderen Aspekten der Nachhaltigkeit geschult.
Aerni: Wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Migliavacca: Im Unterricht sind die Lehrpersonen immer einem gewissen Zeitdruck ausgesetzt, Schulreisen, Zahnprophylaxen, Adventsingen, Kulturtage, Projektwochen und all dies ist nicht im Jahresprogramm der Fächer Mathe, Deutsch, NMG etc. eingeplant. Daher muss man manchmal an gewissen Orten einsparen, um für andere Sachen Zeit zu haben. Gerade in der Unterstufe, wo nur Mathe und Deutsch benotet werden, werden halt oft zuerst Unterrichtssequenzen zu nachhaltigen Themen und erzieherischen Aspekten weggelassen, damit genügend Zeit für die Aufgaben der Pflichtlehrmittel übrigbleiben. Mehr wäre natürlich immer besser, aber die Zeit fehlt.
Aerni: Sie planen diesbezüglich weitere Publikationen, auch als Lehrmittel. Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass kommende Generationen umweltbewusster sein werden?
Migliavacca: Genau, ich habe im Herbst eine Ausbildung zur Lehrmittelautorin abgeschlossen. Das Konzept, die Lehrplanbezüge, die Aufgabenstellungen und so stehen schon, jetzt muss es nur noch umgesetzt werden, damit man damit auch arbeiten kann. Es soll eine niveaudifferenzierte und fächerübergreifende Lernwerkstatt mit verschiedenen Posten werden. Der Schwerpunkt liegt beim Thema Recycling sowie regionalen und saisonalen Früchte- und Gemüsesorten. Denn ich habe mir überlegt, wo Kinder im Alltag überhaupt Mitspracherecht bezüglich eines nachhaltigen Lebensstils haben und wo sie Verantwortung übernehmen können. Dabei hängt viel noch vom Budget und der Erziehung der Eltern ab.
Aerni: Haben Sie Beispiele?
Migliavacca: Ein Kind kann oft nicht sagen, dass es Kleidung einer nachhaltigen Produktion tragen möchte, oder isst, was die Eltern zubereiten. Wenn dies täglich Fleisch ist und exotische Früchte sind, dann kann ein Kind nicht viel daran ändern. Ebenfalls kann ein Kind meistens nicht mitbestimmen, ob die Eltern sich dazu entscheiden mit den Kindern in den Frühlingsferien nach Südafrika, in den Sommerferien in die Türkei und in den Herbstferien nach Dubai zu fliegen. Es ist ja auch sehr schön, neue Länder und Kulturen zu entdecken und dies sind sicher auch Streitpunkte, denn man lebt ja nur einmal und das Reisen kann ja auch eine Leidenschaft sein.
Aerni: Aber Kinder sollen mehr mitbestimmen können?
Migliavacca: Ich habe mir überlegt, dass Kinder entscheiden können, wie sie ihren Müll, den sie in den Händen halten, entsorgen und dafür Verantwortung übernehmen können. Und sie wahrscheinlich auch sagen können, was sie gerne zur Zwischenmahlzeit in der Pause essen möchten. Daher habe ich mich dazu entschieden, zum Thema Recycling und regionalen und saisonalen Früchte- und Gemüsesorten einige Lernaufgaben zu gestalten. Ich hoffe natürlich sehr, dass die Kinder dadurch ein Bewusstsein dafür entwickeln.
Aerni: Sie tanzen Salsa, korrekt?
Migliavacca: Ja genau, Salsa und Bachata, das stimmt. Ich habe vor rund acht Jahren begonnen zu tanzen. Früher habe ich noch intensiver getanzt, sodass es auch wirklich zu meiner Passion wurde. Jetzt ist es mehr eine rhythmische Freizeitbeschäftigung, die ich immer noch leidenschaftlich ausführe und die Vielfalt in meine Woche mit dem Unterrichten, Schreiben und Illustrieren bringt. Ein schöner Ausgleich.
Aerni: Und Sie planen, weiter zu schreiben, auch Belletristik. Kommt bald mal der große Tanzroman?
Migliavacca: Nein, das nicht. Ich habe mein zweites Manuskript zu einem Kinderlesebuch über Vorurteile und Freundschaften bereits eingeschickt. Jetzt heißt es Daumen drücken und warten. Einen Tanzroman wird es nicht geben. Aber einen Krimiroman – in Neapel spielend, wartet nur noch drauf abgetippt und dann hoffentlich auch veröffentlicht zu werden. Aber da wären wir wieder bei der Zeit. Mein Tag hat eben auch nur 24 Stunden. Aber ich bin froh, dass mein Bilderbuch Anklang gefunden hat und mir die Ideen zum Schreiben weiterer Werke nicht ausgehen.
Aerni: Zum Schluss sei noch nach Ihrem Glauben an die Wirkung von gedruckten Büchern gefragt. Werden wir auch noch in 50 Jahren an einem guten gedruckten Buch sitzen?
Migliavacca: Hm, ich bin ja neu in dieser Branche und die Digitalisierung schreitet in großen und vor allem auch schnellen Schritten voran. Es gibt schon sehr viele Bücher auch als E-Books zu kaufen. Auch ich kaufe E-Books. Dennoch glaube ich, dass das gedruckte Buch immer irgendwie überleben wird, weil man das Smartphone oder Tablet auch mal weglegen will und nicht jeder einen E-Reader besitzt. Und manchmal ist es einfach schön, noch ein Buch in der Hand zu halten und zu sehen, wie viel man denn schon gelesen und Neues gelernt hat. Also mir geht es so. Und für die Kinder wünsche ich mir, dass es auch in 50 Jahren noch die alten guten gedruckten Bücher gibt.
Das Buch: „Die silberne Plastiktüte“, ein Kinderbuch für 6 bis 12 Jahre von Eleni Migliavacca, ISBN 978-3-99018-713-5, Bucher Verlag, 2024
Eleni Migliavacca wurde 1996 in Zürich geboren. Nachdem sie 2020 ihr Studium an der Pädagogischen Hochschule Zürich erfolgreich abgeschlossen hatte, begann sie ihre berufliche Laufbahn als Primarlehrerin in Zürich. Schon seit ihrer Kindheit bis hin zum Studium begleitete sie die Leidenschaft für bildnerisches Gestalten und das Schreiben von Geschichten. »Die silberne Plastiktüte« markiert ihr Debüt als Autorin.