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Stoischer Sozialismus – eine Möglichkeit?

Auf den ersten Blick mag der Stoizismus – eine philosophische Schule, die bereits um 300 v. Chr. begründet wurde und besonderen Wert auf innere Gelassenheit und Akzeptanz der Dinge, die man (scheinbar) nicht ändern kann, legt – mit dem wissenschaftlichen Sozialismus bzw. den marxistischen Grundsätzen unvereinbar wirken. Doch entspricht diese Vermutung tatsächlich der Realität? Im folgenden Artikel soll ein Denkanstoß gegeben werden, der diese Frage fragmentarisch belichtet.

Ein Gastbeitrag von Pascal Noa Burda (17)

Um gleich das Wesentliche auszudrücken: Ja, die Philosophie der Stoa ist mit den Grundprinzipien des sozialistischen Denkens vereinbar, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Beide Lehren regen dazu an, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Doch nicht jeder Sozialist hat das entscheidende Werkzeug parat, um seine Vorstellungen klar zu visualisieren und dementsprechend Schritte zu wagen, um dem Ziel einer besseren Welt näherzukommen. 

Dies war auch ein entscheidender Grund für die Pervertierung der ursprünglichen marxistischen Idee in den ehemaligen Ostblockstaaten. Menschen, denen es an innerer Ausgeglichenheit und Tugend mangelte, schlossen sich der kommunistischen Bewegung an – in der naiven Hoffnung, dass ihre persönlichen Probleme durch einen Systemwandel gelöst werden. Sicherlich kann eine politische Revolution zur Lösung einiger Missstände führen, doch sollte beachtet werden, dass ein gesellschaftliches System ohne Partizipation derer, die darin leben, zweifelsohne zu Stagnation oder einem Relaps führen wird. Beispielhaft ausgedrückt: Wer sich von Fastfood ernährt, wird nicht gesünder, nur weil er seine Essgewohnheiten von Burgern auf Hotdogs umstellt. Die Symptome der bourgeoisen Ordnung – besonders jene, welche das mentale Wohlbefinden der Individuen betreffen – bestehen nach der Umgestaltung weiter.

Eine komplexe Gesellschaftsform wie der Sozialismus kann nicht ohne klaren Geist und innere Vervollkommnung des Einzelnen funktionieren. Gesunde Individuen bedeuten ein gesundes Kollektiv.

An diesem Punkt kommt der Stoizismus ins Spiel. Mit diesem wertvollen individuellen Werkzeug wird es auch im Kollektiv leichter sein, Pläne auszuarbeiten, die wirklich zum Ziel führen werden. Wut über die Auswüchse des kapitalistischen Systems kann zwar motivieren, doch gleichfalls zu sinnlosen und undurchdachten Ansätzen führen. Die Stoiker wussten, dass diese Aufgebrachtheit ein destruktives emotionales Ereignis ist, das es zu bändigen gilt. Empörung über andere ist zudem kontraproduktiv, da es die Selbstkritik – eines der wichtigsten Instrumente jedes Marxisten – untergräbt.

Weitere Gemeinsamkeiten beinhalten die Überwindung von Ängsten und Gier. Trotz unbegründeter oder übertriebener Angstzustände zu handeln, sich nicht durch die eigenen Gedanken lähmen zu lassen und Initiative zu ergreifen: In Bezug auf die Überwindung des bourgeoisen Systems sind dies bedeutende Grundprinzipien. Weiters ist die Gier in den Augen beider Lehren eine destruktive Emotion, welche für den Menschen, wie auch für eine sozialistische Gesellschaft besonders schädlich ist. 

Was im stoischen Glauben fest verankert ist, findet auch im marxistischen Einzug: Sich zu verbessern, als „beste Version meines Selbst“ herauszubilden und zu bilden – das sind edle Ziele. Die Notwendigkeit für ein gebildetes Proletariat hat bereits der italienische Marxist Antonio Gramsci aufgezeigt: „Bildet Euch, denn wir brauchen all Eure Klugheit. Bewegt Euch, denn wir brauchen Eure ganze Begeisterung. Organisiert Euch, denn wir brauchen Eure ganze Kraft.“

Wie bereits angeschnitten, steht der sozialistische Gedanke von Kooperation und kollektiver Beteiligung an der Gesellschaft keineswegs im Widerspruch zum Stoizismus – ganz im Gegenteil: Wer mit sich selbst im Frieden steht, wird das Kollektiv bereichern und die Arbeit darin erleichtern. Kollektivismus bedeutet nicht, individuelle Gedanken zu verbannen, sondern diese in Einklang miteinander zu bringen, um das bestmögliche Ergebnis für alle zu erzielen. Alle Meinungen und Vorstellungen müssen in permanenter Diskussion miteinander stehen, sodass sich daraus eine Basisidee ergibt, auf der man grundlegend arbeiten kann. Es soll nicht darum gehen, dass eine Auffassung „gewinnt“. Der Kampf der Ideen muss zu einer Diskussion auf Augenhöhe werden. Ein tugendhaftes Verhalten des Einzelnen ist für die Existenz eines demokratischen Sozialismus unerlässlich, die stoischen Prinzipien stellen dabei ein Hilfsmittel dar.


Pascal Noa Burda (17) sieht sich als Kosmopolit, interessiert sich für Politik, Geschichte und Literatur und schreibt seit seinem 13. Lebensjahr. Unter anderem für “Unsere Zeitung”. 


Titelbild: OpenClipart-Vectors / Pixabay

 

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